SELIG - Und Endlich Unendlich
Mehr über Selig
- Genre:
- Rock
- ∅-Note:
- 8.50
- Label:
- Vertigo / Universal
- Release:
- 20.03.2009
- Auf dem Weg zur Ruhe
- Wir werden uns wiedersehen
- Schau schau
- Ich fall' in Deine Arme
- Die alte Zeit zurück
- Ich bin so gefährdet
- Immer wieder
- Lang lebe die Nacht
- Der schönste aller Wege
- Ich dachte schon
SELIG ist zurück. Hey, hey, hey! Ist es wichtig? Ich geh nochmal spazieren. Durch alte und neue Lieder. Mal hören, was dabei so 'rumkommt...
Nach einer halben Generation erschien unlängst ein neues SELIG-Album. Nun war ich nie im eigentlichen Sinne ein Fan der Band, aber die Singles der Neunziger, sofern ich sie damals mitbekam, gefielen mir gut. Damals versuchte die Industrie, den im Vergleich zum damaligen Radioformatrock etwas aufgerauten Sound der Band als Deutsch-Grunge zu verkaufen, was irgendwie doof war aber bei der Zielgruppe anscheinend trotzdem gut verfing. Ist das wichtig? Nein, so wichtig ist das nicht. Wichtiger ist, jedenfalls für mich, dass von den SELIG-Nachfolgeprojekten, derer es mehrere gab, ich seinerzeit in den Genuss von ZINOBA kam; und zwar live. Was Ex- und nun wieder SELIG-Sänger Jan Plewka und Co. damals auf die Bühne brachten war dem SELIG-Sound von ehedem gar nicht so unähnlich, klang allerdings noch ein wenig frischer und perkussiver, und brachte mich bis zum seligen Schluss und völliger Erschöpfung zum Tanzen. Das zugehörige, gleichnamige, einzige Album "Zinoba" dieser spielfreudigen Kapelle gefiel mir auch gut, kam für mich allerdings nicht ganz an die Euphorie der Bühnendarbietung heran. Stücke wie 'Seid was Ihr scheint', 'Der Hype' (ist vorbei), 'Im Grunde', 'Wenn Liebe käme' oder 'Schein schein' vermögen die Rockseele in entspannteren Stunden zwar durchaus zu streicheln, dennoch hörte ich das Album insgesamt eher selten. Dauerhaft angetan dagegen hat es mir, wenn auch nach langer Gewöhnungsphase, ausgerechnet "Blender", jenes letzte SELIG-Album von kurz vor dem Split, welches von einigen Fans ob seiner experimentellen und uneinheitlichen Klanggestaltung am wenigsten gemocht wird. Soviel vorab, denn irgendwie ist Plewkas Schaffen ein einziges Kontinuum, das sich bis heute fortsetzt. Aber kommen wir jetzt zum Wesentlichen...
"Und Endlich Unendlich" heißt die neue Scheibe von SELIG, und das liest sich wie ein Kommentar zur Bandgeschichte. So erklärten die Musiker auch kurz vor Veröffentlichung, dass die Wiederzusammenkunft im Studio musikalisch quasi wie ein familiäres Nachhausekommen abgelaufen sei, sodass sich die neuen Stücke ganz natürlich als Fortschreibung des alten Stils entwickelt hätten. Und so hört sich das auch an. Aus der "Blender"-Zeit, die zur Auflösung der Band führte, dabei aber solch voneinander unterschiedliche und auch für SELIG-Verhältnisse eher anders klingende Stücke wie 'Rauchgemeinschaft', 'Winter' und 'Unterm Regen' abwarf, ist dabei nicht viel übrig geblieben. Ganz ausgeklammert wird sie allerdings nicht; so durfte ich mit Freude feststellen, dass 'Lang lebe die Nacht' Textfragmente aus "Blender"s außergewöhnlich chilligem und positiv gestimmten (und damit für das eher melancholisch/zerrissene Album eher untypischen) 'Asche im Kaffee' beinhaltet: Lass uns wie die reichen Kinder am Strand Scherben wie Perlen in's Glück heben, heißt es da - und nun auch hier. Das passt auch zum Album insgesamt, scheint quasi die Richtung vorzugeben: Weg von der "Alles in allem Zinnober"-Stimmung des depressiven 'Ich geh noch mal spazieren' ("Blender", 1997). Weg aber auch vom zurückhaltend aufmuckenden Fast-schon-Schreiens des schmerzhaften 'Sie hat geschrien' ("Selig", 1994). Ebenfalls weg vom reduzierten, langsam-sämigen, derb groovenden Psych-Bluesrock und gut versteckten Sex-Funk im 'Arsch einer Göttin' ("Hier", 1995). Und damit hin zur Konsensfähigkeit für ein mittlerweile gesetzteres Publikum der Fans aus Nostalgie. Doch das Alles muss ja nicht negativ sein, sofern die Musik für sich genommen gut geworden ist. Hören wir mal...
