SONIC YOUTH - Sonic Nurse
Mehr über Sonic Youth
- Genre:
- Rock
- Label:
- Geffen / Universal
- Release:
- 07.06.2004
- Pattern Recognition
- Unmade Bed
- Dripping Dream
- Kim Gordon And The Arthur Doyle Hand Cream
- Stones
- Dude Ranch Nurse
- New Hampshire
- Paper Cup Exit
- I Love You Golden Blue
- Peace Attack
Die alten Meister des Avantagarde drehen knapp zwei Jahre nach dem brillanten letzten Album ein weiteres Mal ihre Runden. Irgendwo ist allerdings der Wurm drin in "Sonic Nurse", einem Album, das an sich beeindruckend wirkt. Der Versuch einer Klärung:
Wo fängt man an, wenn man über SONIC YOUTH schreiben möchte? Damit, dass sie eigentlich einflussreicher sind als sämtlichste Bands der 90er Jahre nach NIRVANA? Dass Kurt Cobain, Frontmann selbiger Band, sie verehrte? Oder schlicht und einfach mit der Tatsache, dass sie nie wirklich aufgehört haben, die Revolution, sei es nun im Punk, Noise, Jazz, Avantgarde oder Sonstwas-Rock, voranzutreiben und konsequent zu leben? Tatsache ist: Die letzten drei Alben, datiert auf die rhythmisch gesehen unspektakulären Veröffentlichungsjahre 1998, 2000 und 2002, waren konsequent großartig, selbst wenn "NYC Ghosts & Flowers" etwas zu trocken schien. Tatsache ist auch: Sie waren alle drei konsequent verschieden. Progressiver Alternative, Noise Rock und Ausufernder Gitarren-Pop-Rock. Das Erstaunliche: Genau an diesem letzten Punkt machen SONIC YOUTH diesesmal weiter. Als wären sie eine ganz normale Band.
Zu nennen ist da beispielsweise 'Dripping Dream', dieser lupenreine Fast-Pop-Song, der in eine dieser typischen Destruktionsorgien abgleitet. Aber nur fast. Kurz bevor man meint, es wäre jetzt wieder soweit, die nächsten eineinhalb Minuten würde die Band eines ihrer typischen Gitarrenfeedbackoutros losfeuern, fängt der Song sich wieder und schwenkt zurück in seine melodische Schiene. Vielleicht symptomatisch für dieses Album. Extrem spannend bzw. aus der Reihe tanzend allein 'Kim Gordon and The Arthur Doyle Hand Cream', in dem erstere wie ein betrunkener Schmetterling, um mal ein älteres Stück zu zitieren, neben sperrigen Fragment-Skizzen von Instrumenten einen Punksong absichtlich neben der Spur interpretiert. 'New Hampshire' zitiert dagegen in der Gitarrenmelodie am Anfang fast den "Murray Streets"-Übersong 'Rain On Tin' und macht einen der Querverweise, die an dem Album verwundern. Überhaupt: Fast kommt es so vor, als habe die Band diesesmal mindestens acht 'Rain On Tin'-Variationen geschrieben und sie heimlich als neues Album veröffentlicht.
Das Album hat damit selbstverständlich ein nicht unerhebliches Problem, das sich schwer wegdiskutieren lässt: Die musikalische Magie, dieses schwer greifbare, metaphysische Element, das normalerweise deutlich die Alben dieser Band beseelt hat, fehlt stückweise bzw. wirkt altbekannt und macht einer eher pragmatischen Weiterführung des letzten Albums Platz, die zwar sehr genießenswert ist, im Gesamtblick aber eher als Enttäuschung durchgehen muss, auch wenn man es natürlich als faszinierendes Gegenstück oder Spiegelbild lesen könnte. Das Originäre, sich immer neu Erfindende, war bisher zu eng mit der Band verbunden, als dass es sich so einfach trennen ließe. Andererseits könnte auch eben das die eigentliche Revolution von "Sonic Nurse" sein.
Man könnte lange darüber diskutieren oder sich schlicht und einfach dieser Platte hingeben, die im Kern selbstverständlich das ist und bleibt, was draufsteht, selbst wenn hier und da von einer endgültigen Zuwendung SONIC YOUTHs zur Melodie die Rede ist: Eine fortschrittliche, zeitlose Platte voller nur für den Unkundigen ungewöhnlicher, aber dennoch warmer Melodien, getragen von zehn langen Stücken, nicht selten an der Achtminuten-Marke, die ohne Zweifel gefällt. Nur das Programm bleibt hier irgendwie nebulös. Gibt aber eigentlich auch nicht wirklich den Ausschlag, wenn man dafür Stücke wie 'I Love You Golden Blue' bekommt, die mit minimalistischen Beispielen fast lehrhaft den Aufbau eines guten Songs zu erläutern scheinen, oder einem 'Paper Cup Exit' lauschen darf, das sich nach und nach zum Ohrwurm entwickelt.
Es bleibt am Ende schwer, SONIC YOUTHs neue Platte endgültig zu bewerten, vor allem dann, wenn man sich zu den Anhängern der Band zählt. Kontextfrei wäre "Sonic Nurse" ein starkes Spätwerk einer ehemals großen Band, im Zusammenhand mit der Vorgängerplatte "Murray Street" wirkt der Tonträger aber irgendwie ein bisschen wie METALLICAs "Reload", wenn auch natürlich musikalisch deutlich mehrwertiger: Wie ein wirklich leckerer Aufguss, der aber letztendlich ein Aufguss bleibt.
Anspieltipps: Dripping Dream, Kim Gordon And The Arthur Doyle Handcream, Paper Cup Exit
- Redakteur:
- Sebastian Baumer