WATAIN - The Agony & Ecstasy Of Watain
Auch im Soundcheck: Soundcheck 04/2022
Mehr über Watain
- Genre:
- Nuclear Blast
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Nuclear Blast
- Release:
- 29.04.2022
- Ecstasies In Night Infinite
- The Howling
- Serimosa
- Black Cunt
- Leper's Grace
- Not Sun Nor Man Nor God
- Before the Cataclysm
- We Remain
- Funeral Winter
- Septentrion
Brillanter Black Metal der sich stolz auf Jahrzehnte alte Traditionen stützt.
Eine halbwegs renommierte Black-Metal-Band tut sich oft schwer damit, es der avisierten Zielgruppe recht zu machen, denn zu verschroben sind oftmals die Attitüden, zu surreal die Erwartungshaltungen. Dieses alte Lied ist sicherlich auch im Hause WATAIN bekannt, denn nicht selten werfen die einen gerade dieser Band vor, ihr diabolisches und blutiges Image zu weit zu treiben, wo die anderen, speziell aus der Kapuzenfraktion, ob der plakativen Art der Selbstpräsentation der Truppe gar an deren musikalischen Ernsthaftigkeit zweifeln. Ja, was denn nun? Mir ist die Antwort auf diese Gretchenfrage einerlei, denn am Ende neige ich dazu, anzunehmen, dass Erik Danielsson, Nils Håkan Jonsson und Pelle Forsberg so ziemlich alles richtig machen, und zwar sowohl in Sachen ihres Auftretens als auch, und das ist natürlich viel wichtiger, in Sachen der musikalischen Umsetzung ihrer Vision.
Wenn mich Black Metal so richtig packen kann, dann ist es meist die Kombination aus dem Image, also der Bühnen-Persona, welche die Musiker annehmen, und der musikalischen Komponente, die ich vorzugsweise in der unmittelbaren Tradition der zweiten, der großen skandinavischen Black-Metal-Welle der 1990er verortet sehe, die aber auch den Metal der Achtziger und den Hard Rock der Siebziger zu ihren offensichtlichen Einflüssen und Referenzen zählt. Nun, in sämtlichen vorgenannten Disziplinen leistet WATAIN ganze Arbeit. Das geht bereits mit dem rasenden Opener 'Ecstasies In Night Infinite' los, bei dem euch die flirrenden Riffs und sich überlappenden Gniedel-Soli wie ein Schwarm von Killerbienen nur so um die Ohren fliegen. Dabei ist an allen instrumentalen Fronten bemerkenswerte Extraklasse zu beobachten, wobei vor allem Håkans wildes Drumming den Vogel abschießt.
Mit 'The Howling' folgt direkt die erste größere Hymne des Albums, die vor allem von der Hookline von Pelles Gitarre getragen wird, aber auch von der immer mal wieder durchscheinenden Horror-Atmosphäre der Marke KING DIAMOND, sowie vom großartigen Refrain und der letzten Textzeile der Bridge, welche da lautet: "Beneath, beyond, behind, below". Ja, Leute, Black Metal darf Refrain! Schreibt euch das hinter die Ohren! Wer sich zu fein für Refrains ist, sollte am besten keine Lieder schreiben. Vollends gewonnen hat die Band bei mir, wenn dann kurz vor Schluss auch noch ein kurzes Basssolo von Erik aus dem Nichts kommt, das die berechtigte Frage aufwirft, ob der Band bei der Taufe des Albums durchaus bewusst war, dass "The Agony & The Ecstasy" mal der Titel einer MANOWAR-Tour war.
Die Mode des Black Metals des dritten Jahrtausends scheint es ja zu wollen, dass größere Aufmerksamkeit vor allem Truppen erzielen, die sich von den Wurzeln lösen, die aus dem rockig-punkig-metallischen Ursprung ausbrechen und sich in postrockige Gefilde aufmachen, um dort ihre Musik von jedem Songschema zu abstrahieren. Ein valider Ansatz mag man meinen, der bisweilen auch eindrucksvoll verfolgt wird. Doch mir tut es fraglos wohl, dass WATAIN mit einem deutlich traditionelleren Ansatz punkten kann. So sind auf dem siebten Studioalbum des Trios nahezu alle Stücke sehr auf markante Hooks und einprägsame Songstrukturen ausgerichtet, die allerdings durchaus eine erhebliche Variabilität aufweisen. So folgen auf den rasenden Auftakt mit 'Serimosa' und 'Black Cunt' auch wieder deutlich getragenere, groovendere Stücke, bei denen auch das eine oder andere psychedelische Moment auftaucht, wie etwa die Keyboard-Elemente im letzteren Titel.
'Leper's Grace' legt indes den Schwerpunkt wieder auf die pure Raserei der klassischen schwedischen Neunziger-Schule, setzt jedoch hier und da auch ein paar starke Breaks und Tempowechsel, wobei einmal mehr die Schlagzeugarbeit glänzt. Ein längeres Intro mit Piano und später hinzu tretender Leadgitarre leitet sodann in bester CANDLEMASS-Manier im Stile eines Trauermarsches den Longtrack des Albums, den Siebenminüter 'Before The Cataclysm' ein, der immer wieder so einigen klassischen 1980er-Stahl-Elementen huldigt, ohne dabei die schwarzmetallische Schule der frühen Neunziger aus den Augen zu verlieren. Diese Elemente wies seinerzeit schon 'The Wild Hunt' auf, und sie scheinen WATAIN lieb und teuer zu sein. Jedenfalls erzeugen sie das Gefühl, dass man bei WATAIN wirklich verstanden hat, was die zweite Welle ausgemacht hat.
Mit 'We Remain' betreten wir das letzte Drittel des Albums, und dieser Song wird schon allein dadurch für einige Aufmerksamkeit sorgen, dass sich Erik den Gesang mit Farida Lemouchi teilt, und auch als jemand, der nie sonderlich viel Zugang zu THE DEVIL'S BLOOD gefunden hat, muss ich sagen, dass Faridas Gastauftritt den Song und damit das Album im Sinne einer zusätzlichen Facette aufwertet, die sich in einem erwartungsgemäß psychedelischen, siebzigerlastigen Vibe weiter Teile des Songs niederschlägt, die sich in den Synths und auch in einigen Gitarrenpassagen manifestiert. Dabei beschreitet das Stück allerdings durch die Synthese mit einem eher modernen SATYRICON-Groove doch auch eher ungewöhnliche Wege und erschafft so eine sehr reizvolle Mélange.
Das kurze aber intensive 'Funeral Winter' verbindet einen Panzerkettendrive der Marke MARDUK mit einigen psychedelischen Einsprengseln und bereitet auf diese Weise dem Finale den Boden, in welchem 'Septentrion' sich eher kalt, distanziert, postapkalyptisch präsentiert und so nochmals die Vielseitigkeit dieses Albums unterstreicht. Jedenfalls haben die Schweden sich in all ihrer Vielseitigkeit einen Ansatz bewahrt, der mir weitgehend das gibt, was ich persönlich von Black Metal erwarte, das aber vielen anderen, heute sehr angesagten Black-Metal-Bands abgeht: WATAIN stellt sich stolz in eine Tradition des Rocks und Metals der Siebziger, Achtziger und Neunziger, ohne gleichzeitig mit den kompositorischen Konventionen derselben zu brechen. WATAIN zeigt noch Gesicht, Faust, Blut und Schweiß, und steckt nicht gesichtslos in schwarzen Roben mit Kapuze. Trotzdem ist die Musik vielseitig, innovativ und stets im Mittelpunkt des Interesses.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle