SAPHENA - Das Ende einer Wahrheit
Mehr über Saphena
- Genre:
- Post-Core
- ∅-Note:
- 9.25
- Label:
- Whirlwind Records
- Release:
- 20.09.2010
- Das Ende Deiner Allmacht
- Ich sehe mich
- Mehr als einen
- Golden
- Das Erbe
- Bis zuletzt
- Atme Licht
- Ohnmacht
- Deine Stimme
- Die Last meiner Welt
Nach dem Weltuntergang: Postmetallischer Ausblick auf die Postapokalypse
Zäher Staub füllt die Lunge, jeder Atemzug sticht in die Brust wie rostige Klingen. Trümmer allenthalben. Durch die tonnenschwere Dunkelheit bricht allmählich ein Licht seine Bahn, doch der träge, schwefelgelbe Schein verspricht keine Hoffnung, er zeichnet nur vage die Konturen der vollständigen Zerstörung nach. Ein letzter Schritt nach draußen, in eine Welt, die keine Zukunft verheißt, eine Welt, die nicht mehr existiert.
Willkommen am Tag nach der Apokalypse! Selten zuvor hat ein Hörerlebnis Landschaften, Welten, ja ein komplettes Universum der Trostlosigkeit so beeindruckend und greifbar visualisiert, wie dies SAPHENA mit ihrem neuen Album "Das Ende einer Wahrheit" geschafft und geschaffen haben. Angst und Verzweiflung, leise aufkeimende Hoffnung, vernichtende Klarheit, vermittelt mit geradezu physisch fühlbarem Schmerz – wenn Musik dermaßen stark und überzeugend Emotionen hervorrufen kann, und rein akustisch, ohne Zuhilfenahme visueller Stützen, komplette Welten aufzubauen und zum Einsturz zu bringen vermag, kann man sich als geneigter, beeindruckter, erschlagener Zuhörer nur in tiefster Ehrfurcht vor dem Künstler verneigen. Und "Das Ende einer Wahrheit" stellt, das sei auch angesichts der Gefahr, inflationär Superlative zu verpulvern, ein solches Kunstwerk dar.
Bereits die ersten Töne des Openers 'Das Ende deiner Allmacht' entziehen einem jegliche Kraft und Lebensfreude: Mit elektronischen Klängen wird ein düsteres, fahles Bild gezeichnet, welches die Augen kaum fassen können – da bricht auch schon gnadenlos die ganze Grausamkeit einer verlorenen Zukunft über den Hörer herein: Dröhnende, harte Gitarrenriffs, eine alles zermalmende Rhythmusfraktion, sowie schmerzhaftes, anklagendes Geschrei. Doch ehe der Überlebende ohnmächtig kollabiert, lässt der melancholische Refrain mit seinem klaren Gesang aufhorchen – bis dann auch dieses soeben entstandene Luftschloss wieder eingerissen wird.
An dieser Stelle seien, auch wenn eine solch plumpe Beschreibung dem Höreindruck dieses Klang gewordenen Gemäldes nie gerecht wird, die Stilmittel erwähnt, die SAPHENA verwenden: Erinnern die komplexen Rhythmen zunächst noch etwas an Metalcore-Vertreter der späteren Generation, lassen die böse mahlenden Gitarren Harmonien und melodiöse Läufe größtenteils vermissen. Keine Leads, keine Soli. Der düstere, erdige Sound hat einen kalten, techmetallischen Einschlag, und garniert wird diese mächtige Klangwand von dezent eingeflochtenen elektronischen Effekten. SAPHENA schaffen so einen sperrigen, komplett eigenständigen Sound, mit dem sie sich grob gesagt in die weiträumige Schublade des Post Metal stecken lassen könnten – doch das ist im Grunde völlig überflüssig. Vergleiche anzustellen war selten so unangebracht.
Die Single 'Ich sehe mich' treibt voran zur Eile, in verzweifelter Hast zur Selbstfindung, eine mörderische Verfolgungsjagd, bis die öden Ruinen im Licht einer strahlenden Erkenntnis explodieren. 'Mehr als einen' ist dagegen Einsamkeit und böse Verzweiflung pur, geht dabei aber rhythmisch und schließlich auch melodiös dermaßen ins Ohr, dass man sich als Hörer spätestens jetzt, nach Track Nr.3, völlig in den von SAPHENA erschaffenen Welten verliert. Wo andere Bands nun eine Ballade einflechten würden, folgt auf "Das Ende einer Wahrheit" 'Golden': Ein düster polterndes Gemetzel, welches sich bald in einen gar lieblichen Refrain auflöst – auch hier währt der Frieden jedoch nicht lange, Sänger Andreas Herrmann lässt seine zunächst klare Stimme wieder in markerschütternde Schreie zerbersten. Doch nun, etwa zur Hälfte der Spielzeit, keimt leise Hoffnung beim Hörer auf: Das mächtige 'Das Erbe' erscheint wie ein Wegweiser aus dem Tal der vollständigen Vernichtung, hin zu einer neuen Welt – düster, erbarmungslos, doch eine Perspektive, immerhin. Auch wenn 'Bis zuletzt' anschließend in einer schmerzhaften, resignierten Anklage endet, stellt das folgende 'Atme Licht' doch einen greifbaren Lichtblick dar: Zuversicht und Trotz regieren, und ein einziges Mal überstrahlt schließlich freudiger Optimismus die Trostlosigkeit dieser gottverlassenen Erde. Doch als das Album mit 'Deine Stimme' seinen emotionalen Höhepunkt erreicht, ist jegliche Lebensfreude wie ausgelöscht: Hier wird mit schweren Pinselstrichen das Panorama einer kalten, erstorbenen Welt erschaffen, verbittert, voller zwischenmenschlicher Verwüstung und Resignation. Wen dieses Stück pure, klagende Verzweiflung nicht bis ins Mark erschüttert, der dürfte entweder taub sein oder ein Herz aus Stein in seiner Brust tragen.
Ich könnte hier noch ewig so wortgewaltig weiter schreiben, doch ich versuche mich vollends kurz zu fassen: Wer sich bislang nicht an deutschsprachigen Metal gewöhnen konnte, sollte sich schleunigst eines Besseren besinnen! Bei SAPHENAs postmetallischem Meisterstück trägt gerade der Gesang in Landessprache zum Wiedererkennungswert und zur großartigen Atmosphäre dieses sperrigen, wuchtigen, epischen Kunstwerks bei. Die Band war auf meiner Musiklandkarte bislang ein unbeschriebenes Blatt, doch mit diesem Album haben sie mich völlig unerwartet komplett aus den Schuhen gehauen und an die Wand gehämmert! Komplexe Rhythmen, experimentell angehauchte Klänge, dabei aber wieder metallisch im ursprünglichsten Wortsinn, und die Fähigkeit, Welten aufzubauen, komplett einzureißen, vollständig neu erstehen zu lassen, und abermals zu zerstören, so greif- und spürbar wie es kaum eine andere Band des modernen Metal bislang vermocht hat.
Dieser Review ist eine Liebeserklärung und Huldigung an das Album des Jahres 2010! "Das Ende einer Wahrheit". Und nun lasst mich in Frieden sterben.
Anspieltipps: ALLES – aber zum Reinhören tun’s 'Ich sehe mich', 'Mehr als einen', 'Deine Stimme'
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Timon Krause