SATYRICON - Satyricon
Auch im Soundcheck: Soundcheck 09/2013
Mehr über Satyricon
- Genre:
- Black Metal
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Roadrunner (Warner)
- Release:
- 06.09.2013
- Voice Of Shadows
- Tro Og Kraft
- Our World It Rumbles Tonight
- Nocturnal Flare
- Phoenix
- Walker Upon The Wind
- Nekrohaven
- Ageless Northern Spirit
- The Infinity Of Time And Space
- Natt
Ein gewöhnungsbedürftiger, teils verstörender, aber genialer Befreiungsschlag.
Nach der Veröffentlichung und den Touraktivitäten zu "The Age Of Nero" meinten Frost und Satyr, dass sie eine kreative Pause nötig hätten, und wir erinnern uns, dass seinerzeit viele Fans diesen Schritt für nachvollziehbar oder gar notwendig hielten, hatten doch manche das Gefühl, dass die Band in eine stilistische und kompositorische Sackgasse geraten sei. Denn gerade "The Age Of Nero" hatte sich bei genauerer Betrachtung als zwar sehr gutes, aber doch irgendwie stagnierendes Album präsentiert, welches im Gegensatz zu all seinen Vorgängern der Geschichte SATYRICONs keine neuen Facetten mehr hinzufügen konnte. Zu sehr ähnelte es seinen Vorgängern und es machte es sich stilistisch exakt zwischen "Volcano" und "Now, Diabolical" bequem.
Als es dann fünf Jahre später hieß, dass die Band ihren Selbstfindungsprozess abgeschlossen habe und nun - folgerichtig - mit einem selbstbetitelten achten Album zurück kehren werde, war ich natürlich sehr gespannt auf das, was sich mir bieten würde. Konnten sich die Norweger neu erfinden? Stagnieren sie trotz aufgetankter Akkus weiter, oder haben sie gar den Faden vollends verloren? Das sind spannende Fragen, und "Satyricon" hat darauf die nötigen Antworten. Allerdings liegen diese nicht beim ersten Hördurchlauf auf der Hand, sie wollen erarbeitet und durchlebt werden. So ist der erste Anlauf ein wenig verstörend, weist das Album doch ein Klangbild auf, welches wir in dieser Form von SATYRICON nicht gewohnt sind. Zunächst wirkt der Sound seltsam reduziert, ätherisch, entrückt und introvertiert. Weder die schwarzmetallische Grimmigkeit der Klassiker noch der Black'n'Roll-Groove der jüngeren Vorgängeralben drängen in den Vordergrund, ein Stück scheint gar eine Gothic-Schlagseite bekommen zu haben, und es packt dich nichts am Kragen, es fliegt dir keine Streitaxt entgegen.
Was ist also passiert? Hat die Band die Plüschabteilung eines Osloer Kaufhauses gestürmt und sich mit ihren Nick-Cave- und PARADISE-LOST-Platten im Studio eingeschlossen? Nein, das hat sie nicht! Gebt der Scheibe erst einmal drei Durchläufe, ohne euch zu viele Gedanken über musikalische Formalien zu machen. Haltet euch dann zunächst an Satyrs Gesang, und ihr werdet hinein finden, in dieses eigenwillige Album. Denn nach dem kalten, atmosphärischen, von stoischen Riffs geprägten Instrumental-Intro wird euch der norwegisch gesungene Opener 'Tro Og Kraft' sehr schnell packen. Denn ja, die Stimme des Frontmannes erklingt hier charismatisch, grimmig und unbarmherzig wie eh und je, allerdings weniger aggressiv und anpackend als früher, sondern kälter, desillusierter und reflektierter. Das getragene Stück besticht mit einem herrlich flächigen, atmosphärischen Gitarrensound, welcher die Hauptriffs in mattem Glanz schimmern lässt, aber genug Transparenz aufweist, um auch die feinen, fesselnden Leads und das spannende Schlagwerk Frosts aufblitzen zu lassen. Gerade der Drummer besticht auf ganzer Länge des Albums mit vielen kleinen, unaufdringlichen Spielereien, welche meilenweit von der bekannten Selbstdarstellung mancher Extremdrummer entfernt sind. Vielmehr setzen sie ganz feine Akzente, die sich Durchlauf um Durchlauf mehr offenbaren und den Stücken Fluss und Musikalität einhauchen, wie wir dies im Black Metal nur selten finden.