Zur Eröffnung empfängt uns 'Auf dem Weg zur Ruhe' mit der etwas anderen Aussteigerhymne, die sich als Vision vom zwangsverordnetem Ausstieg aus der Tretmühle des Turbokapitalismus verstehen lässt, dabei aber alles andere als plakativ daherkommt. Höre ich da eine Hammondorgel durch die schlechte Tonqualität des durch meine PC-Boxen hallenden Promostreams? Schön. Und zumindest die Soundqualität der auf der SELIG-Homepage herumschwirrenden Songschnippsel verheißt auch eine bessere Aufnahmequalität als die mir hier vollständig verfügbare. Das lässt hoffen. Das Streicherarrangement von 'Wir werden uns wiedersehen' wirkt etwas glatt, und ob diese Refrainlastigkeit des Liedes sich positiv auf das Langzeithörvergnügen auswirken wird? Erste Zweifel beginnen zu nagen, um sogleich von der irgendwo typischen, jedenfalls eingängigen SELIG-Single 'Schau Schau' verdrängt zu werden; ein schöner Groove, etwas Orgelei, und natürlich Jan Plewkas eindringliche Stimme, die man entweder lieben oder hassen kann. Ich mag sie. Etwas angerauht, aber mit samtig-weichem Unterton. Hippie Metal haben sie wohl mit einem Augenzwinkern ihre Musik genannt, die mit Metal freilich nichts und mit Hippietum allenfalls am Rande etwas zu tun hat. Was diese Musiker seit jeher haben, ist ein Händchen für schöne Melodien, eine Prise Soul im Rockgewand, sowie ihre Furchtlosigkeit vor etwas mehr Bass und angedeuteten Fuzz als sonst im Poprock für möglich gehalten wird. So auch hier. Der frühe LENNY KRAVITZ lässt grüßen. Wenn man sich Zeit nimmt, wirklich zuzuhören, ist "Und Endlich Unendlich" ein gutes Album. 'Ich fall in Deine Arme' als gefühlvolle romantische Ballade in Morgenstimmung, 'Lang lebe die Nacht' als aufgeweckte Hymne, das (auf diesem Album) überraschend verstärkeraufreißende 'Die alte Zeit zurück' mit seinem schiebenden Rhythmus - das sind alles Songs, die Freude machen; selbst wenn letzteres vom Text her eher melancholisch angelegt ist. Das zärtelnde 'Ich bin so gefährdet' verweist grobklotzige Kopisten wie JOACHIM DEUTSCHLAND in die Schranken ihrer Fähigkeiten. Einzig das leicht banale, dafür aber gut tanzbare 'Immer wieder' fällt etwas ab. Doch dann, dann - 'Ich dachte schon' - folgt schließlich doch noch eine dampfende, bluesige, schleppend langsame Rockballade im guten alten SELIG-Stil. Fast schon hendrixianisch muten ihre solistischen Licks an, ganz sehnsuchtsverhangen leidet Plewkas Gesang vor sich hin, und das ganze wird uns dann von der Rhythmusfraktion auch noch in einen eng schwofenden Takt gewickelt: Super. Zum Zappeln und Abrocken wird dann kurz vor Schluss, in 'Du siehst gut aus', noch einmal recht solide das Rock-Pedal durchgedrückt, bevor SELIG allen Romantikern mit 'Traumfenster' zum Ausklang noch eine sechseinhalbminütige, nur ganz leicht schwülstige Ballade schenkt.
Ja, doch, wenn man sich erst einmal eingehört hat, dann ist "Und Endlich Unendlich" ein richtig gutes Album geworden. Und somit hat sich die Rückkehr von SELIG auch ohne stilistische Neuerfindung oder maßgebliche Weiterentwicklung gelohnt. Und für eine irgendwie klassische Deutschrockband sind auch die Texte auf überdurchschnittlichem Niveau; nicht aufregend verschlüsselt, wortwitzig, ironisch oder hochgestochen, doch alles andere als peinliche Versatzstücke aus dem Phrasenbaukasten. Wer unaufdringlichem, handwerklich rundum hochwertigem Rock mit allem Pipapo, leichter Pop-Songwriter-Tendenz und einigen zauberhaften Momenten etwas abzugewinnen weiß, sollte diesen Liedern ein paar Umdrehungen gönnen.
Höhepunkte: 'Auf dem Weg zur Ruhe', 'Lang lebe die Nacht', 'Ich dachte schon'.
- Note:
- 8.50
- Redakteur:
- Eike Schmitz