SIGH - Gallows Gallery
Mehr über Sigh
- Genre:
- Avantgarde Metal
- Label:
- Candlelight / Soulfood
- Release:
- 21.11.2005
- Pale Monument
- In A Drowse
- The Enlightenment Day
- Confession To Be Buried
- The Tranquilizer Song
- Midnight Sun
- Silver Universe
- Gavotte Grim
- Messiahplan
- -
- The Tranquilizer Song (David Harrow Mix)
Die Band heißt nicht nur "Seufzer", sondern bringt den Schreiber auch zum Seufzen. Nicht, weil sie schlecht wäre, Gott bewahre, ganz im Gegenteil. Aber sie macht es einem sehr schwer, ihre Musik in Worte zu fassen. Die Japaner, die einst zu Anfang der Neunziger als Black-Metal-Band auf Euronymous' Label ihr Debüt feierten, sind heute derart einzigartig, vielschichtig und innerhalb der Metalszene unkonventionell, dass sich zunächst kaum Worte für ihr Schaffen finden lassen. Versucht man es, dann sind wahnsinnig und irrwitzig wohl die ersten Vokabeln, die durchs Hirn schießen. Wenn man sich jedoch eindringlich mit der Scheibe befasst, dann wachsen die Bezugspunkte ins Unermessliche. Es ergießt sich ein wahres Füllhorn an musikalischen Einflüssen und künstlerischen Anknüpfpunkten, so dass es im Endeffekt nicht mehr schwer ist, Worte zu finden, sondern eher sich auf das Wesentliche zu beschränken und irgendwo einen Punkt zu machen. Um euch und mich nicht zu überfordern, versuche ich (vermutlich erfolglos) mich zu mäßigen:
"Gallows Gallery" ist definitiv avantgardistisch, weil es im Metalbereich eigentlich keine, oder wenn, dann nur ganz wenige Bands gibt, die jemals eine solche Menge vielfältiger Einflüsse zu einer homogenen Mischung verbunden haben. Dabei merkt man, dass Mastermind Mirai Kawashima nicht einfach "nur" ein Metalmusiker ist, sondern ein professioneller Komponist, der von Metal über Filmmusik bis hin zu Werbejingles mit jedem musikalischen Bereich Erfahrung hat und es so versteht, sämtliche Stilmittel nicht nur als kleine Verzierung oder Effekt einzusetzen, sondern so, dass sie zu ihrem Recht kommen und innerhalb des jeweiligen Stückes eine Funktion wahrnehmen. Dabei bleibt vom Black-Metal-Ursprung der Band eigentlich nicht mehr als die eine oder andere Gitarrenpassage, manche 80er-Vibes und die aufbegehrende, rebellische Attitüde. Ansonsten ist "Gallows Gallery" eine geniale und zu hundert Prozent schlüssige Synthese. Es ist keine Mischung, kein bunter Mix, sondern eine waschechte Verbindung gleichberechtigter Elemente, wie man sie in solcher Vollendung nur von wenigen Bands bekommt.
So wird der Opener 'Pale Monument' von einem doomigen Riff eingeleitet, wird dann schnell und rockig, mit heißeren Vocals, bevor ein sehr melodischer Refrain mit cleanen Vocals, wunderbar warmen 70er-Synths und schrägen Psychedelic-Leads über uns hereinbricht. Hier ein kleiner Falsett-Scream von Mirai, dort eine Passage mit Glockenklängen zur Einleitung der synth-schwangeren und mit mächtigen Chören angereicherten Coda. So viele zündende und originelle Ideen, wie SIGH in diesen einen Song einbauen, bringen andere Bands in ihrer ganzen Diskographie nicht unter. Einen weiteren Trumpf spielen die Japaner beim von Jazz und Big-Band-Sounds beeinflussten 'In A Drowse' aus, wo Bruce von YAKUZA einige total geniale Saxophon-Passagen beisteuert, die wunderbar mit den klassischen Leadgitarren harmonieren. 'The Enlightenment Day' hat ein bisschen was vom Metal der Achtziger, bringt aber etliche epische Arrangements, einige lässige Wah-Wah-Effekte, orientalische Melodielinien und wunderbar ausufernde Sitar-Parts mit ein, bevor sich Mirai gegen Ende auch noch sehr erfolgreich an Kehlkopf-Oberton-Gesang des Kargyraa-Stils versucht, wie ihn manche von euch vielleicht von YAT-KHAs Albert Kuvezin kennen. Ganz groß!
