ZINNSCHAUER - Hunger.Stille
Mehr über Zinnschauer
- Genre:
- Singer/Songwriter / Emo / Prog
- ∅-Note:
- 8.50
- Label:
- Kapitaen Platte
- Release:
- 28.11.2014
- V.Hunger - Klamm
- Hunger ist ein einsames Gefühl
- Echolalie
- Das Zahnen allein
- V.Stille - Tau
- Stille ist nur das Warten auf
- Echolot
- In Zahlen zu zweit
Unnachahmlich anspruchsvoll
Märchen sind im Grunde genommen nichts für Kinderohren – und wer sich bei der selbstgewählten Genrebezeichnung "Märchenemo" von ZINNSCHAUERs zweiteiliger LP "Hunger.Stille" eines spöttischen Lächelns nicht erwehren kann, sollte auf der Hut sein. Das Album ist ebenso verstörend, gewalttätig und bizarr, wie es lieblich und verträumt ist. Der Hamburger Musiker Jakob Amr hat vergangenes Jahr mit der Split-EP "Ich bin deine wachsenden Arme" bereits für Aufsehen gesorgt: Poetische Texte, mit einem Stimmspektrum vorgetragen, das alle Bereiche zwischen unschuldigem Gesang und martialischem Geschrei abdeckt, vorgetragen einzig zum Spiel einer (allerdings enorm gekonnt und vielfältig eingesetzten) Akustikgitarre. Musik "für Screamo-Folkrocker, poethische Mathematikerinnen und Hesse-Leser", wie das Intro Magazin lakonisch, aber irgendwie auch treffend festgestellt hat.
So ist nun auch "Hunger.Stille" wieder eine unkonventionelle Reise in die Abgründe des Menschlichen und Zwischenmenschlichen. Amrs Lyrik, vertonte Poesie, ebenso bildgewaltig wie ergreifend schlicht, kafkaesk und bedeutungsschwer, geht weit über das hinaus was man gemeinhin unter Songtexten versteht. Dabei zieht sich trotz der sperrigen Kompositionen, die erwartungsgemäß ohne konventionelle Strukturierung auskommen, ein roter Faden durch das Album. Das Motiv der Zeit, mit einem melodischen Wiedererkennungswert ausgestattet, taucht immer wieder auf, bildet somit die Achse der acht Einzelstücke und findet sich auch im künstlerischen Artwork der Platte wieder. Anfang und Ende sind offen gehalten, ein unabgeschlossenes Stück, eine stürmische Reflexion, an deren unterschiedlichen Etappen sich der Hörer je nach Stimmung, Lebensphase oder Erkenntnisgrad wiederfinden wird.
Die Einzigartigkeit von ZINNSCHAUER bleibt aber auch weiterhin der gewagte, anfangs durchaus befremdliche musikalische Ansatz. Eine Stimme, die so präsent ist, so intim, so einnehmend, dass es unmöglich ist ihr zu entgehen, singt einem da fröhlich ins Ohr, schreit einem ins Gesicht, wandert verstreut umher, und nimmt das irritierte Publikum dabei unmerklich an die Hand. Auch wenn Amr bei "Hunger.Stille" durch die Unterstützung von Sjard Fitter und Jonatan Lux gelegentlich das Spektrum an Instrumenten und Effekten erweitert, bleibt er doch ein einfacher Sänger mit Gitarre, ein Folkmusiker, ein Singer-Songwriter, und genau deswegen so persönlich und greifbar. Und so ist "Hunger.Stille" von Anfang an auch Privatkonzert, ganz direkt und gezielt, an jeden gerichtet der hinein hört. Wer nicht zu Beginn erschrocken abbricht, wird unmittelbar angesprochen, hineingezogen in die Seelenwelt von ZINNSCHAUER, und unbemerkt zum Mitwisser, Mitverschwörer, zum vertraulichen Gesprächspartner der drei Musiker.
ZINNSCHAUER bleibt einmalig, unnachahmlich, und mit der progressiv-poetischen Spielart enorm anspruchsvoll. Acht Lieder, zu zwei Stücken zusammengefasst, jedoch kaum voneinander trennbar, schmerzhafte Intensität, Faszination, Widerwillen, Verwirrung, Vertrautheit – das ist "Hunger.Stille". Künstlerisch anmaßend, avantgardistisch, und eben doch durch und durch bodenständig und entwaffnend ehrlich. Wer sich was traut, muss sich das hier unbedingt anhören!
- Note:
- 8.50
- Redakteur:
- Timon Krause