SEPULTURA - A-Lex
Mehr über Sepultura
- Genre:
- Metal
- Label:
- SPV
- Release:
- 23.01.2009
- A-Lex I
- Moloko Mesto
- Filthy Rot
- We've Lost You
- What I Do
- A-Lex II
- The Treatment
- Metamorphosis
- Sadistic Values
- Forceful Behaviour
- Conform
- A-Lex III
- The Experiment
- Strike
- Enough Said
- Ludwig Van
- A-Lex IV
- Paradox
Einfach machen SEPULTURA es einem mit ihrem neuen Werk auch nicht, was verständlich ist, wenn man die Vorlage dazu betrachtet. Weiterhelfen tut das einem allerdings nicht..
Vier verdammte Tage hat es gebraucht, mich zu überwinden diese Platte überhaupt anzufassen. Vier Tage, in denen man beginnt am eigenen Verstand zu zweifeln. Vier Tage, in denen man sich fragt, wie schwer man ein Album überhaupt mit Erwartungen beladen kann. Und vier Tage, vor denen man sich eigentlich noch vorgemacht hat, bei SEPULTURA in diesen Tagen überhaupt keine Erwartungen haben zu können.
Letztendlich war es die Pflicht gegenüber Powermetal.de, die mich anfangs dieses Monats dazu getrieben hat die Platte überhaupt anzuhören. Allerdings wollte ich diesem Ereignis nicht vollkommen hilflos ausgeliefert sein, ich wollte wenigstens die Bedingungen dieser Gegenüberstellung diktieren können. Berlin sollte der Schauplatz sein, die Zeit der düstere Abend, wohlgewählt, wie sich letztendlich herausstellte. Achtzehn Songs, in handliche mp3-Form gegossen, und ich, alleine unter Tausenden in dieser Stadt. Zehn Minuten stilles gehen durch die Straße, und schließlich überwindet man sich, und drückt das vielsagende Dreieck.
Nicht einmal eine Stunde später wird einem durch das Rauschen in den Ohren gewahr, dass man es hinter sich hat. Geschafft hat. "A-Lex" gehört hat. Und in dieser Stunde in einem Stadtteil gelandet ist, den man nicht einmal vom Hörensagen her kannte. Und irgendwie fehlt vollkommen die Erinnerung, wie man hier überhaupt hergelangt ist. Der Selbsterhaltungstrieb des Menschen hat wohl verhindert, dass man vollkommen weggetreten über rote Ampeln läuft und sich vom nächstbesten Berliner plattfahren lässt. Auch die Erinnerung an die Musik fehlt, die man diese knappe Stunde eigentlich hätte hören müssen. MÜSSEN!
Der Rückweg gleicht einer Odyssee, und beim erneuten abspielen der Platte reift schnell die Erkenntnis, dass diese Odyssee nicht nur den Weg durch Berlin betrifft.
Zu aller erst steht man vor einer Wand. Wobei man sich "Wand" hier viel zu gleichförmig vorstellt. Es ist keine Wand im eigentlichen Sinne, es ist ein Relief, eine Mauer voll mit Dingen, die im Drang aus dieser auszubrechen erstarrt sind, wie eine Felswand, die mitten im Sturz auf dich zu, vergessen hat, was sie eigentlich vorhatte.
Beim genaueren Betrachten dieser Wand, die einem zuerst unglaublich düster und schwarz vorkommt, stellt man fest, dass sie gar nicht so düster ist. Man sollte nicht den Fehler begehen, sie bunt zu nennen, denn die vorherrschende Farbe ist schwarz. Und still steht diese Mauer eigentlich auch nicht. Es herrscht geschäftiges Treiben, manchmal rasen die Formen, die dieser Wand inne sind, so schnell durch dieses Gebilde, dass man ihnen kaum folgen kann, und manchmal strebt diese Bewegung wie in Lähmung gefangen.
Bei all dieser Betrachtung fällt einem erst garnicht auf, dass diese Wand genau das ist, was einem davon abhält, in vertraute Gefielde zurück zu kehren, nach Hause. Doch als man es tut, braucht es seine Zeit, diese Wand zu betrachten, bis man entdeckt wie man durch sie hindurch kommt: die vollkommene Zurücklassung von allem, was einen hierhergeführt hatte.
Sobald man die Wand durchquert hat, sieht man genauer. Man hört genauer. Und man weiß, womit man es zu tun hat:
'A-Lex I' - die Einstimmung auf das, was einen erwartet. Zuerst ruhig, fast wie in einem Film, dann der dröhnende Gitarrensound, partiär Drumspiel. Nicht viel, aber es zeigt, dass man keine Gnade zu erwarten hat, wenn man hier durch will.