Doch damit nicht genug: Das von apokalyptischen Sphärenklängen, Glockenschlägen und einer flüsternden Stimme eingeleitete 'Confession To Be Buried' enthält ebenfalls zentralasiatischen Kehlkopf-Gesang, dieses Mal allerdings im höheren Sygyt-Stil, dazu wiederum eine Menge jazziger Parts sowie Saxophon und Sitar, dazu einige nette klassische Passagen. 'The Tranquilizer Song' ist dem Titel entsprechend sehr ruhig. Verträumter Gesang, Klavier, Sitar, relaxtes Schlagzeug und einige Loops, sowie erneut ein wenig Kehlgesang, diesmal im subharmonischen Singstil. Mit 'Midnight Sun' wird es wieder beschwingter und härter, herrlicher Rock'n'Roll-Drive und schöne Saxophon-Parts im Refrain. Etwas mehr in eine spacige Metalrichtung rückt uns 'Silver Universe'. Das Intro zu 'Gavotte Grim' besteht aus Wasserrauschen und sehr schönem Sygyt-Gesang, während der Song selbst sehr düster und mit vielen klassischen Elementen ausstaffiert ist. Spinett-Klänge, finstere, orchestrale Synths, Loops, entrückter Klargesang. Im weiteren Verlauf werden die Gitarren dominanter und glänzen mit etlichen großartigen Leadmelodien und doomigen Riffs, die sehr schön mit dem Grundgerüst des gegen Ende immer dramatischer werdenden Stückes harmonieren - beeindruckend und fesselnd. 'Messiahplan' klingt dann als Abschluss des regulären Albums wieder ganz anders, startet sehr metallisch bereits mit einem Gitarrensolo, ist allgemein stark leadgitarrenorientiert aber direkt und erneut mit tollem Drive. Das jazzige Element ist ebenfalls vertreten, aber für SIGH-Verhältnisse ist der Song bis auf das abgedrehte Outro doch relativ straight, was seiner Klasse natürlich keinen Abbruch tut. Ein namenloses Instrumental mit herrlicher Gamelan-Instrumentierung, also mit diversen Metallophonen wie Gongs, Klangplatten und ähnlichem, wie man es etwa von balinesischen Theateraufführungen kennt, rundet das Album ab, bevor als Bonustrack noch ein eigenwilliges Remix von 'The Tranquilizer Song' folgt, bei dem die Kehlgesänge und etliche andere obskure Elemente weit mehr im Vordergrund stehen als bei der regulären Version.
Die sehr warm und organisch produzierte Platte klingt hervorragend und wird zudem von einem herrlichen Cover-Kunstwerk von Adam Wentworth geziert und lässt so auch optisch keinerlei Wünsche offen. Nach alledem dürfte jedem klar sein, dass SIGH eigenwillig, einzigartig und vielseitig sind wie kaum eine zweite Band. Das führt natürlich dazu, dass sie gar nicht jedermanns Geschmack sein können. Sicher ist jedoch, dass die Japaner all ihre Ideen auf höchstem musikalischem Niveau umsetzen und dabei (nicht nur) Avantgardisten definitiv lange werden fesseln können. Dieses Jahr gab es zwar bisher schon viele sehr starke Veröffentlichungen im metallischen Paralleluniversum, doch ich lege mich jetzt fest: Wenn nicht noch eine ganz, ganz große Überraschung eintritt, dann ist "Gallows Gallery" mein Album des Jahres 2005.
Anspieltipps sind bei einer derartig vielschichtigen Scheibe schwer zu nennen, ich würde es aber mit 'Pale Monument', 'Confession To Be Buried', 'The Enlightenment Day' und 'Gavotte Grim' versuchen.
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle