PSYCHOTIC WALTZ - The God-Shaped Void
Auch im Soundcheck: Soundcheck 02/2020
Mehr über Psychotic Waltz
- Genre:
- Progressive Metal
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Inside Out (Sony)
- Release:
- 14.02.2020
- Devils And Angels
- Stranded
- Back To Black
- All The Bad Men
- The Fallen
- While The Spiders Spin
- Pull The String
- Demystified
- Sisters Of The Dawn
- In The Silence
Die am sehnsüchtigsten erwartete Platte ist da!
Wie lange habe ich auf dieses Album gewartet? Jeder, der unsere Seiten ein bisschen verfolgt, dürfte mitbekommen haben, dass es sich bei PSYCHOTIC WALTZ um die Band handelt, der ich in den 90ern hinterher gefahren bin. Es ist die Band, die ich inzwischen circa 20 Mal live erleben durfte und … die mich jedes Mal begeistern konnten. Einige dieser Konzerte landen auf Ewig in meinen Top Ten der gesehenen Konzerte. Aber natürlich sind es nicht nur diese livehaftigen Erlebnisse, nein, diese sind nur die Sahnehaubitzen auf den großen Himbeerkuchen die manch anderer lieblos "Tonträger" nennen wird. Derer gibt es vier und auch diese laufen hier in regelmäßigen Abständen und führen heute noch zu recht ekstatischen Reaktionen. Nicht umsonst sind die ersten beiden Wundertüten – namentlich "A Social Grace"(1990) und "Into The Everflow" (1992) – weit oben in meiner sich nur selten verändernden Inselplatten-Liste.
Nun ist es also da. Auf einigen Festivalauftritten und Konzertreisen gab es in der Vergangenheit schon Appetizer zu hören, aber es ist etwas völlig anderes, wenn man plötzlich die Musik unterm Kopfhörer im stillen Kämmerlein genießen kann. Dabei habe ich mir im Vorfeld tatsächlich komischerweise gar keine großen Gedanken dazu gemacht, was ich denn von einem fünften Album meiner heiligen Kühe erwarten würde. Ich war mir sicher, es würde mir gefallen. Ganz egal, ob man sich neu erfinden würde oder ob man ganz einfach – als ob das einfach wäre – dort anknüpfen würde, wo 1996 "Bleeding" das musikalische schwarze Loch hinein gerissen hatte. Während ich das hier so schreibe und mich offenbar ein wenig darum herum drücke, nun endlich auch etwas zur Musik auf dem Album in Worte zu kleiden, kommt mir der Gedanke, dass in Sachen Neuerfindung auch eine psychotische Variante aus BEATLES, KING CRIMSONund BLACK SABBATH mit mehr 60ies und 70ies-Flair sicherlich spannend gewesen wäre. Denn wir alle wissen, dass die Herrschaften allesamt auf genau diese Musik stehen. Aber – ich kann hier die Anti-Retro-Fraktion schon mal entwarnen – dies ist nicht geschehen.
Schon die auf den Konzerten gespielten Songs – 'Back To Black', 'Pull The Strings' und 'While The Spiders Spin' – hatten diesbezüglich eine leichte Marschrichtung vorgegeben. Aber auch diese Nummern wirken in ihren finalen Studioversionen anders als bei der ersten Liveverköstigung. Aber Butter bei die Fische: Gleich das eröffnende, vorab als digitale Single veröffentlichte, 'Devils And Angels', erfreut mich mit einem Klangbild, welches mich sofort glücklich stimmt. Warm und einlullend ist sofort die Atmosphäre als die Flöte erklingt und wenn dann kurz darauf Herren Rock und MacAlpin mit abgehackter Riff-Rhythmik loslegen ist man beim ersten Mal ziemlich erschlagen. Ein mehr als gelungener Auftakt, der den Hörer gleich am Haken hat, auch wenn man gar nicht wirklich vertrackte Sachen spielt. Der Spannungsbogen ist einfach von Beginn an stramm gezogen und verliert nur durch den herrlich entspannten Gesang von Devon Graves etwas an Straffheit. Diese Stimme ist einfach Balsam für die Seele. Immer und immer wieder. Auch in den heutigen Tonlagen, die etwas gemäßigter sind als vor knapp 30 Jahren. Alles andere wäre auch nicht authentisch.
