THE GRUS - Nest
Mehr über The Grus
- Genre:
- Trip Hop / Electronic / Experimental
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Follyphone Records
- Release:
- 30.04.2015
- To Be A Child
- Welcome To The Night
- God Is In The Rain
- A Secret Place
- The Great Nest
- Take Me
- Home
- Jupiter
- October Road
- So Glad I'm Here
Tief aus einer sowjetischen Schatztruhe gegraben.
Ja, ich räume ein, dass vielleicht nicht jedermann damit einverstanden ist, wenn auf diesen Seiten völlig stilfremde Musik vorgestellt wird, insbesondere vom Schreiberling Becker mit seinem mitunter sehr wirren Zeug. Doch es entspricht dem Selbstverständnis dieser Plattform, guter Musik eine Präsenz zu geben, ganz egal wie sie auch klingen mag.
Im Falle von THE GRUS aus der nord-west-russischen Provinzstadt Tver musste ich sogar den Promoter eine Weile belabern, bevor ich die Sound-Files bekommen konnte. "It’s not metal at all". Aber ich schätze, auch ein paar Leser dieser Seiten wären angefixt von der Beschreibung über diese Kraniche: Man verwende Analog-Synthies, uralte Gitarren aus der Sowjet-Zeit, handgebaute Mikrophone und Tape-Recorder, um heiße Basslines mit eisiger Atmosphäre und weibliche Trademark-Vocals zu verbinden. Man verspricht eine Kornukopia - ein Füllhorn - an Sounds.
Und "The Nest" bietet tatsächlich einfach total großartige Musik! Es ist - ich gebe es gerne zu - recht sonderbarer Trip Hip mit weiblichem Gesang, der in etwa vergleichbar und - ich verspreche es - nicht schlechter ist, als PORTISHEAD auf dem "Third"-Album. Es geht also ziemlich experimentell zu, wobei man mehr mit Sounds und Moods spielt als tatsächlich mit und auf den Instrumenten. Das Tempo ist meist getragen, die Beats hypnotisch, die Musik einsaugend. Simon Gendor und Alexandra Zhuravieva agieren ähnlich wie Gleb Kolyadin und Marjana Semkina bei IAMTHEMORNING, einer anderen tollen russischen Band ("Belighted"), als perfekt harmonierendes Paar, aber musikalisch eben auf einer ganz anderen Ebene. THE GRUS ist insgesamt fremdartiger und entrückter, vor allem für das Rocker-Ohr. Aber man kann, muss sogar, diese Musik laut hören, am besten bei einer nächtlichen Autofahrt, und man wird nach und nach fasziniert sein von dieser Tonkunst. Vieles ist verfremdet, selbst Alexandras Stimme ist oftmals verzerrt oder moduliert, doch alles ist im Sinne der Wirkung und extrem stilvoll inszeniert. Ein weiterer schöner Akt der Album-Dramaturgie ist, dass die Band mit jedem Song mehr an den Hörer heran zu rücken scheint. So wird das Musik in der zweiten Hälfte von "The Nest" immer erdverbundener und intimer, die Stimme, die anfangs fast mechanisch verhalten wirkt, wird immer klarer und schöner und am Ende von 'So Glad I’m Here' - nur mit Piano und Gesang - können sogar ein paar Tränchen der Rührung kullern.
Somit ist "The Nest" eine Entdeckung, die ich nicht mehr missen möchte. Es ist, als würde man durch einen alten, verstaubten Keller stöbern und dabei längst verloren geglaubte Dinge wieder entdecken. Und Schätze finden, von denen man nie glaubte, dass sie in diesem Unterbau lagern würden. Darüber hinaus macht mich die Musik einmal mehr neugierig auf Russland. Ich habe das Gefühl, ich müsste dort unbedingt mal hin.
Leider gibt es "The Nest" nur digital, und ab Juni soll eine limitierte Doppel-Vinyl-Version erscheinen. Ein Besuch der Homepage lohnt sich aber allemal, allein schon wegen der wunderschönen Vogelgallerie, aber auch für Hörproben. Enjoy!
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Thomas Becker