'Moloco Mesto' - knallharter Einstieg, wütender Gesang, Zeugnis von der kompromisslosen Härte, zu der diese Band immernoch imstande ist. Und gleichzeitig ein Zeichen dafür, wie schwer es ihr fällt, dies überzeugend rüber zu bringen. Der Sound klingt irgendwie falsch... nicht echt, obwohl makellos produziert.
'Filthy Rot' - erste bekannte Klänge, man schöpft Hoffnung, wird aber sehr schnell wieder enttäuscht: keine bekannten Merkmale im Song, die einem das Weiterkommen ermöglichen. Umso klarer wird: Erfolg hat nur der, der sich vollkommen neu orientiert und seine Erfahrung aufgibt. Das stakkatohafte Konzept des Songs wird zur Bürde, die man schwer abschütteln kann.
'We've Lost You' - Zartes Gitarrenschwingen, das letztendlich doch in tonnenschweren Riffs ersäuft. Der Rhythmus gibt einem zum ersten Mal auf diesem Album so etwas wie eine Richtung vor, der man folgen kann. Und verzweifelt wie man ist, tut man das auch. Derrick grölt passend dazu mit seiner tiefen Stimme, dann wieder Soli. Und doch passt es. Hoffnung keimt auf, man hält sich daran. Dieser Song führt, er lässt nicht alleine.
'What I Do' - es geht weiter. Und doch nicht weit genug, das Konzept, diese beiden Songs hintereinander zu staffeln, geht voll auf. Die Richtung, die 'We've Lost You' vorgegeben hat, schwingt dieser Track kraftvoll mit, genau das Richtige. Gitarren, da wo sie hingehören, kraftvolles Drumming und Derricks Stimme so vertraut wie eh und je. Weiter so, nicht aufhören...
'A-Lex II' - verdammt. Die Szenerie verschiebt sich, der Sumpf, durch den man watet, bleibt, aber die Umgebung ist anders. Wieder diese Klänge, die einem das Gefühl der Ziellosigkeit geben. Und wieder setzt der vertraute und doch so uninspiriert dröhnende Klang der Gitarre ein, der einen weiter vorschiebt, egal ob man will oder nicht.
'The Treatment' - Gottverdammt, was ist das? Dieser Song klingt nicht nur wie eine Schlägerei auf der Straße, die aus dem nichts voll entbrennt, sie fühlt sich auch so an. Stampfender Rhythmus, Paulos Bass treibt einen weiter, ob man will oder nicht, und Derrick brüllt sich dazu die Seele aus dem Leib. Sehr stilsicher, andererseits auch extrem irritierend.
'Metamorphosis' - die Odyssee geht weiter. Vertrackt ist er, dieser Song, und so irreführend in seinem Aufbau, dass man sich kaum wagt, weiter daran festzuhalten. Doch ohne ihn findet man nicht zurück, eins führt zum anderen, und so bleibt einem nichts anderes übrig sich durch das verquere Konzept dieses Songs zu kämpfen, in dem mitreißende Riffings sich abwechseln mit störenden Breaks, die wahrscheinlich genau das sollen, und mit Einlagen von nachdenklicher Stimmung.
'Sadistic Values' - schon wieder diese verquer-nachdenkliche Stimmung. Und Derrick singt, endlich etwas bekanntes, diese Stimme kennt man, schätzt man. Und man folgt ihr. Und wird in eine bittere Mischung aus Dissonanz und Verstimmung geworfen, in der die letzten Sekunden als rettendes Ufer erscheinen.
'Forceful Behaviour' - unglaublich schnell, und durch seine grellen Riffings einigermaßen vertraut, es geht vorwärts, es geht vorwärts.
'Conform' - die ersten Sekunden ein Schock: wo hat man sich denn hierhin verirrt? Sind das nicht KORN? Erst als Derrick erklingt, weiß man, dass hier etwas nur verdammt ähnlich klingt. Ansonsten ist der Song eher ein krawallartiges Intermezzo, das durchaus mitreißen kann, und vor allem: von dem man sich mitreißen lässt.
'A-Lex III' - das nunmehr bekannte Prozedere, irreale Klänge, bald abgelöst von dröhnendem Gitarrensound, hartem Riffing, kein Gesang, keine Leitung, man findet alleine weiter.
'The Experiment' - die Texte sind es, die einen hier weiterführen. In den anderen Songs erinnern sie stets an das, worum es geht, während die Instrumentalfraktion dafür sorgt, dass die richtige Stimmung aufkommt. Man folgt, wenn auch nicht freiwillig... wieder kommt das Gefühl auf, dass man sich hier nur durchwagt, weil man es muss. Das Auge zwingt man, offen zu bleiben.. man will nicht stolpern.
