PSYCHOTIC WALTZ - Into The Everflow
Mehr über Psychotic Waltz
- Genre:
- Prog-Metal
- ∅-Note:
- 10.00
- Ashes
- Out Of Mind
- Tine Streams
- Into The Everflow
- Little People
- Hanging On A String
- Freakshow
- Butterfly
Wenn ich mir die Reunion einer einzigen Band wünschen dürfte, wäre die sofortige Antwort definitiv folgende: PSYCHOTIC WALTZ. Unabhängig davon, dass ihr unverkennbarer Frontmann heute mit seiner Band DEADSOUL TRIBE ähnlich grandiose Musik fabriziert, wie man sie in den 90ern von dem San-Diego-Fünfer geboten bekam, erreicht in meinen Ohren keine – und ich meine wirklich keine! – andere Band die Klasse dieser, viel zu früh auseinander gebrochenen Band. Nicht umsonst geistern im tiefsten Underground immer wieder heimliche Wünsche nach Festival-Auftritten herum, und nicht umsonst sah die Welt vor nicht allzu langer Zeit die gelungenen Wiederveröffentlichungen aller vier Alben des Quintetts. Bevor ich jetzt sentimental werde, lenke ich das Ohr des Lesers lieber auf das eigentliche Geschehen, namentlich das Zweitwerk "Into The Everflow".
Ich werde mich nun hüten eine qualitativen Vergleich zwischen den PSYCHOTIC WALTZ Werken zu ziehen. Das muss jeder ganz für sich alleine ausmachen. Sicher ist nur eines: Alle vier Scheiben scheinen nicht von dieser Welt zu sein, stehen außerhalb aller bekannten Standards und gehören einfach in jede halbwegs vollständige Sammlung. Genug der Vorrede, will ich doch den wenigen Unwissenden und auch den vielen Unentschlossenen heute klar machen, was sie versäumen, wenn sie sich vor dem gnadenlosen Genuss von "Into The Everflow" drücken wollen.
Als das Zweitwerk erschien, lastete ein immenser Druck auf der Band, denn das 1990 erschienene Erstwerk war mit derart viel Lob überhäuft worden, dass eigentlich alle Kritiker davon ausgingen, PSYCHOTIC WALTZ könnten "A Social Grace" niemals überbieten. Ob ihnen das mit dem Nachfolger gelungen ist, will ich hier nicht allgemein gültig beantworten, denn "Into The Everflow" ist völlig anders als sein Vorgänger und bietet trotzdem urtypische PSYCHOTIC WALTZ-Qualität. Denn obwohl der Fünfer dieses Mal nur knappe zwei Jahre Zeit hatte, adäquates Songmaterial zu komponieren, ist ihm genau das gelungen. Umso erstaunlicher ist diese Tatsache, wenn man bedenkt, dass die Combo in der Zwischenzeit mehrere Male durch deutsche Lande getourt ist und teilweise gar die Zeit zwischen einzelnen Aufnahme-Sessions für Gigs nutzte. Der aufmerksame Leser wird daraus schlussfolgern, dass man dieses Mal sogar in Deutschland aufgenommen hatte und das stimmt auch. Immerhin erschien das vorliegende Album ursprünglich auch bei dem deutschen Label Dream Circle Records und so war man in dieser Zeit beinahe mehr in unseren Breitengraden unterwegs als im heimischen Kalifornien. All das sind banale Fakten am Rande eines musikalischen Meisterwerkes, wie es so schnell nicht noch einmal erschaffen werden wird.
Bereits das düstere Coverartwork, wie auch der Albumtitel lassen es erahnen: Die Grundstimmung der acht enthaltenen Songs und ihrer Texte ist melancholischer als beim Erstwerk, dabei gehen PSYCHOTIC WALTZ aber niemals so weit, den Hörer runter zu ziehen. Vielmehr dienen die Kompositionen dem Entschweben aller alltäglichen Dinge. Das Gitarrengespann Brian MacAlpin/Dan Rock hat sein interaktives Spiel seit dem Debüt um einige Nuancen verfeinert und liefert auf dem vorliegenden Werk den ultimativen Kick in Sachen flirrende Gitarrenharmonien ab. Völlig gleich in welchen Song man den Laser hineintasten lässt, man wird unwillkürlich in diesen hypnotischen Strudel aus fesselnder Rhythmik und psychedelischen Hooks gesogen und nicht wieder losgelassen. Merke: Ein Bandname war selten programmatischer.
