REISER, RIO - Original Album Classics
Mehr über Reiser, Rio
- Genre:
- Deutschrock
- ∅-Note:
- 7.50
- Label:
- Columbia (Sony Music)
- Release:
- 12.09.2014
- Alles Lüge
- Lass Uns Das Ding Drehen
- Für Immer Und Dich
- Menschenfresser
- Junimond
- König Von Deutschland
- Lass Mich Los
- So Allein
- Ich Leb Doch
- Bei Nacht
- Aschermittwoch
- Montag
- Zauberland
- Sonnenallee
- Geld
- Herbst
- Signale
- 4 Wände
- Was Weiß Ich
- Dahin
- Alles
- Sternchen
- Jetzt Schlägt's Dreizehn
- Der Krieg
- Nur Dich
- So Heiß
- Zu Hause
- U.S.W.
- Durch Die Wand
- Kneipe
- Du Bist Es
- Nach Hause
- Mitten In Der Nacht
- Wart's Ab
- Nimmst Du Mich Mit
- Okay
- Far Up
- Irrenanstalt
- Inazitti
- Wohin Gehn Wir
- Neun99zig
- MHM
- Du - Über Alles
- Im Süden
- Irrlicht
- Eislied
- Straße
- Streik
- Gefahr
- Erdbeben
- Der Junge Am Fluss
- Hoffnung
- Träume
- Schlacht
- Himmel Und Erde
Rio-trospektive.
Mittlerweile darf ich bei diesem Namen mal eine kleine Geschichtsstunde einschieben, nicht wahr? Denn RIO hat durchaus eine illustre Vergangenheit, die jemandem wie mir, der zu seiner Hochzeit bereits aufmerksam Musik konsumierte, geläufig ist, aber sicher kaum der nachfolgenden Generation, die sich jetzt einmal schnell informieren kann. RIO war nämlich eines der Gründungsmitglieder der Agitrock-Band TON STEINE SCHERBEN. Agitrock? Damit ist vor allem Rock mit explizit politischen Inhalten gemeint. Dieses klare Stellungbeziehen war Grundlage des musikalischen Schaffens der SCHERBEN bis Mitte der Siebziger. Zu diesem Zeitpunkt waren die Musiker eine Ikone der politisch linken Szene, inklusive Aufrufen zu Anarchie und Hausbesetzungen. Allerdings wurde ihnen dieses zwanghafte Einspannen in die alternative Szene zunehmend unangenehm, so dass 1975 ein radikaler Wandel vollzogen wurde: Man verließ (West-)Berlin und damit auch die aktive politische Bühne für fast ein Jahrzehnt.
Musikalisch erreichte TON STEINE SCHERBEN den Höhepunkt 1981 mit dem Album "IV", als man stilistisch experimentell Neuland betrat, allerdings gegen eine eher spaßig orientierte Neue Deutsche Welle anzutreten hatte. 1985 löste sich die Band vor allem aus finanziellen Gründen auf, und RIO REISER machte solo weiter. Was dann passierte, zeigt dieses Box Set auf. "Rio I" enthielt mit den beiden Hits 'König Von Deutschland' und 'Junimond' die größten Erfolge RIOs und sorgten dafür, dass Reiser mit einem Schlag seine gesamten Schulden zahlen konnte. Dabei muss man ganz besonders erwähnen, dass viele der Hits alte TON STEINE SCHERBEN Songs waren, sogar der 'König Von Deutschland', nur eben gut produziert am Rande zum Pop. Doch die intelligenten Texte und RIOs nuschelnde Stimme sind geblieben und machen "Rio I" zu einem zeitlosen Album zwischen Gute-Laune-Rock und melancholischen Balladen.
In diesem Fall half RIO die NDW, denn deutschsprachige Rockmusik, gerne auch mit gehobenem Spaßfaktor, war gesellschaftsfähig geworden und stand im breiten Spagat zwischen Establishment und Revolution, und jede Seite konnte sich aussuchen, was ihr am besten passte. Die ersteren tendierten zu NENA und 'König Von Deutschland', die letzteren zu HANS-A-PLAST und 'Menschenfresser'. RIO kam 1986 gerade zur rechten Zeit und hatte sowohl Erfahrung und musikalisches Können als auch die richtigen Lieder am Start. "Rio I" ist daher nicht weniger als ein Beispiel dafür, dass ein Album zur richtigen Zeit Erfolg haben kann, aber zur falschen Zeit auch scheitern könnte. Hier stimmte alles und RIO konnte frohgemut in die Zukunft blicken.