Das Duo legt auf "Satyricon" unheimlich viel Wert auf eingängige, schlüssige Refrains, die allerdings in keiner Weise flach oder kommerziell wirken. Stücke wie das Double-Bass-lastige 'Our World, It Rumbles Tonight' haben das Zeug zu Hymnen, ohne dabei plakativ zu sein. Der Refrain - hier mit dezenten Chören versehen - bohrt sich hinterhältig ins Hirn und plötzlich sitzt man im Auto und singt mit, ohne dass man anfangs damit gerechnet hätte. Auch die gegenläufigen Leads im Instrumentalteil können fesseln. Wo das rhythmisch voran walzende 'Nocturnal Flare' mit seinen mehrschichtigen Riffs auffällt, da birgt der nächste Song den meisten Sprengstoff: Mit 'Phoenix' verlässt die Band den schwarzmetallischen Stilbereich nahezu vollständig. Das Stück ist kitschfrei gruftig, erinnert stark an Nick Cave und wird von der schönen, dunklen und doch klaren Stimme des ehemaligen MADRUGADA-Sängers Sivert Høyem veredelt. Klar, damit begibt sich die Band sehr weit weg von ihren Wurzeln, doch ein toller Song bleibt ein toller Song, der hier als Dreh- und Angelpunkt eines insgesamt deutlich grimmigeren Albums eine dramaturgisch überzeugende Rolle spielt. Mehrere Songs dieser Ausprägung würden mich im SATYRICON-Kontext zwar stören, doch als einmaliges Experiment wirkt er sehr gelungen, zumal instrumental kein Stilbruch zu spüren ist und sich hinreichend schwarzmetallische (Dis-)Harmonien finden, die verhindern, dass die Band in den Kitschnapf tritt. Um diese Rezension nun nicht zum ellenlangen Abhandeln jedes einzelnen Songs ausarten zu lassen, und um euch auch noch etwas zum Entdecken zu lassen, möchte ich an dieser Stelle nur noch erwähnen, dass auch die restlichen Stücke das Niveau der bisher angerissenen Lieder halten und sich mit dem kurzen, rockigen und im Refrain geradezu berstenden 'Nekrohaven' auch noch ein weiterer Volltreffer findet, der sich problemlos unter die ganz großen SATYRICON-Hymnen einreiht. Doch auch dieser ist kein bloßer Aufguss von älteren Hits wie 'Fuel For Hatred' oder 'Black Crow...', da er trotz ähnlicher struktureller Ansätze durch das Klangbild einen gänzlich anderen Ausdruck erhält.
Damit bleibt für mich das Fazit, dass Satyr und Frost ihre kreative Pause ganz hervorragend genutzt haben, um ihren Fans ein spannendes Album zu kredenzen, das die Stagnation des Vorgängers überwindet, den Hörer überrascht und anfangs auch (über-)fordert, sich mit etwas Geduld aber viel schneller öffnet, als man es erwarten konnte. Es besticht mit einer eigenwilligen, seltsam reduzierten und basischen, dabei aber dennoch packenden und differenzierten Produktion, welche die bekannten Trademarks der Band in einem neuen Klangbild erscheinen lässt, das ich schlagwortartig mit "SATYRICON in Matt-Schwarz" umschreiben würde. Einen kleinen Abzug in der Wertung muss es zwar geben, weil es für eine Band wie SATYRICON sehr schwer bis unmöglich ist, heute noch ein Album auf Augenhöhe mit den eigenen wegweisenden Klassikern zu erschaffen. Da aber gleichwohl die Hitquote auch auf "Satyricon" sehr hoch ist, komme ich im Endeffekt zu dem Ergebnis, dass die Band heute kein besseres Album mehr hätte machen können.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle