WUCAN - Reap The Storm
Mehr über Wucan
- Genre:
- Kraut / Prog / Rock
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Haensel & Gretel / MiG
- Release:
- 29.09.2017
- Wie die Welt sich dreht
- Ebb and Flute/ The Eternal Groove
- Out of Sight, Out of Mind
- I'm Gonna Leave You
- The Rat Catcher
- Falkenlied
- Aging Ten Years in Two Seconds
- Cosmic Guilt
Wer den Wind sät, wird den Sturm ernten.
WUCAN: Das war Liebe auf den ersten Blick. Live anno '14 das erste Mal berührt, ist seitdem viel passiert. Die Debüt-EP "Vikarma" und das erste Album "Sow The Wind" sind Dauergäste in meiner Playlist, 'Wandersmann' würde ich als einen der besten Longtracks des Jahrzehnts bezeichnen, und die musikalisch virtuosen und dennoch energiegeladenen Konzerte sind immer wieder ein Hochgenuss. Deshalb sind die Erwartungen vorab der Beschäftigung mit "Reap The Storm" natürlich hoch.
Wenn es an "Sow The Wind" einen Makel gab, dann vielleicht das eher hässliche Cover. Nun, die zwei Hände auf "Reap The Storm" sind zwar auch reichlich unspektakulär, aber zumindest neutral. Blicken wir also auf die Musik. Einer meiner Wünsche wird schon beim Blick auf die Tracklist erfüllt: Es gibt diesmal mehr als nur einen deutschen Titel. Und gleich der Opener 'Wie die Welt sich dreht' hat es in sich. Herrlich bissig präsentiert sich WUCANs moderner Krautrock, Bass und Schlagzeug haben Groove, die effektbelandene Gitarrenarbeit ist höchst interessant und dann ist da ja noch das Trumpfass Francis Tobolsky, Dreh- und Angelpunkt von WUCAN. Forsch und ausdrucksstark ist ihre Stimme, eine starke Persönlichkeit suggerierend, eine Geschichtenerzählerin, die sofort einfängt und mitreißt. Leider ist sie ein wenig schwer zu verstehen, was bei den deutschen Lyrics natürlich besonders auffällt, aber vielleicht ist ja das was man sich einbildet zu hören spannender als die tatsächlichen Worte. Drehen tut sie sich aber, die WUCAN-Welt, bockstarker Einstieg, so kann es weiter gehen.
Geht es auch, ich sag's euch gleich. Bei 'Father Storm' sang Francis schon: "As you sow the wind, you will reap the storm". Und stürmisch geht es dann auch weiter. 'Ebb und Flute' (super Titel!) wird von einem von Francis’ genialen Flöten-"Riffs" getragen. Das Ding ging mir schon nimmer aus dem Ohr, als es letztes Jahr erstmalig live vorgestellt wurde, auch jetzt ertappe ich mich immer wieder dabei, es im Kopf nachzuspielen. Dazu wird gerockt und gegroovt, dass die Fetzen fliegen. 'Eternal Groove', jepp, das passt. Nach diesem Motto geht es zunächst auch mal weiter. WUCAN lebt diesmal die Vorliebe für Proto-Metal und Seventies-Hardrock à la BUDGIE und DIAMOND HEAD genüsslich aus und Francis mimt weitaus häufiger die Rockröhre als noch auf dem Vorgänger. Ihr einzigartiges Flötenspiel und die charakteristische Melodieführung werden dabei auf immer und ewig WUCANs Alleinstellungsmerkmal sein. Und auch in den simpleren Songs schreckt die Band nicht vor Überraschungen, ungewöhnlichen Wendungen und skurrilen Einlagen zurück.
Doch wenn ich von simplen Songs rede, dann muss es auch komplexe geben, oder? Ja genau! Die zweite Hälfte von "Reap The Storm" treibt einem Fan wie mir, einem Prog-Liebhaber, der aber aktuell kaum mehr Befriedigung aus den angesagten Prog-Veröffentlichungen der Genregranden zieht, die Freudentränen in die Augen. WUCANs Prog-Version löst sich von allen Vorgaben und Erwartungen. Bei WUCAN nehmen sie einfach die Instrumente in die Hand und spielen WUCAN. Das 'Falkenlied' ist eine unter die Haut gehende Akustik-Schönheit, in der Francis so betörend klingt wie nie zuvor. Ebenso simpel wie sensationell!
'Aging Ten Years In Two Seconds' müsste dann eigentlich 'Aging Ten Years In Twenty Minutes' heißen. Denn ich vermag mir vorstellen, dass man über diesen Monster-Longtrack ganze Doktorarbeiten verfassen könnte, so viel steckt hier drin. Wieder ein epischer Akustik-Anfang, ein treibender NWoBHM-artiger Hoppelpart, abgedrehte Psychedelia, Ausflüge in neofolkige Gefilde, 70s Prog, ausschweifende Epik und noch viel viel mehr vereint WUCAN hier zum schmackhaften Eintopf, der auch noch schmeckt, wenn man alt und grau ist. Vor allem, wenn man Querflöte liebt. WUCANs Musik ist eine Hommage an dieses Instrument, doch auch eine Hommage and Prog- und Rockmusik an sich, dargeboten von Menschen, die gleichzeitig Virtuosen und beinharte Fans sind, mit Respekt und Liebe zum Alten und dennoch völlig offen und Neues erschaffend. So will ich Prog hören. Mein absoluter Lieblings-Moment der Scheibe ist die 'Melinda'-Passage, einer der vielbeschworenen "magischen Momente", die man beim Musikhören haben kann: Was auch immer der Sinn der Lyrics sein mag, das Drama, dass Melindas Liebe nur eine Lüge sein soll (das ist alles, was ich mit Sicherheit verstehe), treibt mir immer wieder die Tränen in die Augen und Gänsehaut über den Rücken. Für meine heile Welt wünsche ich, sie möge die Partnerin des 'Wandersmanns' werden; der Track an sich wird wohl mein Song des Jahres.
Danach hätte man gerne auch aufhören können, doch es kommt noch ein weiterer Mammut-Song namens 'Cosmic Guilt'. Hier wird Francis live wohl wieder aus einem Buch lesen und die Hexe spielen. Der Song ist wie langsam aufsteigender Rauch, nebulös und wabernd, lange Zeit ein wenig undurchsichtig, doch mit der Zeit so betörend und berauschend, dass man einfach nicht mehr davon wegkommt, sich darin quasi verliert. Oder man kann auch sagen: Psychedelic Rock der Extraklasse! Was soll ich sagen, besser als "Reap The Storm" geht es mal wieder nicht und ich zücke das zweite Mal "zehn" für die Band.
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Thomas Becker