WUCAN - Sow The Wind
Mehr über Wucan
- Genre:
- Rock
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Hänsel & Gretel
- Release:
- 11.09.2015
- Father Storm
- Owl Eyes
- Looking In The Past
- Face In The Kraut
- King Korea
- Wandersmann
Ein Musiktraum in sechs Akten.
Letztes Jahr, 2014, war es das Debütalbum der BLUES PILLS, das mich komplett elektrisiert hat (zum Review). Und von meiner Höchstnote würde ich auch heute keinen Millimeter abweichen. Besser noch, auf dem fantastischen "Hammer Of Doom"-Festival später des Jahres habe ich schon geahnt, welche Band mir den Rock-Flash 2015 verpassen würde: nämlich WUCAN aus Dresden mit der explosiven wie attraktiven (ja, das gehört auch dazu!) Frontdame Francis Tobolsky. Selten, nein, nie habe ich einen dermaßen geilen Festivalauftakt durch einen Newcomer erlebt. Und klar, alle Tonträger und T-Shirts waren ausverkauft, da war der Gig noch nicht einmal zu Ende, so sagte man mir.
Optisch wie musikalisch war man mit dem hippiesken Outfit und dem satt-groovenden Retro-Rock damals - zumindest basierend auf meinem subjektiven Live-Eindruck - schon deutlich an Elin Larssons Kinderbande angelehnt, und ich erwartete von "Sow The Wind" - durchaus freudig - etwas, das ich für dieses Review als "BLUES PILLS mit Flöte" titulieren könnte. Doch ich verspreche hiermit - nach zahllosen Spins von "Sow The Wind" - diesen Vergleich nicht mehr zu ziehen. Denn WUCAN ist WUCAN und spätestens auf den zweiten Blick - oder Hör - etwas total Anderes.
Aber was ist WUCAN? Ich zitiere meinen Kollegen van der Laan: "Das ist einfach richtig gute, handgemachte, Geschichten erzählende Rockmusik mit einer giganto-großartigen Sängerin!"
Einer giganto-großartigen Sängerin, die zusätzlich noch Querflöte spielt, genauso wie der Meister - Ian Anderson - himself, und doch ganz anders. Der Opener 'Father Storm' fetzt so kristallklar aus den Boxen und kühlt die Seele wie ein Wasserfall-Bad im Hochsommer, und Francis brilliert abwechselnd mit zackigen Querflöten-Einlagen, die manchmal fast wie Gitarrenriffs klingen (echt jetzt...) und ihrem energetischen und dennoch völlig ungezwungen-losgelösten Gesang. Das ist Musik, die mich zur Ekstase bringt.
Es folgt das doomige Starkstrom-Riff von 'Owl Eyes', welches aber sofort wieder in den nächsten Zappel-Groove übergeht. "Electric Haze" heisst es im Refrain dieses Songs, und markiert nebenbei eine fast perfekte Beschreibung für WUCANs Musik. Denn diesig kann es mitunter auch einmal werden. Eine der für mich großen Stärken von WUCAN ist nämlich die Fähigkeit, immer wieder effekt-beladene Psyche-Spielereien in die Musik zu integrieren, aber nicht wie so oft als Zweck an sich, sondern als logische Elemente eines Songs. So geil fühlt sich das an, wie es nach dem jam-artigen Part wieder in den Refrain geht, da werd ich mich wohl niemals dran satt hören können.
Und wie viel Gefühl die Band hat! Bei 'Looking In The Past' werden zwei Minuten lang die Instrumente nur gestreichelt, Francis baut den Song mit der Querflöte auf, die Toms plätschern dazu, doch auf einmal steckt man mitten in einem funky Groove, einer Welt an Wah-Wah-Soli, frei improvisiertem Lautgesang, und ja, völlig losgelöster Musik. Toll!
Sehr rührend ist dann das ruhige 'Face In The Kraut', das trotz des 70ies-artigen Titels einen wundervollen 90ies-4 NON BLONDES-Touch hat. Man achte hier besonders auf die dezente Psychedelia im Hintergrund und das angeschrägte Gitarrensolo gegen Ende. So macht das keiner, und jawohl, so spielt man mit Effekten!
Das Tolle an "Sow The Wind" ist insbesondere, dass das Album mit jedem Song noch eine Steigerung parat hat. So hat 'King Korea' - Track Nummero fünf - für mich jetzt schon das Potential eines Rock-Klassikers. Wie es sich langsam und betörend aufbaut, bis Francis fast alleine einsteigt und des Königs Palast im Himmel besingt, ist, ähem, giganto-genial. Ja, genau, liebe Leser und lieber Herr van der Laan, diese Musik erzählt Geschichten, beschwört Bilder, stimuliert die Fantasie, und das nicht nur, weil WUCANs Stimme eine der allerbesten ihrer Art ist. Nein, WUCAN fasst alle Freuden zusammen, die ich als fünfunddreißig Jahre Rock hörender Fan an der besten aller Musiken bisher empfunden habe. Dazu zählt der treibende Mittelpart ebenso wie der zum Heulen schöne Übergang in der 'Wandersmann'.
Ja, der 'Wandersmann'. Welche freudige Überrasschung beim Erstkontakt, Francis deutsch singen zu hören! Und welch Freude, dieses fünfzehnminütige Epos danach immer und immer wieder in seiner vollen Länge und Lautstärke anzuhören, vorzüglich bei meinen allsommerlichen Streifzügen durch die Berge. "Gedenke der, die sich verloren, in Rausch und Tanz" heisst es, und ja, das kann bei WUCAN durchaus passieren. "Tanz" gibt es vor allem in den ersten Minuten, wo WUCAN den Rock zelebriert, wie man ihn nur zelebrieren kann, und "Rausch" erfolgt in der sagenhaften psychedelischen Achterbahnfahrt mitten im Song, wo man sich in einen HAWKWIND’schen Geisteszustand versetzt und sämtliche Traumländer bereist, die so ein Hasch-Trip - an guten Tagen - bereit halten kann. Und trotz allem, die große Stärke des Songs ist die tragende Melodie, so simpel wie effektiv und in seiner Einfachheit doch so variabel veränderbar, dass keine Permutation (folkig, rockig, doomig, psychedelisch) langweilig erscheint. Nein, im Gegenteil, sie setzt sich in der Hirnrinde fest und wird sich in Jahr und Tag nicht mehr aus der Meinigen herauslösen. 'Wandersmann' ist - trotz seines etwas abrupten und sonderbaren Endes - einer der ganz ganz großen Songs für mich. Und das Schöne ist, davon wird es sicher irgendwann auch eine Live-Version (mit "gescheitem" Ende, hehe) geben und - ich weiss das jetzt schon - live wird WUCAN noch besser sein als auf CD. Mit dieser Weissagung der Höchstnote für den Tonträger auszuweichen, ist jedoch ob dieser sechs traumhaften Songs unmöglich.
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Thomas Becker