SEPULTURA - Dante XXI
Mehr über Sepultura
- Genre:
- Hardcore/Thrash
- Label:
- Steamhammer / SPV
- Release:
- 17.03.2006
- Lost
- Dark Wood Of Error
- Convicted In Life
- City Of Dis
- False
- Fighting On
- Limbo
- Ostia
- Buried Words
- Nuclear Seven
- Repeating The Horror
- Eunoe
- Crown And Miter
- Primium Mobile
- Still Flame
Es ist zum Haareraufen!
Da entwickeln sich die Ex-Thrashikonen von SEPULTURA nach dem Stilbruch vor knapp acht Jahren immer weiter in die richtige Richtung, werden von Album zu Album stärker, veröffentlichen mit "Roorback" ein Album, das von musikalischer Tiefe zeugt, und mit der "Revolusongs" eine Scheibe, die von der dazugehörigen Weitsicht zeugt, legen live regelmäßig komplette Konzerthallen in Schutt und Asche, zeigen ob der allgegenwärtigen Max-Referenz nicht die geringste Schwäche und dann, als die ganze Welt eine glorreiche und fulminante Rückkehr zur Klasse alter Tage erwartet, machen sie den größten Fehler ihrer Laufbahn.
"Dante XXI" heißt das heiß herbeigesehnte neue Album der brasilianischen Ausnahmemusiker. Andreas Kisser, Paulo Jr., Derrik Green und Igor Cavalera haben sich Zeit gelassen, und nachdem "Roorback" die nötigen positiven Rückmeldungen eingebracht hat, haben sie sich an richtig schweren Stoff gewagt: Nichts weniger als "La Divina Commedia", geschrieben am Anfang des 14. Jahrhunderts vom italienischen Dichter Dante Alighieri, wird auf dem Album vertont, und zwar Schritt für Schritt, jeder Song steht für ein eigenes Kapitel der Saga um Dantes gefährliche Reise durch die Unterwelt hinauf zum Paradies. Hierbei beweist alleine schon das Design der Platte große Sorgfalt: Die Gestaltung von Booklet und Inlay mit psychedelisch-comicartigen Zeichnungen ist ein wahrer Augenschmaus und passt stimmig zu der auf Platte gebrannten Musik.
Das Hörerlebnis lässt sich schwer in Worte fassen, das Ganze ist ziemlich tragisch.
Voller Erwartung legt man die Platte ein, und von der ersten Sekunde an umfängt einen ein Intro, das vor düsterer Atmosphäre nur so strotzt, Dantes Eintritt in die Hölle ist gelungen.
'Dark Wood Of Error' entpuppt sich als beinhartes und verdammt schnelles Thrashgewitter, das Lust auf mehr macht. Das Gitarrenspiel läuft enorm dynamisch durchs Ohr, während die Basssektion dafür sorgt, dass auch genug Schaden angerichtet wird, während Drums hinterher den Rest in Schutt und Asche legen. Fulminanter Start, die Spannung steigt.
'Convicted In Life' kommt um einiges schroffer daher, dafür keinen Deut weniger energiegeladen. Großartiges Ohrenkino, mit Derriks starker Stimme ein wahrer Nackenbrecher. Doch bevor man überhaupt anfangen kann, sachte mit dem Kopf zu wippen, fängt auch schon 'City Of Dis' an, ein wenig verspielter, mehr Druck auf Bass und Drums, dafür mit verspielter Gitarre. 'Faise' schließt den Knüller-Hattrick bravourös ab, donnernde Drums mit grellem Gitarrenspiel, knallender Bass mit Derrik in Schreihöchstform, abwechselnd in drohenden Passagen mit weniger Tempo, zwischendurch gibt es aber noch einmal die grobe Kelle. Das vertrackte 'Fighting On' schließt das erste Kapitel würdig ab.
