SAMSAS TRAUM - Tineoidea oder: Die Folgen einer Nacht
Mehr über Samsas Traum
- Genre:
- Wave/Gothic
- Label:
- Trisol
- Release:
- 18.08.2003
- Die Hoffnung stirbt zuletzt – Am Anfang stirbt der Glaube
- Narrenspiel – Das letzte Tor zum Leben
- Ein Foetus wie Du – Komm’ auf mein Begräbnis, Baby!
- Über der Erde – Dies ist Feigheit
- Scherben bringen Glück – Ab jetzt geht es um Gott
- In der Kirche des Todestrips – Die Horrorhochzeit
- F.M.N.F. – Nikotin und Meskalin
- Cafe Koma – Das große Diskoinferno
- Die Zärtlichkeit der Verdammten – Willkommen bei den Peingebrecks
- Der Fährmann – Nur ein einziger Gefallen noch
- Im Embryovernichtungslager – Letztlich bleibt uns nur die Hölle
- Tineoidea
Alexander Kaschte hat wieder zugeschlagen. "Tineoidea oder: Die Folgen einer Nacht – Eine Gothic-Oper in Blut-Moll" heißt die Scheibe mit vollem Titel, und so sehr ich was gegen pathetische Namen habe, SAMSAS TRAUM will ich das Recht darauf zugestehen. Was die Marburger Band in zwölf Stücken zelebriert, ist eine pure Symphonie des Wahnsinns. Die CD ist brutaler als "Die Liebe Gottes", tragisch wie "Oh Luna mein", verstörender als "Utopia". "Tineoidea" ist nicht das beste, aber das mit Abstand krankeste, krasseste und komplizierteste SAMSAS TRAUM-Album.
Ähnlich wie in Kaschtes erster Metal-Oper "Die Liebe Gottes" erzählt "Tineoidea" die Geschichte von Samuel und Lilith, einem zur Verdammnis verurteilten Liebespaar auf dem irdischen Schlachtfeld in einem Krieg zwischen Himmel und Hölle. Zum großen Teil in Dialogen erzählen die Songs ihre fürchterlichen Geschichten von Liebe und Tod, Himmel und Hölle, Blutbädern und Embryovernichtungslagern – mehr sei zur Story der Oper nicht verraten, man muss sie selbst erleben.
Musikalisch hat sich Kaschte noch weiter in elektronische Gefilde gewagt. Nachdem er sich mit "Oh Luna mein" anfänglich, mit "Utopia" endgültig vom Black Metal verabschiedet hat, weist "Tineoidea" bis auf gelegentliche, sehr dosierte Gitarren auch faktisch keine Rock/Metal-Strukturen mehr auf. Statt dessen unterstützt ein wirres aber dennoch treffendes Gemisch aus Elektronik und klassischen Instrumenten, gelegentlich mit den unerwartetsten Geräuschkulissen unterlegt, die paranoide Grundstimmung der Geschichte. Damit hat der Musikstil zwar eindeutig weiter an Härte verloren, ist aber dennoch weit davon entfernt, als poppig bezeichnet werden zu können. Gelegentlich glaubt man sogar, deutliche Jazz-Elemente herauszuhören – was nicht nur an den entsprechenden Instrumenten liegt.
Textlich hat Kaschte die Ebene düsterer Brachialromantik vergangener Alben weitgehend verlassen und bewegt sich nun hauptsächlich im Bereich von, wie sagt man so schön, zum Teil extrem expliziter Lyrik. Das mag man einerseits bedauern, denn das Dichten düsterromantischer Balladen hat der Mastermind wirklich drauf, denkt man an Lieder wie 'Thanathan und Athanasia' oder 'Ein Duell mit Gott' zurück. Andererseits muss man zugeben, dass sie zu der Geschichte, die "Tineoidea" uns erzählt, auch einfach nicht so gut passen würde.
Die einzige Ausnahme bildet der Titeltrack: 'Tineoidea' – auch der einzige Song ohne Zusatztitel – der in der Tradition von Liedern wie genanntes 'Thanathan und Athanasia' steht, was Inhalt, Aufbau und Struktur anbelangt. Es bietet im Gegensatz zu dem als Gesamtwerk zu betrachtenden Rest echte Single-/Hitqualitäten mit einer eingängigen Melodie und dezenteren bis, wie gesagt ausnahmsweise, wieder etwas düsterromantischen Lyrics. 'Tineodidea' entschädigt das Gehirn für die erlittenen Wirrungen und psychischen Schmerzen der Vorgängersongs.
Multitalent Kaschte singt alleine zehn Rollen seiner Oper selbst, komponierte alle Songs, textete und spielte alle Instrumente. Für den Rest konnte er in seinem Werk einige prominente Mitstreiter gewinnen. Susanne Stierle von OPHELIA’S DREAM übernahm den weiblichen Part der Lilith, weiter sind Chris Pohl (BLUTENGEL/TERMINAL CHOICE), Asp (ASP), Max Testory und Elisabeth Kranich (beide CHAMBER), Dirk Riegert (JANUS), Martin Schindler (MANTUS), Susanne Stitz und Thorsten Schneyer (beide ADVERSUS), Constance (BLUTENGEL), Celine C. Angel (SANGUIS ET CINIS) und Johannes Berthold (ILLUMINATE) mit von der Partie.
Ziehen wir ein Fazit:
"Tineoidea" ist, wie gesagt, nicht das beste, aber das mit Abstand krankeste, krasseste und komplizierteste SAMSAS TRAUM-Album.
"Tineoidea" knüpft strukturell an "Die Liebe Gottes" an, ist musikalisch davon aber meilenweit entfernt, was keine qualitative Aussage sein soll, sondern den Unterschied in der stilistischen Fortentwicklung der Band beschreibt.
"Tineoidea" erreicht zu keiner Zeit die Brillanz von "Utopia", ist aber dennoch ein weiterer Meilenstein in Alexander Kaschtes ganz persönlicher Musikwelt, die einfach interessant und hörenswert ist. Um halbwegs durch die CD und ihre Geschichte durchzusteigen, braucht es deutlich mehr Hördurchgänge als auf den Vorgängeralben, ich empfehle mindestens fünf. Was durchaus auch eine qualitative Aussage sein kann, denn für viele CD-Kritiken reicht mir ein einziger Durchgang, um bereits genug davon zu haben.
'Tineoidea' – gemeint ist diesmal der Titelsong – kommt nicht an den Überhit 'Thanathan und Athanasia' heran, besitzt aber dennoch Hit-Qualitäten und reiht sich mühelos in die Liste der besten SAMSAS TRAUM-Songs ein, welche die deutsche Gothic-Szene einfach bereichern.
SAMSAS TRAUM beweisen mit "Tineoidea" wieder einmal, dass sie zugleich eine der interessantesten und meist unterschätzten Gothic-Bands in Deutschland sind.
Trotz der Kritikpunkte Höchstnote.
Anspieltipps: Alle als Gesamtwerk, 'Tineoidea' als Hit und Höhepunkt
- Redakteur:
- Mathias Kempf