SHINING - Shining
Auch im Soundcheck: Soundcheck 09/23
Mehr über Shining
- Genre:
- Black Metal
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Napalm Records / Universal Music
- Release:
- 15.09.2023
- Avsändare Okänd
- Snart Är Dom Alla Borta
- Allt För Döden
- Fidelis Ad Mortem
- Åttahundratjugo (Erik Satie Cover)
- Den Permanenta Sömnen Kallar
Eine Lehrstunde in der Vergänglichkeit des Seins, zum Guten wie zum Bösen.
Gut fünf Jahre nach dem zehnten Studioalbum "Varg Utan Flock" kehren Kvarforth und seine Mannen zurück und servieren uns den Nachfolger "Shining", ganz schlicht nach der Band selbst benannt. Einer solchen Titelgebung wird ja gerne die Bedeutung zugeschrieben, dass eine Band nun endlich ganz und gar zu sich selbst gefunden habe und dem Fan nun die Essenz ihrer Existenz präsentiere. In solchen Fällen fragt sich der Rezensent dann gerne, was die Band dann in den 27 Jahren davor meinte, aufgenommen und veröffentlicht zu haben. Glücklicherweise verschont uns die Promoinfo, die ansonsten durchaus nicht mit Superlativen geizt, mit derlei Zuschreibungen und belässt es dabei, uns auf "eine abwärts gerichtete Reise in Stereo" vorzubereiten, welche "die Welt in eine hypnotisierende, unentrinnbare Dunkelheit tüncht", und damit ist das neue Werk von SHINING tatsächlich gar nicht so schlecht umschrieben.
Schon der Opener 'Avsändare Okänt' macht klar, dass die Band beabsichtigt, den Tod frei Haus zu liefern, und zwar in all seinen Facetten: Schockierend, plötzlich, aber auch dräuend und quälend, oder am Ende, erlösend. Diese Romantik um den Tod, nicht zuletzt den eigenen, ist das Markenzeichen der Band schlechthin, und untrennbar mit SHINING und Kvarforth verbunden, die nicht umsonst als tragende inspirative Säulen der Bewegung angesehen werden, die sich heute DSBM nennt. Eine Romantik, die in ihrer oft verklärenden Weise zu Recht nicht einhellig auf Lob und Begeisterung trifft, sondern auch harsche Kritik erfährt. Der Absender der Botschaft ist also - entgegen dem Titel des Songs - ganz und gar nicht unbekannt, sondern genau dafür berühmt und berüchtigt, dass er ganz ungeniert mal dynamisch rockend, mal unbarmherzig rasend und mal in dunkler, akustischer Romantik zerfließend vom Schnitter kündet, der "kompt auf ein Schiff, geladen bis an sein' höchsten Bord".
Dass sich die Band "brutaler als je zuvor" präsentiere, wie die Propaganda ebenfalls zu wissen glaubt, lässt sich indes schwerlich bestätigen, denn am Ende ist "Shining", wie es die Band seit vielen Jahren zelebriert und lebt, die Singer/Songwriter-Variante von Black Metal, in welcher die Düsternis primär durch die Lyrik und durch die Stimmung transportiert wird, und nicht durch musikalische Härte und Unbezähmbarkeit, die - gleichwoh - natürlich ebenfalls und weiterhin existieren. Doch sind bei SHINING auch anno 2023 nicht die Raserei und nicht der Blizzard die Mittel der Wahl, sondern vielmehr die sinistre Melodieführung in Molltonarten, die vorzugsweise in den akustischen Einschüben auf dem Piano oder der Akustikgitarre ihre ganze Kraft entfalten. So bringen zum einen die von SHINING allein am Piano dargebotene Fremdkomposition 'Åttahundratjugo' (im Original vom französischen Komponisten Erik Satie, 1866-1925) und zum anderen das über weite Strecken allein von Akustikgitarren und Bass getragene, und später um vertrackte, trippige Perkussion ebenso wie um monolithische Gitarrenakkorde in bester TIAMAT-Tradition und um klassisch-metallische Wundersoli vermehrte Chorkonzept 'Fidelis Ad Mortem', die quintessenzielle Stimmung dieses Werkes perfekt auf den Punkt.
Natürlich findet sich diese Vanitas-Romantik aber ebenso sehr in allen fünf, zumeist an die zehn Minuten langen Eigenkompositionen wieder, so etwa in 'Snart Är Dom Alla Borta', das sich zunächst nachdenklich und reflektiert damit befasst, dass bald alles vergangen sein wird, und alle gegenangen sein werden, was und wen man stets, sein Leben lang als gegeben angesehen hat. Die zweifelhafte und verzweifelte Pointe des Stückes ist dabei der lyrische Twist, ob gerade diese Befreiung von den Gegebenheiten das Aufstreben der eigenen Seele bedingt, was sich musikalisch in einem euphorisch gen Himmel strebenden Gitarrensolo zeigt, dem sich eine düstre, melancholische Zupfgitarrenepisode anschließt, bevor das Stück für eine ganze Zeit in völlig wahnhafte, ungezügelte Aggression verfällt, die in doomige, schicksalhaft dräuende Heaviness übergeht.
