SYLVAN - Force Of Gravity
Mehr über Sylvan
- Genre:
- Progressive Rock
- ∅-Note:
- 8.00
- Label:
- Sylvan Music/Rough Trade
- Release:
- 25.09.2009
- Force Of Gravity
- Follow Me
- Isle In Me
- Embedded
- Turn Of The Tide
- From The Silence
- Midnight Sun
- King Porn
- Episode 609
- God Of Rubbish
- Vapour Trail
Das wohl ambitionierteste Werk der Hamburger geht viele neue Wege.
Nach dem gefühlvollen, epischen Konzeptwerk "Posthumous Silence" und dem locker-leichten, eher songorientierten Nachfolger "Presets" steht mit "Force Of Gravity" dieses Mal "nur" ein normales SYLVAN-Album auf der Agenda, ohne in sich geschlossene Geschichte oder dem offensichtlichen Anspruch, neue Fanschichten für sich zu erschließen. Und doch liegt die siebte, sich über knapp siebzig Minuten erstreckende Veröffentlichung der Hamburger stilistisch grob gesehen zwischen den beiden Vorgängern: Es dominieren die getragenen, melodischen Kompositionen, die nur selten von nicht immer ganz ins Gesamtbild passenden, aber einzeln betrachtet sehr gelungenen rockigen Ausbrüchen unterbrochen werden. Gleichzeitig gab es nie zuvor so viel Experimentierfreude, zum Guten wie zum Schlechten.
Von den Balladen heißt es zunächst eine auszusitzen, denn der Opener und gleichzeitig Titelsong ist trotz der hübschen Piano-Klänge ein denkbar schlechter, weil viel zu verhaltener Einstieg in die Platte und wäre nicht zuletzt wegen seiner melodramatischen zweiten Hälfte am Ende der Trackliste sehr viel besser aufgehoben gewesen. Ich bin zu diesem Zeitpunkt einfach noch nicht bereit für Sänger Marco Glühmanns Weltschmerz. 'Follow Me' hingegen tritt richtig Arsch, zündet von der ersten Sekunde und macht auch zig Durchläufe später noch Laune. Hier spielen nicht zuletzt wegen der tiefer gestimmten Gitarren und des bereits von früheren SYLVAN-Tracks bekannten "Nu-Metal-Gesangs" moderne Rock-Einflüsse rein, die Produktion wirkt rau und spontan, fast wie live aufgenommen, und das teils irrwitzige Keyboard setzt sehr interessante Akzente. 'Isle In Me' schraubt das Tempo wieder fast zurück auf Anfang, und doch passiert hier sehr viel mehr als im Opener. Wenn es darum geht, träumerische Oasen der Ruhe zu schaffen, sind die Hanseaten ganz groß. Streicherarrangements treffen auf sich hoch über allem erhebenden Gesang, faszinierende Percussions geben sich die Hand mit einem leidenschaftlichen Gitarrensolo des inzwischen Fest zum Line-up gehörenden Jan Petersen. Ganz großes Kino! Das kurze 'Embedded' steht wiederum in der Tradition von "Presets", ist ein eingängig-poppig, auf Radiolänge gehaltener Feel-Good-Song zum Feuerzeuge schwenken.
'Turn The Tide' kann ich irgendwie überhaupt nicht packen - kein nennenswerter Refrain, keine schlüssige Struktur und keine wirklichen Spannungsmomente. Eher eine laue Brise als ein windiger Gezeitenwechsel. Die Rock-Meets-Klassik-Symbiose 'From The Silence' verlangt einiges an Aufmerksamkeit und besticht vor Allem durch die originell zupfenden Streicherparts und den kraftvollen Chorus. Ebenfalls ungewöhnlich für die Band ist das Duett mit Miriam Schell (eigentlich bei Schlagzeuger Matthias Harders Zweitband RAIN FOR A DAY aktiv), wo sich ein an MASSIVE ATTACK erinnerndes Trip-Pop-Flair ausmachen lässt. Entspannt! Im Gegensatz zum trotz des überwiegend langsamen Tempos stellenweise schön räudig-bluesigen, später SYLVAN-typisch elegischen 'King Porn'. 'Episode 609' ist bestenfalls eine Randnotiz, der chilligen Sound plätschert zahm und höhepunktsarm.
Finale Pluspunkte gibt es mit dem punk-rockigen 'God Of Rubbish', in dem die Hamburger einfach mal Spaß haben dürfen. Kein komplizierten Breaks, stattdessen ein wenig GREEN DAYsches Akustikgeschrammel und sehr viel treibende Beats und "kiss my ass"-Einstellung. Selbst Marcos Gesang klingt wie auf 3,5 Promille. Toll! Und der vierzehneinhalb große Zeigerumdrehungen messende Longtrack 'Vapour Trail' gehört zu den besseren des bisherigen Schaffens. Streicher, traumhafte Vocal-Lines, jazzige Elemente, vertrackte Riffs, warmherzige Soli, verstörender Sprechgesang und kurze heftige Ausbrüche münden in einem großartigen Finale, in dem mich bestenfalls die in den Höhen nicht ganz wackelfreie Stimme des Sängers etwas stört.
"Force Of Gravity" ist ein anspruchsvolles, wenn auch nicht zu hundert Prozent ausfallfreies Album, für das man definitiv in der richtigen Stimmung sein muss. Nebenbei hören geht nicht, am Stück grenzt fast an Reizüberflutung, und wer die poppig-proggigen Hits der letzten Alben sucht, wird kaum fündig werden. Und doch zeugt es gerade deswegen von der gewachsenen musikalischen Reife jedes einzelnen Bandmitglieds und ist ein logischer Schritt nach vorn.
Anspieltipps: Follow Me, Isle In Me, Midnight Sun, God Of Rubbish, Vapour Trail
- Note:
- 8.00
- Redakteur:
- Elke Huber