STORM CORROSION - Storm Corrosion
Mehr über Storm Corrosion
- Genre:
- Artrock / Ambient
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Roadrunner (Warner)
- Release:
- 08.05.2012
- Drag Ropes
- Storm Corrosion
- Hag
- Happy
- Lock Howl
- Ljudet Innan
Schwere Kost bleibt länger nahrhaft
Als das erste mal von diesem Projekt die Rede war, hatte man noch Mike Portnoy auf dem Zettel und viele Fans der Protagonisten erhofften sich eine neue Prog-Metal-Supergroup. Doch Steven Wilson und Mikael Åkerfeldt schlugen in den letzten Jahren einen anderen musikalischen Weg ein und so ist es nur konsequent, dass statt derbem Frickel-Metal Ambient-lastiger Artrock seinen Weg auf "Storm Corrosion" gefunden hat. Für diesen Weg wäre Showman und Energiebündel Portnoy folglich nicht der richtige Kandidat gewesen und so liegt lediglich eine Kollaboration zweier Größen des Prog vor. Und äußerst selten fielen die Reaktionen auf ein Release der Herren Wilson und Åkerfeldt so unterschiedlich aus, die Palette reicht dabei vom "Meisterwerk" bis zur Verunglimpfung als "psychedelische Fahrstuhlmusik" (wenn man "psychedelisch" weglässt, stimmt es sogar. - PK). Es lässt sich erkennen - der Verfasser dieser Zeilen findet überwiegend positive Worte für dieses mutige Werk, dem wir uns jetzt ausführlicher widmen wollen.
'Drag Ropes' ist nicht gerade das, was man unter einem typischen Opener verstehen würde. Anstatt einen leichten Einstieg in das Album zu bieten, werden in den ersten Minuten gleich etliche Hörer das Handtuch werfen. Soundtrack-like baut sich eine Klangkulisse auf, deren psychedelischer Charakter die zahlreichen Okkult-Alben dieses Jahr in Windeseile banal und kitschig aussehen lässt. Noch kauziger wird es wenn der Gesang des OPETH-Frontmanns einsetzt und exotische Harmonieverbindungen ihr Unwesen treiben um die gruseligsten Satzgesänge einzuläuten, die ich je auf einem "Rock"-Album gehört habe. In den nächsten fünf Minuten schaffen es die beiden Herren, ein stetig wachsendes Level an Intensität zu erreichen, das den Hörer beim Schopf packt und ihn in einen Schwitzkasten nimmt, von dem man sich erst nach Ende des Abspielens wieder befreien kann.
Auch der Titeltrack 'Storm Corrosion' ist kein Easy-Listening, obwohl hier einer der leichter verdaulichen Songs vorliegt. In mittlerweile kultivierter Steven-Wilson-Ästhetik haben wir es vor allem mit einer genialen, kontrapunktischen Gitarre und dem fragilen Gesang von Wilson zu tun. Wer OPETH gut kennt, wird definitiv Gefallen an diesem Song haben, insbesondere sobald Mikaels Gitarre - ein Mellotron imitierend - immer wieder Licks einstreut. Im zweiten Teil mausert sich das Treiben zu einem abermals düsteren Ambient-Geflecht, das den meisten guten Horror-Streifen ein dämonisches Grinsen aufsetzen würde, bevor Wilson in beschwörerischem Ton das Ende einleitet.
Ein Vergleich mit BURZUM, Norwegens umstrittenem Schwarzwurst-Export, ist wohl das letzte, was man an dieser Stelle erwarten würde. Doch eint diese beiden Projekte eine Stärke, die sich viele Bands im Avantgarde-Sektor wünschen: die einlullende Kraft der Wiederholung. Und zwar so, dass daraus ein Schuh wird und der Hörer nicht von "Ideenmangel" oder "Langatmigkeit" spricht (und ob der Hörer davon spricht! - PK). Der Anfang von 'Hag' ist ein gutes Beispiel für meine Anklage. Ungefähr bei viereinhalb Minuten Spielzeit wird diesem Tanz um das Feuer der Eintönigkeit ein Höhepunkt gesetzt und die ganz fetten Gitarrenwände werden aufgefahren. Mit dem impulsiven Jazz-Drumming ist diese Nummer verdammt reizvoll und packender, als die Exposition es vermuten ließ.
Den Humor haben die beiden Musiker nicht verloren, wie sonst könnte man eine weitere verschrobene Spielerei wie den nächsten Song mit 'Happy' titulieren. Und wenn meine Mundwinkel nach oben wandern, dann nur weil auch dieser Song den Spannungsbogen halten kann und sich bestens in das Gefüge des Albums eingliedert. Ansonsten lassen die OPETH-esken Gitarren und lautmalerischen Vocals mich eher nachdenklich und in mich gekehrt zurück.
Wenn ich das Wort "fix" in den Mund nehme, stimmt das nur im Kontext von "Storm Corrosion". Denn im Vergleich zur Doomcore-ähnlichen Geschwindigkeit ist 'Lock Howl' eine echte Uptempo-Geschichte. Neben dieser Tatsache ist es wahrscheinlich auch der merkwürdigste Titel des Albums mit seinem perkussiven Strumming und den geisterhaften Synthi-Tönen. Der Gänsehaut-Faktor wächst unter Kopfhörern übrigens noch einmal!
Das Gefühl beim Hören des letzten Songs auf "Storm Corrosion" hat etwas von einem Echo, das sich immer weiter in den Körper verkriecht um ihn in Vibration zu versetzen. 'Ljudet Innan' beginnt mit fabelhaftem Gesang und analogen Synthi-Sounds der besten Kategorie bis man sich schließlich sehnsüchtig wartend durch einen Mittelteil hört, der sich wie Ödland vor einem ausbreitet. Doch dieses Ödland blüht immer weiter auf, man kann die aufgehende Sonne förmlich spüren. Mit dem Einsatz eines spartanischen Drumbeats hält dann erlöserische Erleichterung Einzug um das soeben gehörte zu verdauen und sich langsam dem Ende zuzuneigen. Man möchte verschmelzen mit der Musik, ganz tief eintauchen und sie inhalieren.
Steven Wilson hat einmal "Storm Corrosion" als logische Fortführung der musikalischen Entwicklung von "Heritage" und "Grace For Drowning" bezeichnet. Dem kann ich nur zustimmen, der Rückgriff auf unorthodoxe Stilmittel und Instrumentierungen setzt sich hier weiter fort, als es bei den anderen Alben möglich war. Ohne Rücksicht auf kommerzielle Reputation haben Wilson und Åkerfeldt ihr Innerstes offenbart und in die Form eines Albums gebracht. Man wird "Storm Corrosion" öfter hören müssen damit sich die vielen Schichten offenlegen. Auch wenn ich es mir wünschen würde, ist mir klar, dass dieses Album nicht für viele Ohren gemacht ist und entweder Ratlosigkeit oder Unverständnis heraufbeschwört. Denjenigen aber, die mit STORM CORROSION etwas anfangen können, winkt viel Potenzial zur Auseinandersetzung und zum Genuss.
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Nils Macher