Weiter im Text geht es mit dem knackigen 'Stranded', welches durch seinen abgehackten Rhythmus ungewohnt hart erscheint. Allerdings kommen die wundervollen Flirr-Gitarren und die Gesangmelodie schon wieder so heimtückisch beschwörend hinten rum, dass man eingelullt bleibt. Es folgt das bereits von der letzten Tour bekannte 'Back To Black', welches mir jetzt deutlich besser gefällt als bei der Livepremiere. Melodisch und gleichzeitig auch ganz schön hart, schmiegt sich die Nummer schnell an die Hörmuscheln an. Das rock'n'rollige Soli verleiht dem Song eine ungewohnte Klangfarbe und auch Devons' ungewohnt harscher Gesang zaubern erstmal Fragezeichen auf die Stirn. Da definiert sich die Band in den eigenen Grenzen selbst neu. Sehr fein.
Der zweite Vorabsong 'All The Bad Men' fügt sich dann wunderbar in die bisher präsentierte Ausrichtung des Albums ein. Ein an das wunderbare 'Locust' erinnernder Rhythmus, eine Melodieführung von Schlangenbeschwörern und Gitarren, die so herrlich flirren, dass hier tatsächliche alle Füße whippen. Das verzaubernde Akustik-Intro von 'The Fallen' unterstreicht dann mein Gefühl, dass das Klangbild ebenso toll ist wie die gebotene Musik. Hier wird ein flauschiges Netz aus Noten gewebt, in welches man sich angstfrei fallen lassen kann. Dazu einen Spritzer Absinth im Strohhalm und die Gefühlswelt gerät in Wallungen. Wobei das nicht so ganz stimmt, denn die psychotischen Walzer funktionieren auch ohne weitere Hilfsmittel ganz prächtig. Einziges Mini-Manko an diesem Entenpeller: Keine Flöte …
'While The Spiders Spin' wurde ja schon auf der vorletzten Tour gespielt und ich finde es bis heute erstaunlich, dass sich alle Anwesenden an die Bitte der Band gehalten haben, die Nummer nicht per Smartphone-Aufnahme ins Netz zu stellen. Wie auch 'Back To Black' funktioniert das Stück auf Scheibe erstmal viel besser als livehaftig. Ein voluminöser Chorus, wuchtige Beats und herrliche Gitarren. Hatte ich so etwas Ähnliches schon weiter oben geschrieben? Well, könnte darin liegen, dass diese Attribute auf alle Songs zutreffen und ich aufgrund einer inneren Glückseligkeit, nicht in der Lage – oder Willens – bin, mich hier kurz zu fassen.
Die dritte bereits live gespielte Nummer hört auf den Titel 'Pull The Strings' und war mir als ziemlich groovig im Gedächtnis hängen geblieben. Dieser Eindruck bleibt auch nach der konservierten Verköstigung, allerdings erfreue ich mich hier erneut am tollen Gesang, der als ganz formidabler Gegenpol zum hackenden Rhythmus funktioniert. Toller Song! Wie auch das sich schlängelnde 'Demystified' mit seinen schönen Akustikpassagen. Nun folgt mein bisheriger Lieblingssong des Albums: 'Sisters Of The Dawn'. Schon beim allerersten Durchlauf bin ich hier sofort weggeflirrt worden. Der stampfend wuchtige Rhythmus, die stoischen Ward-Linien, die in Hanf betonierten Tieftöne, die unfassbaren Gitarrenläufe, aber vor allem diese Melodieführung machen 'Sisters Of The Dawn' zu einer dieser Nummern, die man gar nicht oft genug hören kann. Mit sechs Minuten und einunvierzig Sekunden ist es dann zum Glück auch noch die längste Nummer des Albums. Wer beim gehauchten Gesang während der ruhigen Passage in der Mitte nicht mit einem Entenparka vor seiner Anlage sitzt, ist gefühlstot. Andere Optionen sind komplett ausgeschlossen. Wenn danach dann auch noch everflowende Klampfen los flirren, ist die musikalische Glückseligkeit für mich perfekt. In Wort und Bildern nicht zu schildern.
Damit man den erlangten Schwebezustand nach dieser Großtat nicht verliert, gibt es im Nachgang mit 'In The Silence' gleich noch so einen Körperbehaarungs-Strammsteher. Dieser Song vereint schlussendlich noch einmal alle Vorzüge dieser Ausnahmeband. Jetzt habe ich hier eine Tapete geschrieben, auf der sich Wortkombination und Superlativen wiederholen. Ich hätte auch ganz einfach schreiben können: Mit "The God-Shaped Void" ist es dem Quintett gelungen, ihre alten und weniger alten Trademarks im zeitgemäßen Gewand bestmöglich zu präsentieren und dabei sogar noch ein paar neue Facetten zu ihrem Sound hinzu zu addieren. Ganz großes Ohrenkino.
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Holger Andrae