RICOCHET - Zarah - A Teartown Story
Mehr über Ricochet
- Genre:
- Prog
- Entering The Scene
- Teartown
- Disobedience
- Silent Retriever
- Cincinatti Road
- Caught In The Spotlight
- Final Curtain
- The Red Line
- A New Days Rising
Auch wenn es im ersten Moment den Anschein hat, wir hätten es hier mir einem Newcomer zu tun: RICOCHET existieren in unveränderter Besetzung seit über einer Dekade. Und als wäre dies nicht schon Grund genug für ein anerkennendes Brauenzucken, will ich ergänzen, dass sie im Jahre 1995 über Noise Records bereits ein reguläres Album namens "Among The Elements" veröffentlicht haben. Trotz guter Resonanzen - auch in Übersee - kam man irgendwie nicht vorwärts. Selbst ein Gastauftritt in der norddeutschen Kultvorabendserie "Großstadtrevier" mit Jan Vedder, in der man den Song 'Angels' zum Besten geben durfte, zog keinerlei Status-Veränderungen nach sich. Aber anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, begann man nun damit, neue, noch bessere Songs zu komponieren, die treuen Fans mit kleinen, aber feinen Auftritten zu belohnen und im stillen Kämmerlein, nach Feierabend, ein ambitioniertes Konzeptalbum einzuspielen. Und genau jenes liegt mir nun vor.
Schon die Optik ist ansprechend und weckt das Interesse des Betrachters. Warme, aber gleichzeitig auch mystische Farben vermitteln eine schön-schaurige Atmosphäre. Bereits hierin steckt viel Liebe zum Detail. Ein kurzer Blick auf die rückseitige Trackliste macht klar, dass einige Longtracks auf den Hörer warten und das abschließenden 'A New Days Rising' mit über 18 Minuten gar sämtliche Zeitlimits zu sprengen scheint. Ich bin gespannt.
Scheiblette eingelegt, Kopfhörer aufgesetzt und Ohren gespitzt. Die wohligen Keyboardklänge des knapp dreiminütigen Intros 'Entering The Scene' vermitteln schon die Transparenz des Sounds, den die Jungs hier verbrochen haben. Orchestrale Arrangements, Klangteppiche, die Spannungsbögen ziehen; ein Auftakt nach Maß. Der Neunminuter 'Teartown' erinnert mit seinem gezupften Gitarrenspiel anfänglich stark an MARILLIONs grandioses 'Easter', steigert sich nach einigen Versen allerdings zum mächtigen Riffmonster, das deine ganze Aufmerksamkeit fordert und diese auch nicht wieder loslässt. Trotz nur eines Klampfers entsteht beim herrlich gefühlvollen Solo kein Soundloch, da auf dem anderen Kanal wuchtige Akkorde geschrubbt werden. Sahne! Es folgt ein grandioses Break, welches in einer Livesituation sicherlich zu kollektivem Headbanging führen wird. Alleine diese Nummer rechtfertigt schon den Erwerb dieses exquisiten Tonträgers. Aber auch der weitere Verlauf entpuppt sich als musikalische Achterbahnfahrt, bei der alle Schattierungen des progressiven Heavy-Metal-Spektrums erstklassig abgedeckt werden, ohne großartige Vergleiche aufkommen zu lassen. Sicherlich ist es schwierig, heutzutage noch etwas gänzlich Neues zu schaffen, aber RICOCHET lassen sich so schnell mit keiner anderen Band vergleichen. Parallelen zu MARILLION, QUEENSRYCHE oder ENCHANT sind sicherlich festzustellen, aber ist das schlimm? Also.
Trotz aller spielerischen Verliebtheit übertreibt es der hanseatische Fünfer aber niemals mit seinen akrobatischen Kabinettstückchen. Vielmehr wird großer Wert auf Emotionen, den roten Faden und songdienliche Strukturen gelegt. Richtig ausgetobt wird sich dann allerdings beim Instrumental 'Disobedience'. Geilofant. Weitere Überflieger hören auf die Titel 'Caught In The Spotlight' und 'Final Curtain'. Während Ersteres mit erstaunlicher Härte Frisuren glatt bügelt, besänftigt Zweiteres mit einer arktisschmelzenden Melodie. Hier muss ich nun auch endlich mal auf den Joker in RICOCHETs Ärmel aufmerksam machen: Christian Heise, das Goldkehlchen hinterm Mikro. Dieses Organ ist so einzigartig, dass man damit einfach gar nicht falsch liegen kann. Christian bewegt sich mit seiner kraftvollen Stimme nämlich im Gegensatz zu vielen seiner Genrekollegen eher in den tieferen Lagen und kommt dabei dermaßen überzeugend 'rüber, dass ich völlig begeistert bin. Während er in ruhigen Momenten – man wähle den Anfang von 'Final Curtain' und halte ein Taschentuch bereit – unglaublich angenehm und wohlig kling, vermag er in aggressiveren Augenblicken mit seiner rohen Stimme richtig wütend zu tönen. Und seine Mitstreiter wissen, was sie an ihm haben. Niemals wird der Gesang von den restlichen Instrumenten zugekleistert, immer hat er den größtmöglichen Freiraum. Und das ist auch gut so.
Ich habe es oben bereits angesprochen: RICOCHET beenden ihr kleines Monument mit dem extrem langen 'A New Days Rising'. Und diese Nummer soll mir noch ein paar Bonusworte wert sein. Hier werden alle Register des kompositorischen Könnens gezogen, es kommt nicht eine Sekunde Langeweile auf. Da gibt es kleine Zitate aus den Songs zuvor, da kommen kleine Orchesterparts zum Einsatz, da gibt es herrliche Solospots aller Beteiligten und zum Schluss gibt es eine kleine Überraschung für den geduldigen Hörer.
Eigentlich muss ich es nicht noch einmal extra erwähnen, aber für alle, die eh' immer nur die Enden der Reviews lesen: Pflichtkauf.
Anspieltipps: Teartown; Caught In The Spotlight; A New Days Rising; The Red Line; Final Curtain; Disobedience
- Redakteur:
- Holger Andrae