'Strike' - Ja, verdammt! Erleichterung: der Song braucht nicht lange, bis man sich auf ihn stürzt, als etwas, das in seiner Neuheit gleichsam bekannt vorkommt und das einen sicher hierdurch führt. Andreas packt die Solikiste aus, die man so ewig lange vermisst hat, ein Leuchtturm in der wabernden Finsternis, hier diktiert die Kisser'sche Gitarre wie schnell es vorwärts geht, und das ist auch gut so, denn sie ist das einzig vertraute Element, das sich hier zeigt. Der erste Teil der Strecke, dem man hinterhertrauert..
'Enough Said' - dieser Song macht ENDLICH klar, warum einem der Weg so schwer fällt: es geht auf und ab. Keine stete Steigung, kein Gefälle, kein klarer Weg an dem man sich orientieren kann. Letztendlich beschleicht einen das Gefühl, dass es am Ende dorthin führt, von wo man die Rückkehr nach Hause eigentlich begonnen hat. Kein gutes Gefühl.
'Ludwig Van' - Bam! Ein Kasten fällt aus der Schwärze, und eine in gleißendes Licht getauchte Bühne kommt daraus zum Vorschein, auf der SEPULTURA hemmungslos und mit viel Spaß an der Sache zu Beethoven abgehen. Wirkt fast irreal in dieser Umgebung.
'A-Lex IV'- irreal ist gut. Letztendlich bleibt dieser Song auf dem Teppich, was doch recht irritiert, ruhig lässt er es angehen, und mit fernen Drumspiel unterbrochen zu werden. Der vierte im Bunde gleicht seinen Brüdern bis auf die Struktur überhaupt nicht.
'Paradox' - es ist ein Tritt in den Hintern, der einen aus dem Album wirft. Und bevor man überhaupt mitkriegt, worum es hier überhaupt geht, ist der Song schon zu Ende und man kracht mit knirschenden Knochen auf das Berliner Pflaster, direkt vor der eigenen Haustür.
Die zweite Reise durch die Platte hinterlässt viele deutliche Spuren im Geist. Und es dauert eine Weile, bis man sich dessen gewahr wird, was sie eigentlich ausgemacht hat. Vielschichtig war die Welt durchaus, aber auch verquer, unbequem und irritierend. Und an Düsternis nicht zu überbieten, dachte man schon, dass Dantes Reise durch die Hölle das Maximum an Finsternis darstellen würde, so kann man sich gewiss sein, dass die Reise des Alex noch viel finsterer ist... und nicht annähernd so greifbar.
Und auch wenn man sich nicht sicher ist, ob man in diese Welt zurückkehren will, kann man letztendlich doch nicht anders. Und entdeckt jedes Mal etwas Neues, obwohl der verstörende Hintergrund bleibt. Es sind wenige Songs, die einem wirklich das Gefühl geben, hier etwas in der Hand zu haben, zu viel ist hier so kantig und schroff.
Man fühlt sich müde, wenn man diese Reise geschafft hat, unglaublich müde, und man ist sich nicht sicher ob es sich gelohnt hat, sie überhaupt auf sich zu nehmen. Das beklemmende Gefühl in der Magengrube soll wirklich alles sein, was einem "A-Lex" mitgibt?
Letztendlich reift die Erkenntnis, dass man "A Clockwork Orange" nicht anders umsetzen kann. Wer die Geschichte kennt, findet sie auch in diesem Album perfekt umgesetzt wieder, in Stimmung und Text, in allem, was sie ausmacht. Und doch MUSS ein Album mehr sein, als die stilechte Umsetzung einer Geschichte, ein Album, gerade wenn es unter einem Namen wie SEPULTURA firmiert, muss für sich alleine stehen können. Und das schafft dieses Album nicht. Das ist wie ein Weg, den man einmal gegangen ist, und für die Erfahrung dieses Weges dankbar ist, ihn jedoch im Traum kein zweites Mal gehen würde.
Zwangsläufig stellt man sich die Frage, ob SEPULTURA sich ihres Weges überhaupt gewahr sind, denn mit diesem gleichzeitig so genialen wie irritierenden Album haben sie einen Weg eingeschlagen, auf dem man sich ohne weiteres verlaufen kann. Und zum ersten Mal seit langer Zeit hofft man, dass sie doch noch umkehren.
Anspieltipps: Strike, What I Do, We've Lost You
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- Redakteur:
- Michael Kulueke