Der nächste Teil besteht mit 'Ostia', 'Buried Words', 'Nuclear Seven' und 'Repeating The Horror' aus drei sehr verspielten, aber dennoch kräftigen HardCore/Thrash-Bastarden, die zwar die Energie der fünf Vorgänger besitzen, aber dennoch auf mehr Atmosphäre setzen. Dies sind die Songs, auf denen Derrik die Stärke seiner Stimmbänder voll auslotet und damit markante Breitseiten in Richtung derjenigen schickt, die den so genannten Brüllwürfel Max Cavalera immer noch vermissen.
Mit dem dritten Kapitel kommt das große Klangerlebnis, SEPULTURA spielen hier ihre in mehr als 20 Jahren Bandgeschichte angeeignete große Stärke aus: ihre Lust zu experimentieren. Wer hier an Tribalelemente und düstere Computersamples wie zu "Roots"-Zeiten denkt, denkt nicht weit genug: SEPULTURA entdeckten ihre Lust am Orchestralsound, und bauten so immer wieder verschiede Samples und Soundelemente in ihre Songs ein, was dem Album eine viel größere Tragweite gibt und vor allem die Macht der Platte zementiert.
Dass das Ganze als Soundtrack konzipiert ist, wird schnell klar. Zwischendurch gibt es immer wieder eingefügte Samples, die die dichte und vor allem düstere Atmosphäre verstärken und den Hörspaß zuverlässig im oberen Bereich der Skala halten.
Das große Manko der Platte wird erst offenbar, wenn man sie durchgehört hat und danach auf die Uhr schaut.
Nicht einmal vierzig Minuten Gesamtspiellänge bei 15 Tracks. Extrem dürftig.
Beim zweiten Durchgang hat man es schon schwerer, weil man sich näher auf den Song einlassen will, tiefer in die Platte eintauchen will, aber das gelingt einem nicht: Jedes Mal wenn man es versucht, ist der Song schon vorbei, die Atmosphäre wird grob zerrissen und ein neues Stück wird eingeleitet. Und das ist nicht nur einmal so. Beinahe JEDES MAL.
Eine Platte, die ihre Energie mit jeder Menge Atmosphäre bündelt, um daraus ein wahres Bollwerk an Hörgenuss zu kreieren, braucht Zeit, Zeit und noch mehr Zeit. Wenn man versucht, so was in knapp vierzig Minuten abzuhandeln, kann man nur auf die Schnauze fliegen.
Was nicht nur eine derbe Enttäuschung ob der immensen Erwartungen VOR dem Release des Albums darstellt, sondern auch die Erkenntnisse DABEI bekommen einen bitteren Beigeschmack, wenn man bemerkt, dass zum Bangen zu wenig Zeit ist, oder zu wenig Zeit, um sich zurückzulehnen und die brillant durchstrukturierten Songs mit ihrer Welt aus "Die göttliche Komödie" genießen zu können!
Aus der Enttäuschung wird schnell Frust, weil man begreift, dass das nicht sein musste. Man hört es jede Sekunde heraus: Da waren Leute am Werk, die das großartige Potenzial hatten, mit der Idee und ihrem Können auch Großartiges zu vollbringen, aber daraus wird nichts: Bevor man sich der Begeisterung hingeben kann, wird der nächste Track eingeläutet, was so ziemlich alles kaputt macht.
Es ist ein Desaster ohne Gleichen; SEPULTURA verbauen sich hier trotz Kreativität und Energie die Rückkehr zum Ruhm alter Zeiten, weil man den einzelnen Songs nicht genug Zeit mitgibt, um sich zu entfalten.
Und so wird aus der Platte des Jahres, der Platte, die schon im März mit nicht zu toppender Atmosphäre, reichlich Energie und Wut und einer großen Portion kulturhistorischen Backgrounds aufwartet, so wird aus der "Dante XXI" die Enttäuschung des Jahres.
Leider.
Anspieltipps: Alles. Und gar nichts.
- Redakteur:
- Michael Kulueke