TON STEINE SCHERBEN - Land in Sicht (DVD)
Mehr über Ton Steine Scherben
- Genre:
- Deutschrock
- Label:
- eye tune
- Intro (Rosenroth)
- Der Traum ist aus
- Wo sind wir jetzt
- Hau ab
- Verboten
- Halt Dich an meiner Liebe fest
- S.N.A.F.T.
- Ardistan
- Sumpf Schlock
- Heimweh
- Bist Du's
- Mein Name ist Mensch
- Alles verändert sich
- Lass uns 'n Wunder sein
- Mole Hill Rockers
- Allein machen sie Dich ein
- Keine Macht für Niemand
- Der Turm stürzt ein
- Land in Sicht
- Wir müssen hier raus
- Kommen Sie schnell (Hallo Hallo)
- Wenn die Nacht am tiefsten ist
- Rauch-Haus-Song
- Wiedersehen
TON STEINE SCHERBEN sind mangels Nachfolgern auch mehr als 15 Jahre nach ihrer Trennung immer noch die linkspolitische Band in Deutschland, die von allen Splittergruppen, übrgreifend von Punks, Kommies, Anarchos, Spontis, Hausbesetzern, Okös, Fundis, Sozis und so weiter angebetet wird. Kurz vor dem zwanzigjährigen Jubiläum des zugrundeliegenden Materials kommt aus dem Hause eye tune eine Doku-DVD auf den Markt, wobei ich das Wort "Dokumentation", auch wenn es aufgedruckt ist, durch "Konzertfilm" ersetzen würde, denn beim "Herzstück" der DVD handelt es sich um ein komplett abgefilmtes Konzert der Band in Offenbach am 30.5.1983.
Für mich persönlich war es ein erhebendes Erlebnis, dieser DVD beizuwohnen, haben die SCHERBEN doch quasi posthum meine Jugend geprägt. Das vorliegende Material zeigt auf drastische Weise, was für eine unglaublich gute Band TON STEINE SCHERBEN auch live waren. Frontmann und Teilzeit-Gott Rio Reiser (im richtigen Leben ein Herr Möbius, bitte nicht mit dem Herrn Möbus vom anderen Ende des politischen Spektrums innen Tüdel kriegen) klammert sich an seinen Mikroständer, verkrampt sich, schreit, leidet, ist offensichtlich der Welt seiner Songs näher als der realen Welt. Ein bekannter Musiker (ich glaube Steve Harris, aber nagelt mich nicht drauf fest) sagte einmal "Die Fans waren so begeistert, das sie sogar die Gitarrensoli mitgesungen haben". Nunja, auf diesem Dokument sind dafür die Fans gar nicht mehr nötig, da Rio viele Intrumentalparts und Bridges mit "tüdelü"- oder "tralala"-Einlagen verschönert, was keinesfalls albern, sonder völlig songdienlich geschieht. Hinzu kommt eine gewisse ironische Distanz zum allzu linksbetonköpfigen Material, so wird aus dem Bandklassiker und linken Standardkampfruf "Keine Macht für Niemand" im letzten Refrain plötzlich "Keine Macht für... (Pause) Alle!".
Die große Klasse der Band zeigt sich nicht zuletzt daran, dass ohne einen einzigen "Totalausfall" tatsächlich ein ganzes Konzert am Stück gezeigt wird, was kaum eine andere Band in dieser Konsequenz durchzieht. Als Gegenbeispiele seien die MANOWAR-Livescheiben (aus ganzen Welttouren zusammengestellt), PINK FLOYDs "Pulse" (die einzelnen Songs im Studio aus verschiedenen Auftritten Spur für Spur, Part für Part zusammengebaut) oder die "Live im Studio"-Overduborgien von JUDAS PRIEST genannt.
Am Live-Part der DVD ist Alles in Allem höchstens zu bemeckern, dass man vom Publikum nie mehr sieht als die ausgestreckten Arme, es handelt sich hierbei tatsächlich um einen "Konzertfilm" im eigentlichen Sinne, bei dem das Augenmerk einzig auf dem Geschehen auf der Bühne liegt. Sogar vor der Zugabe wird bis zum Blackout die leere Bühne gezeigt, bevor im Dunkel kurz die erste Reihe des Punklikums gezeigt wird. Kaum dass das Licht wieder angeht, ist aber wieder die leere Bühne im Bild.
