SAMSAS TRAUM - Poesie - Friedrichs Geschichte
Mehr über Samsas Traum
- Genre:
- Gothic Rock
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Soulfood
- Release:
- 02.10.2015
- Es ist der Tod (Instrumental)
- Sauber
- Und ich schrieb Gedichte
- Der Mönchberg (Heinrichs Gedicht)
- Wir fahren in den Himmel (und ich kotze Angst)
- Fingerkränze
- Richard, warum zitterst du
- Im Keller wohnt der Krieg
- Gorgass
- Leiche 10 000
- Es tut uns leid
- Was weißt du schon von mir (Mein Name ist Friedrich)
Ohne Worte
Wir schreiben den März 1945 und befinden uns im mittelhessischen Raum: In den vergangenen vier Jahren sorgte die Tötungsanstalt Hadamar dafür, dass etwa 14.500 Menschen mit psychischer oder körperlicher Behinderung hier ihren Tod fanden. Auf grausamste Art und Weise wurde auf dem Hadamarer Mönchberg der systematische NS-Krankentod praktiziert, Insassen kamen in grauen Bussen zur Tötungsanstalt, wurden misshandelt, gefoltert, getötet und anschließend verbrannt. Es sind zwar nur wenige Zeilen, die ich bisher zu Papier gebracht habe, doch sie lassen mich fassungslos und beinah schon hilflos zurück.
70 Jahre später sorgt eine der schillerndsten, umstrittensten und durchaus interessantesten Personen der deutschsprachigen Düstermusik dafür, dass es mir einmal mehr eiskalt den Rücken herunterläuft und ich vor Beklommenheit, Wut, Trauer, unendlichem Mitleid und stellenweise auch Angst am liebsten im hohen Bogen kotzen möchte. Alexander Kaschte und SAMSAS TRAUM haben mit "Poesie: Friedrichs Geschichte" ein neues Album am Start, das durch die fürchterliche und grausame Thematik eine enorme Langzeitwirkung haben wird. Konzeptionell geht es um den kleinen Friedrich, ein verschlossener, poetischer Junge, der als schizophren eingestuft wird und bald von einem grauen Bus nach Mittelhessen gebracht wird.
Nachdem hartes Metall und dezente Synthies das Album beginnen lassen, beginnt der entsetzliche Spuk mit 'Sauber', bei dem ich mich das erste Mal fassungslos und kopfschüttelnd erwische. Doch nicht nur textlich, auch musikalisch schlägt mir die grässliche Fratze der Wahrheit ihre Faust ins Gesicht. 'Der Mönchberg (Heinrichs Gedicht)' begleitet den Hörer noch tiefer ins Geschehen und offenbart die Todesangst der Insassen, 'Wir fahren in den Himmel (und ich kotze Angst)' ist allein vom Titel derart erschütternd, dass das per se eher ruhige, fast schon geheimnisvolle Stück der perfekte Kontrast zum damaligen Schrecken ist, und bei 'Richard, warum zitterst du?" möchte man nur noch fassungslos weinen. Das morbide 'Gorgass' thematisiert Hans Bodo Gorgaß, den Vergasungsarzt von Hadamar, mit dem Kaschte in Rechenschaft geht. Auch 'Leiche 10.000' hat einen unfassbaren Hintergrund: Zur "Feier" des 10.000. Toten in der Tötungsanstalt Hadamar gab es für alle Verantwortlichen ein Bier und freudige Ansprachen der Direktion. Kaschte trifft den Nagel der absoluten Perversion auf den Kopf, lyrisch wie musikalisch hochanspruchsvoll und todtraurig. 'Was weißt Du schon von mir (Mein Name ist Friedrich)' beendet diesen realen Fiebertraum, den man erst einmal sacken lassen muss. Meine Güte…
Allein der Blick auf das verstörende Artwork und die ausgewählte Trackliste machen deutlich, dass SAMSAS TRAUM (leider) sehr gute Arbeit geleistet hat. Musik muss Gefühle auslösen, doch ein Gefühl des Ekels, des Schams, der Fassungslosigkeit und des unendlichen Leids löste bis dato noch kein Album derart ausdrücklich in mir aus wie "Poesie: Friedrichs Geschichte". Zugegeben, in der Vergangenheit habe ich mich nicht großartig mit SAMSAS TRAUM beschäftigt und auch das nunmehr neunte Album der Kaschte-Mannschaft landete durch Zufall in meinem Radar. Doch selten, wie bereits angedeutet, hat mich ein Album, dessen Thematik so unglaublich passend zur beklemmenden, bedrückenden und fast schon skurril wirkenden Musik passt, derart bewegt und zum abermaligen Nachdenken verleitet, wie "Poesie: Friedrichs Geschichte". Kein Album für schwache Nerven, kein Album, was nebenbei laufen kann, kein Album, das nicht die Seele ergreift und mit Wucht gegen die Wand wirft. Es gäbe noch so viel zu SAMSAS TRAUM und "Poesie: Friedrichs Geschichte" zu schreiben, aus dem Internet gesaugte Fakten, die man der Fülle wegen in diese Rezension packt, um dem Leser noch den einen oder anderen "Aha-Effekt" zu verpassen. Doch den größten "Aha-Effekt" bekommt ihr, wenn ihr euch dieses Album bewusst anhört und wirken lasst.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Marcel Rapp