WITT, JOACHIM - Ich
Mehr über Witt, Joachim
- Genre:
- Pop/Rock
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- spv
- Release:
- 28.08.2015
- Über das Meer
- Was soll ich dir sagen
- Warten auf Wunder
- Bitte geh mir aus dem Weg
- Hände hoch
- Lagerfeuer
- Wie viel mal noch
- Tod oder Leben
- 1971 oder Ein Mädchen aus Amerika
- Es wirbeln die Äste
- Alles was ich bin
- Ole (Klub)
- Nachtflug
Immer anders, immer toll.
Das 2014er Album "Neumond" ist noch nicht mal halb verdaut, da kommt ein Aufruf: JOACHIM WITT arbeitet am neuen Album und bittet seine Fans, ihn dabei per Crowdfunding zu unterstützen. Das gesetzte Ziel wird natürlich mit Leichtigkeit erreicht, der Großmeister tauft sein 15. Studioalbum stilsicher "Ich" und lässt die Fanbase sein neues Baby im Juni herunter laden. Alle anderen Interessierten lässt der Hamburger noch etwas warten: Der offizielle Release läuft über SPV Ende August über die Bühne.
So konnte ich mich "Ich" über Wochen ganz hingeben, ohne VÖ-Druck entspannt den neuen Kompositionen lauschen. Nicht wirklich überraschend ist dabei, dass der mittlerweile 66-jährige Witt sich erneut neu erfindet. Seine Diskographie ist geprägt von tiefen Einschnitten, von Neuanfängen und Veränderungen. So lässt der Mann mit der ultracharismatischen Stimme 2015 die Electro-Ausflüge von "Dom" und "Neumond" zu großen Teilen hinter sich und blickt offenbar zurück in die Vergangenheit. Es erinnert manches Stück, wie etwa '1971 oder Ein Mädchen aus Amerika' nicht nur vom Titel tatsächlich an alte NDW-Tage. 'Nachtflug' spielt gekonnt mit moderner Club-Musik, ist aber unverkennbar Joachim Witt.
Doch auch die Bayreuth-Zeit lässt sich auf "Ich" finden. So haben 'Tod oder Leben' und 'Ole (Klub)' diesen dezenten Gothic-Einschlag, diese dramatische Romantik, die seine Bayreuth-Reihe so unschlagbar klingen ließ. Dabei lässt Witt aber erneut meistens die E-Gitarre eher in der Ecke stehen (das ruhige 'Lagerfeuer' bietet eine willkommene Abwechslung) und verlässt sich auf seine Stimme, was durchaus funktioniert. Gerade 'Ole (Klub)' lebt vom unveränderten Charisma und den klaren Texten, die auch auf "Ich" zu keiner Sekunde übertrieben wirken, was Kritiker aber dennoch (mal wieder) unterstellen werden.
'Es wirbeln die Äste' sticht hervor mit elektronisch-avantgardistischem Einschlag, der schlüssig verbunden wird mit dem wortmalerischen Vokalfetzen, die Witts Karriere zu NDW-Zeiten stark prägte. Ein vertontes Gedicht, ein fesselndes Highlight. Ebenfalls eher vertontes Gedicht als Lied ist 'Alles was ich bin', in dem der Mittsechziger völlig unpeinlich mit seiner verstorbenen Mutter spricht und ihr eben für alles dankt, was sie für ihn gemacht hat. Er verbindet dies mit gewohntem Witz und leichter Religionskritik, mit Erkenntnissen über die Natur des Menschen und Erkenntnissen über sich selbst. Niemals pathetisch, immer wortgewandt auf den Punkt.
Nach den letzten fetzigen Akkorden von 'Nachtflug' kann ich kaum glauben, dass soeben fast eine ganze Stunde vergangen ist. So abwechslungsreich zeigte sich Joachim Witt bislang noch nie auf einem einzigen Album. "Ich" ist Retrospektive und Momentanaufnahme zugleich, es zeigt einen Menschen, der sich stets verändert hat und bringt alle diese Einschnitte zusammen. Passender hätte der neue Rundling demnach auch nicht betitelt werden können. "Ich" zeigt Witt aus jeder Perspektive. Dieser Mut wird belohnt, der Hanseat hat hier ein Album geschaffen, das aus vielen bekannten Zutaten ein ganz neues Gericht zaubert. Ein Album, das aus der eh schon in jedem Hinblick großen Diskographie herausstechen wird.
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Marius Luehring