Alles in Allem ein wundervoller, zwei Stunden langer Liveauftritt. An dieser Stelle sollte ich wahrscheinlich ein paar Worte zu Bild und Ton verlieren: Während die Tonqualität durchaus mit anderen "Remastered"-Werken aus der Zeit mithalten kann, ist der Bildqualität (wie im Booklet auch bemerkt wird) durchaus anzumerken, dass das vorliegende Werk von analogem Material umkopiert wurde. Das Konzert selber kommt hier noch relativ gut weg, es kommt halt etwas unschärfer rüber als eine DVD mit einer aktuellen Hollywood-Produktion. Die Bonusmaterialien hingegen sind ursprünglich auf einer VHS-Handkamera oder etwas ähnlich verlustbehaftetem gefilmt, was man dem Material leider nur allzu sehr ansieht, in einigen Passagen sogar inklusive "Fischchen" im Bild. Man sieht, wenn man nicht mit Jahren an Zeit und einem Millionenetat rangeht, kann man bei aller digitaler Remasterung halt auch nicht mehr Bild zeigen, als auf dem Originalband drauf ist, und VHS und Konsorten sind nunmal nicht eben von hoher Bildqualität gesegnet.
A propos Bonusmaterial, sehr sehenswert hier die beiden Songs, die in Hamburg aufgenommen wurden. Die SCHERBEN spielen hier Open Air im Stadtpark und zwar ohne Bühne, Auge in Auge mit dem Publikum. Rio versucht, die angetrunkenen Punks davon zu überzeugen, sich von ihm zumindest soweit zu entfernen, das die hinteren Reihen auch etwas sehen. Erfolglos, stattdessen tritt ein halbnackter Typ ans Mikro und brüllt besoffenen Humbug von Revolution und Anarchie, während Rio in betont angepisster Denkerpose neben ihm verharrt. Die Lage gerät zusehends außer Kontrolle, gut eine Minute lang kommen Leute ans Mikro, die versuchen, das Punklikum zu beruhigen, die Band beschimpfen oder einfach nur eine Parole gröhlen. Meine Favoritin in Sachen Asseligkeit ist hierbei eine kleine dicke Punkerin: "TON STEINE SCHERBEN is scheiß-Ökopunk!". Na, wenn se meint.
Schließlich nimmt sich Funky am Schlagzeug der Lage an und die SCHERBEN beginnen zu spielen, worauf die Bühne sich schlagartig leert. Ja, Kinder, so war das damals in der Linken, aber Spaß hätte ich an Stelle der SCHERBEN an diesem Auftritt nicht gehabt. Wie die Tumulte während des zweiten Songs weitergehen, werde ich an dieser Stelle nicht verraten... .
Musikalisch interessanter der zweite Bonustrack, "Wo sind wir jetzt", gesungen von Rio solo am Piano, wirkt wie 'ne Punkversion von Billy Joel.
Abgerundet wird die volle Dröhnung SCHERBEN von einem halbstündigen Interview mit Rio Reiser über Religion, Politik, Liebe und Musik, das Interview wird sehr schön ergänzt durch einen Besuch in der SCHERBEN-WG in Fresenhagen, im Laufe dessen Rio ausführlich seine Art, kreativ zu sein und Texte zu schreiben, erklärt.
Alles in Allem eine gut zusammengestellte, hochwertige DVD, die ich jedem TON STEINE SCHERBEN-Fan oder -interessierten Hörer ans Herz legen möchte und die darüber hinaus auch als Zeitdokument der linken Bewegung in den frühen Achtzigern taugt.
Von der DVD gibt es eine limited Edition, die eine Audio-CD mit 16 Tracks des Livekonzerts beinhaltet.
Trivia zum Tage übrigens, ist Euch aufgefallen, das die SCHERBEN auf jeder Scheibe einen Karl-May-Songtitel haben? Mir jedenfalls, obwohl ich Fan der Band bin, ist es entgangen.
- Redakteur:
- Philipp von dem Knesebeck