Auch der Dreh- und Angelpunkt des Albums, der ausladende Zwölfminüter 'Allt För Döden' beginnt in dunkler Songwriter-Manier mit grummeldem Sprechgesang, bevor ein klassisches Warrior-"Uh!" walzendem Black Doom Rock in getragenem Midtempo Bahn bricht, zu dem sich Kvarforth die Seele aus dem Leib schreit, schmerzverzerrt, agonisch, und trotzdem gut verständlich und damit umso packender, stets sich steigernd bis in die blanke Raserei, die - natürlich - wieder durch eine Vollbremsung kontrapunktiert wird, die euch akustische Klanglandschaften erschließt, durch die ein melodisches Solo schneidet. All dies bevor sich die Coda des Stückes über doomigen Dunkelrock mit militaristischem Marschflair anbahnen lässt, was natürlich zu Konzept und Titel passt, dessen Kadavergehorsam dem Heerführer Tod gegenüber selbstredend ebenfalls kritisch betrachtet werden kann, ja soll, dem künstlerischen Konzept der Band als immerwährender Danse Macabre aber voll entspricht.
Ja, natürlich haben wir es nach wie vor mit Black Metal zu tun, und natürlich begegnen uns auch brutale Härte und Raserei, in allen Stücken, außer den beiden vorstehend erwähnten Ausnahmen. Vor allem jedoch geschieht dies im abschließenden Stück 'Den Permanenta Sömnen Kallar', doch auch hier ist es nicht die durchaus vorhandene wilde Jagd, die den emotionalen und packenden Kern des Stückes ausmacht, sondern es ist genau der Kontrapunkt: Das ruhige, getragene Mittelstück, das Kvarforth mit klarer Stimme zum Besten gibt, bevor er sich danach über einen grollenden, schimpfenden Duktus in Rage redet und der Band den Weg dorthin bereitet, über ein herrliches melodisches Gitarrensolo in offene, mythisch-mystische Klangfelder zu gelangen in denen sich die Spur des Protagonisten letztlich langsam verliert. Ganz dem konzeptionellen Ansatz treu, den SHINING seit Jahren verfolgt, kulminiert das Werk nicht in einem Paukenschlag sondern im erlösenden Verhallen als Echo eines Stückes voller Drangsal und Anmut als eine Lehrstunde in der Vergänglichkeit des Seins, zum Guten wie zum Bösen.
Es bleibt also eine neuerlich meisterhaft komponierte und inszenierte Ode an das Ende, die durch ihre vielfältigen Stimmungen, ihre stilistische Progressivität und ihre lyrische und stimmliche Intensität emotional tief zu berühren vermag, die allerdings - so die berechtigte Kritik an Kvarforth - durchaus Raum für Interpretationen lässt, die nicht für jeden potentiellen Hörer in jeder Situation geeignet sind. Der Verfasser dieser Zeilen empfindet es völlig subjektiv als bereichernd und teils auch befreiend, sich in dieser Form mit dunklen Gefühlen zu befassen, doch dies ist sicherlich nicht repräsentativ. So brillant Kvarforth als Musiker, Komponist und Lyriker sein mag, so kontrovers und durchaus kritikwürdig sind seine Inszenierung und sein unablässiges Festhalten an der künstlerischen Aufarbeitung des eigenen Ablebens, und all jener Dinge, die selbiges zu beschleunigen vermögen. Es gibt nicht wenige Kritiker und Metalfans, denen diese Fixierung auf das Thema Suizid stark auf den Magen schlägt, vor allem weil sich der Protagonist auch weit über die reinen Albenkonzepte hinaus diesem Thema verschrieben hat und es in Interviews etwa als Kompliment verstanden wissen will, wenn er erfährt, dass seine Musik als Soundtrack oder gar Inspiration zu Selbstverletzungen bis hin zu Selbsttötungen dient. Dies und auch seine Haltung zum Konsum von Drogen wie Kokain, darf man mit Fug und Recht als äußerst problematischen Umgang mit den eigenen Fans ansehen, gerade wenn es sich um den Vordenker einer stilprägenden Band handelt, die durch ihre Lyrik und Ästhetik auch und besonders Menschen in schwierigen Lebenslagen anzusprechen in der Lage ist.
Nun sind Kunst und Inszenierung ein vielschichtiges Feld und der Verfasser dieser Zeilen ist weder euer Erzieher noch ein Psychologe, und er fühlt sich auch nicht zum moralischen Werturteil über Kvarforth berufen. Vielmehr ist er sich schlicht bewusst, dass Kunst, welche negative Emotionen und Erfahrungen des Musikers und Hörers spiegelt, sowohl aggravierend als auch kathartisch wirken kann, wie es schon weiland zu Goethes Zeiten mit "Die Leiden des jungen Werthers" der Fall war. Von daher haben wir uns entschieden, dass SHINING und Kvarforth bei uns zwar weiterhin Thema sind und von uns bespochen werden. Gleichwohl liegt ihr uns am Herzen, und daher möchten wir euch an dieser Stelle drauf hinweisen, dass Suizid regelmäßig die Folge einer schwerwiegenden Erkrankung (z.B. Depression) ist, die erfolgreich hätte behandelt werden können, es gibt für solche Fälle stets alternative Problemlösungen und Möglichkeiten der Krisenbewältigung. Wenn ihr euch also in einer Lage befinden solltet, die euch ausweglos erscheint, bitten wir euch darum, euch an Menschen zu wenden, deren professioneller Auftrag es ist, euch in solchen Lebenslagen zu helfen:
https://www.deutsche-depressionshilfe.de/
https://www.diskussionsforum-depression.de/
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle