TYPE 0 NEGATIVE - Dead Again
Mehr über Type 0 Negative
- Genre:
- Doom-Goth-Hardcore
- Label:
- Steamhammer/ SPV
- Release:
- 16.03.2007
- Dead Again
- Tripping A Blind Man
- The Profits Of Doom
- September Sun
- Halloween In Heaven
- These Three Things
- She Burned Me Down
- Some Stupid Tomorrow
- An Ode To Locksmiths
- Hail And Farewell To Britain
Der coolste Rotweintrinker der Welt ist nach vier Jahren Plattenabstinenz zurück, um uns in Grund und Boden zu doomen: Peter Steele und TYPE O NEGATIVE haben mit "Dead Again" ein Werk hingelegt, das in 77 (!) Minuten jeden ihrer Fans wieder in jene ekstatische Stimmung versetzen dürfte, die schon der Vorgänger "Life Is Killing Me" erzeugen konnte. Vom Labelwechsel von Roadrunner Records zu SPV ist jedenfalls nichts zu bemerken, denn wie schon 2003 spielen TYPE O NEGATIVE all ihre Stärken aus, die sie zu einer der Legenden im Metal-Zirkus gemacht haben. Sie sind schwer wie ein Hundert-Tonnen-Gewicht, heavy wie ein Traktormotor, groovend, hart, psychedelisch, bitter-ironisch. Eben alles auf einmal.
"Dead Again" ist dabei vor allem dem Mann gewidmet, der auch das traditionell grün gehaltene Cover mit seinem dichten Rauschbart verziert: Grigori Jefimowitsch Rasputin, die fast schon sagenhafte Gestalt aus dem Russland um die vorletzte Jahrhundertwende. Damals, so um 1910 herum, war der angebliche Geistheiler zu einem der wichtigsten Berater des russischen Zaren Nikolaus II aufgestiegen, weil es dem Wunderheiler aus dem fernen Sibirien gelungen war, des Zaren einzigen Sohn ein ums andere Mal zu retten: Der Junge war Bluter; hatte er Wunden, schlossen sie sich nicht. So glaubte die Zarenfamilie - besonders die Zarin - bald nur noch den Visionen von Rasputin, dem auch hellseherische Fähigkeiten zugeschrieben werden. Allerdings sammelt sich ein Mann in solch einer Machtposition schnell Feinde, zumal Grigori Jefimowitsch einem ausschweifenden Leben mit Sexorgien und Drogen aller Art frönte - ein Affront für die orthodoxe Kirche in Russland. Als um 1916 herum der Erste Weltkrieg für die russische Armee immer katastrophalere Niederlagen brachte, nutzten die Gegner des wegen seiner Kriegsgegnerschaft sowieso unter Druck geratenen Rasputin ihre Chance: Mittels einen minutiös geplanten Attentats sollte er umgebracht werden. Sein Tod wurde zum Mythos: Erst vergiftet und noch nicht tot, dann erschossen und noch nicht tot, schließlich erschlagen in ein Eisloch im zugefrorenen Fluss Newa geworfen - und endlich tot. Diesem Mann also haben TYPE O NEGATIVE ihr Album gewidmet: Zum Charakter von Suggestionsmeister, Ex-Playgirl-Modell und Weinvernichter Peter Steele lassen sich gewisse Ähnlichkeiten feststellen.
Vor allem aber ist Peter Steele ein Künstler, der es mit seiner Musik auf "Dead Again" perfekt schafft, die Klaviatur der menschlichen Gefühle zu bedienen. Vorbei sind die Zeiten, als es wie bei "World Coming Down" nur um die negativen Seiten des Lebens ging. Denn auf der aktuellen Scheibe wird wie schon bei "Life Is Killing Me" bewusst gerockt, um dann wieder schwermütig zu doomen: Ein perfektes Beispiel für diesen steten Wechsel ist das rund 14 Minuten dauernde 'These Three Things' mit seinen Tempowechseln, seinem unglaublich absackenden Zwischenriffs, die an 'Slow, Deep and Hard'-Zeiten gemahnen. Es sind solche Augenblicke, in denen der Griff zur (Rot-)Weinflasche schlicht die einzige Möglichkeit ist, diesem musikalischen Ritual in angemessener Weise zu folgen. Die Stimme von Peter Steele ist dabei in keiner Weise schlechter oder besser als auf den vergangenen Platten: So viel Tiefe, wie er in seinem säuselnd-verzweifeltem Gesang vermitteln kann, schafft kein anderer Sänger unserer Zeit.
