WISDOM OF CROWDS - Wisdom Of Crowds
Mehr über Wisdom Of Crowds
- Genre:
- Melancholic Rock/New Artrock/Progressive Rock
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- KScope
- Release:
- 07.06.2013
- Pleasure
- Wisdom Of Crowds
- Radio Star
- Frozen North
- The Light
- Pretend
- Stacked Naked
- Centre Of Gravity
- Flows Through You
Ein perfektes Herbstalbum mitten im Sommer. Pflichtkauf!
Letztens bin ich mir bewusst geworden, dass mir scheinbar etwas fehlt, wenn ich abends nicht den Rechner anmachen kann, um dann Mails zu checken, auf Facebook zu schauen und sonstige unnütze Online-Aktivitäten auszuführen. Als ich dann mit einem guten Whiskey und der "Wisdom Of Crowds"-CD auf der Couch saß und darüber nachdachte, war ich tatsächlich etwas erschrocken. Und dann entzückt darüber, wie toll es ist, einfach mal dazusitzen und sich mit einem Booklet in der Hand und grandioser Musik im Player ganz bewusst mit unserer Lieblingskunst zu beschäftigen. Wozu brauche ich die im Internet verbreitete "Weisheit der Massen"? Und kann man süchtig nach Informationen werden? Vielleicht, aber ich bin lieber süchtig nach Musik und dieses Album, auf dem einer meiner absoluten Lieblings-Sänger, Jonas Renkse von KATATONIA, singt, ist eine perfekte Droge. Songwriter und Komponist von "Wisdom Of Crowds" ist Bruce Soord von THE PINEAPPLE THIEF.
Geht es nur mir so, dass bei PINEAPPLE THIEF noch nie so sehr der Funke übergesprungen ist? Ich jedenfalls war erst etwas skeptisch und fragte mich, warum Renkse ausgerechnet mit Soord zusammenarbeitet. Solche Gedanken sind aber nichtig, wenn man das Album einmal gehört hat. Bruce Soord schreibt die perfekte Musik für diese Stimme und ich verwette meinen Hintern, dass ein Herr Steven Wilson das niemals besser hätte machen können.
Und jetzt kommen wir endlich zum eigentlichen Review: "Wisdom Of Crowds" klingt weder nach PINEAPPLE THIEF noch nach KATATONIA. Es klingt nach der Musik eines Profimusikers, der eine Stimme hört und ihr einen Maßanzug verpasst. Dieser besteht nur sehr selten aus verzerrten Gitarren. Es sind die eher getragenen und nachdenklichen Töne, die hier dominieren. Es spielen eher sanfte Grooves, elektronische Percussions, klingende Pianoakkorde, mal leicht jazzig klingende, mal akustisch gezupfte Gitarren und Streicher eine Rolle, es kann aber manchmal auch hart rocken. Soord gibt sich bei den Songs alle erdenkliche Mühe, die Musik facettenreich und detailverliebt zu gestalten. Und das steht nicht im Widerspruch zum eigentlichen Anliegen, nämlich einen Sänger in Szene zu setzen. Denn immer, wenn Jonas singt, ist er der Star. Alle Instrumentierung dient dazu, ihn in den Fokus des Lichts zu bringen. Und wenn er schweigt, wird für ihn getanzt. Oder um ihn herum.
Der schwungvolle Opener 'Pleasure' bringt einen sofort in das Album, und wer Jonas' Stimme mag, ist sofort verzaubert. Beim beswingten Titeltrack spürt man, wie einen eine sanfte Ruhe durchstrahlt, als würde man langsam zusehen, wie an einem Sommertag die Dämmerung einsetzt. Es ist einfach wunderschön! 'Radio Star' wirkt wie ein kantiger DEPECHE MODE-Song und besticht durch einen Ohrwurmrefrain, bei dem Jonas nur durch ein dezentes Piano begleitet wird. Perfekt arrangierte Popmusik. Es folgt der experimentellste und nach ca. zehn Durchläufen beste Track 'Frozen North'. Noch nie habe ich Renkse so zärtlich-einfühlsam gehört und die Streichermelodie über der gezupften Akustikgitarre ist einsame Spitze. Hier können einem tatsächlich Tränen kommen. Rund um diese Melodie baut Soord eine Achterbahnfahrt aus abgedrehten Effekten, post-rockigen Walls Of Sound und sogar ein paar KATATONIA-artigen Harmonien. 'The Light' ist aber auch nicht schlechter und klingt wieder anders. Es ist ein sich langsam steigernder, fast komplett elektronischer Track, bei dem später eine warme Leadgitarre auf Synthie-Federwolken schwebt. Jeder Gesangseinsatz von Renkse ist ein Gänsehautgenerator.
Bis jetzt sind wir auf 10-Punkte-Kurs. 'Pretend' hat dann wieder diesen wavigen DEPECHE MODE-Touch oder, noch treffender, erinnert an PARADISE LOSTs maßlos unterbewertetes "Host"-Album. Das etwas plätschernde 'Pretend' ist dann tatsächlich der erste kleine Hänger, auch wenn die Gitarrenlasagnen am Ende auch ziemlich cool sind. Die letzten beiden Tracks 'Center Of Gravity' und 'Flows Through You' sind per se auch absolut hörenswert, 'Flows Through You' hat mal wieder einen himmlischen Refrain, aber letztendlich kommen hier keine neuen musikalischen Aspekte mehr hinzu. Dies und der Fakt, dass am Ende zwei Minuten Stille und danach nur noch etwas Wabern kommt, bringt mich dann doch knapp von der Höchstnote ab. Das entbindet aber garantiert keinen Fan solcher Bands wie ANTIMATTER, BLACKFLIELD, ARCHIVE oder (neuerer) ANATHEMA von der Pflicht, "Wisdom Of Crowds" zu kaufen. Die KATATONIA- und PINEAPPLE THIEF-Jünger haben es ja eh schon. Ein Kleinod. Ein Juwel. Ein Kunstwerk.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Thomas Becker