Und dabei gehen die fünf Burschen clever vor und erschleichen sich die Sympathien aller Musikliebhaber mit einem einschmeichelnden Intro-Song namens 'Ashes', der schon so herrlich atmosphärisch aus den Boxen wabert, dass Eingeweihte natürlich erahnen, was im späteren Verlauf noch auf sie zukommen kann. Diese – mit Keyboards unterlegte Komposition – erfreut auch sogleich mit einem extrem wuchtigen und zugleich transparenten Klangbild. Vor allem die Steigerung dieses kurzen Longtracks sorgte – zumindest bei mir – vom ersten Höreindruck an für ausgerenkte Kinnladen. Spätestens wenn im Finale die Gitarren ihr Duell abfeuern, wird jeder Musikliebhaber einen entrückten Blick bekommen. Im direkten Anschluss gibt es mit 'Out Of Mind' und 'Tiny Streams' zwei verhältnismäßig gradlinige Stücke, die aber trotz alledem völlig weltentrissen daher kommen und auf 99,9% aller anderen Alben die absoluten Highlights darstellen würden. Dass dies auf diesem Rundling nicht der Fall ist, liegt an drei Kompositionen, deren Qualität man eigentlich nicht in Worte fassen kann. Man vergebe mir den nun nachfolgenden, zum Scheitern verurteilten, kläglichen Versuch, den Unwissenden einen kleinen Eindruck zu vermitteln, was hier vor sich geht: Da hätten wir zum einen das über acht Minuten lange Titelstück, welches akustisch eingeleitet im späteren Verlauf den Spannungsbogen überdehnt und mich auch heute noch ins musikalische Nirwana schießt. Das muss man einfach gehört haben. Des Weiteren serviert uns der Fünfer als krönenden Abschluss der Scheiblette mit 'Freakshow' und 'Butterfly' eine 15 minütige Achterbahnfahrt durch alle emotionalen Schattierungen des menschlichen Seins. 'Freakshow', der Titel sagt eigentlich alles, überfällt den Hörer mit einer Kanonade an überirdischen Riffs, die wie Peilgeräusche pfeilgenau auf das Nervensystem des Hörers zielen und diesen sofort in ihren Bann ziehen. Entkommen ausgeschlossen. Damit man nicht dem totalen Wahnsinn verfällt, gibt es im Mittelteil eine besänftigende Passage, die mit einem faszinierend pulsierenden Rhythmus ausgestattet ist, so dass man nun in Hypnose verfällt. Zu allem Übel balsamiert auch noch die unübertroffene Stimme von Buddy Lackey die Wahrnehmungsorgane. Wie ein Chamäleon passt er sich den Stimmungsschwankungen der musikalischen Darbietung an und ist mal traurig, mal aggressiv, mal melancholisch, mal euphorisch. Hört euch nur die völlig abgedrehte Schlusssequenz von 'Freakshow' an, bei der seine Stimme kurz vor dem Wegbrechen zu stehen scheint und es eben doch nicht tut. Gänsehaut pur. Und während man sich noch vom eben gehörten erholen möchten, brät uns die Band mit dem finalen 'Butterfly' die endgültige musikalische Gehirnwäsche über. Allein das kongeniale Einflechten einzelner Songpassagen von Songs ihrer Helden – ich nenne stellvertretend mal JIMI HENDRIX, JETHRO TULL und SLY & THE FAMILY STONE – ist einzigartig und wurde auch livehaftig immer zu einem Höhepunkt ihrer eh schon grandiosen Live-Darbietungen. Die Tribalbeats von Norm Leggio, dessen Lieblingsbands nicht umsonst KING CRIMSON und PINK FLOYD waren, lassen kein Auge trocken. Dazu slappt Ward Evans herrlich fette Basslinien aus den Boxen und was die Herren Rock/McAlpin vom Leder ziehen spottet jeder Beschreibung. Mal einfühlsam und leichtfüßig, mal hektisch und beschwörend zelebrieren sie hier den ultimativen Saitenkick und lassen jedes andere Gespann an irgendwelchen Sechssaitern verdammt alt aussehen. Mehr Gefühl haben zwei Axtschwinger niemals in einen Song gebannt. Ach ja, zwischendurch werden noch zwei weitere Kompositionen auf den Hörer losgelassen. Und zwar das zerstörerisch hackende 'Little People' , sowie das kommerzielle (Hahahaha – der Verf.) 'Hangin' On A String'. Dieser balladeske Song ist ähnlich ergreifend wie 'I Remember' vom Erstling, hat allerdings niemals dessen Status in Fankreisen erreicht. Etwas unverständlich, ist er doch kaum schlechter – ein blasphemischer Ausdruck für eine WALTZ-Nummer - als eben jener.
Ich hoffe, es ist nun allen klar geworden, dass man dieses Album zumindest einmal in aller Ruhe gehört haben muss. Wenn ich mir nun die endlosen Konzerterlebnisse mit eben jenen unvergänglichen Evergreens vor mein geistiges Auge zurück rufe, kommt ein bisschen Wehmut auf. Keine, ich wiederhole mich in diesem Falle gerne, keine andere Band hat es bisher geschafft, eine derart intensive Atmosphäre auf ihren Konzerten zu erzeugen. Und dabei spielt es nur eine periphere Rolle, ob die Jungs an einem Abend einmal nicht ganz so gut drauf waren, wie an einem anderen. Von den Abenden, an denen sie euphorisch waren, will ich lieber gar nicht erst reden. Magisch.
Von Anspieltipps kann ich hier geflissentlich absehen.
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Holger Andrae