TESSERACT - War Of Being
Mehr über Tesseract
- Genre:
- Progressive Metal
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Kscope
- Release:
- 15.09.2023
- Natural Disaster
- Echoes
- The Grey
- Legion
- Tender
- War Of Being
- Sirens
- Burden
- Sacrifice
Groß, größer, TESSERACT.
Daniel Tompkins. Diesen Namen solltet ihr euch merken. Er war schon immer ein außerordentlich charakterstarker Sänger, doch mit "War Of Being" singt er sich sein Manifest, denn seine Darbietung ist, untertrieben gesagt, absolut atemberaubend. Nicht nur wechselt er so regelmäßig wie seit dem Debüt (2011) nicht mehr zwischen Klargesang und Shouts, es sind vor allem die unglaublich facettenreichen und detaillierten Nuancen dazwischen, die einen die Kinnlade offen stehen lassen. Dabei war ich von den Shouts zu Beginn gar nicht mal unbedingt so angetan, da Tompkins vor allem eine begnadete Klargesangsstimme hat, doch sie passen sehr gut zum Gesamtbild.
Und dieses ist ebenfalls sehr komplex und vielschichtig. Mit einer Spielzeit von über 60 Minuten ist Album Nummer Fünf das längste der Band. Es lässt sich ähnlich wie "Altered State" (2013) vorzüglich am Stück hören, da die Songs nahtlos ineinander übergehen, aber jeder Song steht für sich und ist in sich abgeschlossen. TESSERACT nimmt den Hörer mit auf eine krasse musikalisch Abenteuerreise. Bereits der Opener 'Natural Disaster' wird als absoluter Bandlassiker in die Geschichte der Engländer eingehen und bietet alle Facetten der Band, die man als Kenner liebt: vertrackte Grooves, verträumte Klanglandschaften, majestätische Gesänge und einen hochmelodiösen Mittelteil zum Niederknien. 'The Grey' hat zweifelsohne Hitcharakter und dürfte damit das Erbe von 'Nocturne' (2013) antreten. 'Legion' zeigt einen Daniel Tompkins in Bestform, bei dieser Performance hört man ihn geradezu Blut und Schweiß singen. Einer meiner Favoriten kommt danach, 'Tender' ist einfach wunderschön und groovt dabei herrlich.
Das Herzstück ist ohne Frage der 11-minütige Titeltrack, der folgerichtig in der Albummitte platziert ist. Als TESSERACT das teils animierte Video dazu Mitte Juli 2023 veröffentlichte, kam man aus dem Staunen zunächst nicht heraus und wusste gar nicht, wo man am besten zuerst hingucken oder hören sollte. Epischer und monumentaler geht es nicht. Doch damit nicht genug, denn auch wenn die Reise mit 'Sirens' nun in etwas ruhigere Fahrwasser gelangt, steht mit 'Burden' ein weiteres Highlight der Platte an, das einmal mehr alles von Tompkins abverlangt. 'Sacrifice' schließt mit fast zehn Minuten Laufzeit ein Album, dass man, glaube ich, ohne zu übertreiben als TESSERACTs Opus Magnum bezeichnen muss. Uff, "War Of Being" hat echt viel zu bieten und wirkt bei den ersten Durchläufen fast überfordernd. Es ist ein Monster von Album, das einen durchaus auffressen kann, wenn man nicht aufpasst.
Nun habe ich noch gar nicht verraten, dass hinter dem Album ein spannendes Konzept steckt: Es geht in Prinzip um die Persönlichkeitssuche, um Angst aber auch Zugehörigkeit, verpackt in ein futuristisches Setting mit dem Raumschiff "The Dream", das auf dem Planeten "The Strangeland" bruchlandet. Die Protagonisten "Ex" und "El" werden getrennt und stehen dem "Feind" gegenüber. Sie machen sich auf die Suche nach einander. Wem das noch nicht reicht, der kann sich auch noch das VR-Videospiel zum Album geben. Ich gebe zu: Ich war bis auf eine handvoll Ausnahmen nie der große Fan von Konzeptalben und kann auch "War Of Being" wunderbar ohne den Überbau hören, doch wer mag, kann noch tiefer in die Welt TESSERACTs eintauchen.
Bei aller Lobhudelei muss ich nun aber noch ein paar kritischere Worte wechseln: Die Alben von TESSERACT zeichneten sich stets durch sehr cleane Artworks aus, doch das mit Hilfe von KI-genererierte Design für "War Of Being" finde ich leider ziemlich belanglos. Ich verstehe mit dem Konzept im Hintergrund, was es darstellen soll, aber das hätte man bestimmt etwas aufregender gestalten können. Und schließlich: Daniel Tompkins. Ich könnte ihm stundenlang beim Singen zuhören und es klingt total ambivalent, denn so sehr ich seine Arbeit, ja geradezu Verausgabung auf allen neun Tracks gar nicht genug anpreisen kann, ist sie manchmal auch etwas over the top. Vielleicht bin ich auch einfach zu instrumenten-fixiert, aber etwas Atempause und dafür zum Beispiel mehr atmosphärische Gitarrensoli wie in 'The Grey', hätte auch manchmal was gehabt. Auch der Titeltrack zeigt, dass die Idee gut funktionieren kann. Diese Kritik kann das Album aber locker einstecken, denn TESSERACT hat hier ein Album kreiert, das definitiv larger than life ist.
Zwei Ratschläge noch zum Schluss: Nehmt euch Zeit für "War Of Being", es ist ein Album, dass sich einen nicht sofort erschließt. Und Daniel Tompkins!
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Jakob Ehmke