Neben dem Übersong 'These Three Things' gibt es auch kürzere, weniger sperrige Songs: Das folgende, mit acht Minuten schon fast kurze 'She Burned Me Down' hätte mit seiner doomig-rockigen Leichtigkeit und seinen überbordenden Heavy-Sequenzen samt russisch anmutender Männerchöre auch auf der schon recht verspielten "Life Is Killing Me" stehen können, zumal sich der Refrain unglaublich eingängig ins Ohr frisst. Auch der letzte Song, 'Hail And Farewell To Britain', ist in seiner knapp neunminütigen Spielfreude ein exemplarisches Beispiel dafür, wie kreativ TYPE O NEGATIVE anno 2007 klingen. Selbst die Hardcore-Kelle früherer Tage packen die vier Brooklyn-Heroen aus: 'Some Stupid Tomorrow' ist ein klassisch-druckvoller TYPE-Song á la 'Kill All The White People'. Ebenso dynamisch kommt der Titelsong von "Dead Again" am Anfang des Albums auf die Lauscher zugestürmt: Ein Exzess an herrlichen Melodien, an der Energie, die schon den Titelsong von "Life Is Killing Me" ausmachte. 'Tripping A Blind Man' mit seiner "Die, Die, Die!"-Passage und 'Halloween In Heaven' (samt Gesangsduett mit der wunderschön trällernden LYCIA-Frontfrau Tara VanFlower) klingen ebenso stürmisch, Peter Steeles Versprechen nach viel Druck und Tempo für das neue Album ist schon nach diesen vier Songs eingelöst.
Viel ruhiger dagegen wird 'September Sun' angegangen: Hier verlassen sich TYPE O NEGATIVE auf eine enorm wuchtige Emotional-Keule und lassen sie einfach auf den Hörer donnern. Peter Steele singt fast zart, verletzlich, es kommen Erinnerungen an 'Bloody Kisses'-Zeiten hoch. Der Song zeigt auch, dass Keyboardspieler Josh Silver neben dem Sänger einen ganz zentralen Part im Sound der US-Band besitzt: Seine Einsätze sind zwar allesamt bombastisch, jedoch immer so wohldosiert, dass sie nicht als störend empfunden werden können. Zudem geben zwischendurch die wiederum leicht nach russischen Heldenchören klingenden Gesangspassagen von Peter Steele, die von Fanfaren und Hammond-Orgelklängen effektvoll unterstrichen werden, dem zehnminütigen Stück einen völlig abgefahren-psychedelischen Charakter. Die Ode an die Schlosser dieser Welt, 'An Ode To Locksmiths', zeugt wiederum vom typischen Humor aus der Seele von Peter Steele. Und spätestens bei diesem Gefühlsachterbahnstück fast am Ende ist auch klar, dass sich dieses Mal kein typischer Tanztempel-Song wie 'I Don't Wanna Be Me' auf der Platte findet. TYPE O NEGATIVE funktionieren einfach aus sich selbst heraus und haben genug Fans, ohne noch die Massen bedienen zu müssen - 'The Profits Of Doom', der Name ist langsames Programm, ist da ebenso ein grandioses Beispiel für ausladende Strukturen mit dem Sinn für das Wesentliche.
In einem Wort: 'Dead Again' ist Album für harten Kuschel-Sex, für Alkoholexzesse und Drogenerfahrungen, aber auch für den Waldspaziergang, für große Tage und miese Stunden, zum Lesen, zum Arbeiten, für Kerzenschein, eine Antwort auf all die Fragen nach dem Sinn des Daseins, unkopierbar, für dich, mich und alle Metal-Fans dieser Welt kurz vor dem Klimakollaps. Wenn vier Jahre Wartezeit so ein Ergebnis bringen, hat sich jede Sekunde Leben seitdem gelohnt.
Anspieltipps: Bei einem Album des Jahres erübrigen sich solch profanen Fragen...
- Redakteur:
- Henri Kramer