Jetzt kommt der große Kritikpunkt an dieser Box: Das nachfolgende, kommerziell nicht allzu erfolgreiche Album "Blinder Passagier" fehlt in der Zusammenstellung. In diesen Boxen sind immer fünf CDs, und die sechste passte wohl nicht ins Konzept. Jedenfalls wäre es angeraten, dieses Album separat zu erwerben, um das Solo-Schaffen des Künstlers RIO und seine Entwicklung wirklich nachvollziehen zu können. So jedoch folgt in dieser Box gleich das dritte Album "***" ("Sternchen"), das einen Bruch in der musikalischen Ausrichtung darstellt. Vom Rock geht es eher in Richtung Liedermacher. Das ganze Album ist sehr ruhig und melancholisch, statt der Gitarre werden eher elektronische Sounds verwendet. Diese Entwicklung deutete sich auf dem fehlenden Werk "Blinder Passagier" bereits an.
Aber offensichtlich hatte RIO anschließend wieder Lust auf Rock. Das 1991er Album "Durch die Wand" markiert die Rückkehr zu ernsten Themen und fetzigen, gradlinigen Rockern wie dem Eröffnungsdoppel, von dem vor allem 'Krieg' einen der besten Songs seiner gesamten Solokarriere darstellt. Zumindest meiner bescheidenen Meinung nach. Zu dieser Zeit war RIO allerdings auch eher ein Liebling der Kritiker denn des Publikums. Der kommerzielle Erfolg war überschaubar, was diesem Werk absolut unrecht tut. Leider konnte er die Scheibe auch nicht mit einer Tour unterstützen, da sich sein Gesundheitszustand verschlechterte.
Trotzdem ließ er nicht nach und legte zwei Jahre später mit "Über Alles" nochmal nach. Am Sound, und ich bilde mir ein, auch an einigen Melodielinien wie beispielsweise in 'Inazitti', kann man die Handschrift von Anette Humpe erkennen, die das Album produzierte. Wieder etwas experimenteller, mit außergewöhnlichen Sounds und Rhythmen. Meine Highlights sind das mit akustischer Gitarre und Elektrobeats unterlegte 'Neun99zig' und das schon fast zwanzig Jahre vorher geschriebene 'Irrenanstalt'. Dass das Album einen countryartigen, herausgeschrienen Hidden Track enthält, muss man wissen, denn wenn man es verpasst, entgeht dem Hörer ein besonders experimentelles Lied, das extrem spontan klingt.
Und dann ist da noch "Himmel Und Hölle", sein Abschiedsalbum, denn im folgenden Jahr 1996 verstarb RIO REISER. Aber er hinterließ nicht nur ein großartiges Lebenswerk, sondern vor allem mit besagtem "Himmel Und Hölle" in meinen Augen sein bestes Soloalbum. Tiefsinnige Texte eingebettet in dramatische Rhythmen, fast schon hard-rockige Klänge wie 'Träume', das übrigens 1995 die Titelmusik zu einem "Tatort" der ARD war, und 'Streik', Ohrwürmer wie das großartige 'Straße' oder das mit URIAH HEEP-artigem Keyboard versehene 'Schlacht'.
Eine Box mit dem einen angesprochenen Makel und natürlich der Tatsache, dass es sich um Reproduktionen der Original Schallplatten handelt und keine weiteren Informationen enthält. Aber das kennen wir ja von diesen Zusammenstellungen, die es Musikfans erlauben, viele ältere Alben zu einem äußerst günstigen Preis zu erwerben. Dieses Ziel wird diese Box hoffentlich erreichen, denn RIO REISER war ein außergewöhnlicher Künstler, dessen Vermächtnis in Ehren gehalten werden sollte, denn es ist mehr als hörenswert. Meine Noten für diese fünf Scheiben wären übrigens: 7,5 / 6 / 7,5 / 6,5 / 8. Oder insgesamt eine 7,5.
- Note:
- 7.50
- Redakteur:
- Frank Jaeger