10 Kanus, 150 Speere und 3 Frauen
- Regie:
- Rolf de Heer
- Jahr:
- 2006
- Genre:
- Drama
- Land:
- Australien
- Originaltitel:
- Ten Canoes
1 Review(s)
15.09.2008 | 15:12"10 Kanus, 150 Speere und 3 Frauen"
Rolf de Heer erzählt mit "10 Kanus, 150 Speere und 3 Frauen" zum ersten Mal eine Geschichte aus dem Land der Aborigines, eine Geschichte aus ihrer Kultur in ihrer eigenen Sprache. Wer sich darauf einlässt wird in eine neue, fremdartige und faszinierende Welt reisen, welche den Zuschauer nicht mehr so schnell loslässt.
Story:
Die Geschichte beginnt folgendermaßen:
"Es war einmal in einem fernen Land *Gelächter*... nein, nicht so, aber eine Geschichte werde ich ihnen erzählen. Nicht ihre Geschichte, meine Geschichte.
Yolongo - die große Wasserhexe schuf dieses Land..."
Der Erzähler begleitet nun den Zuschauer durch den ganzen Film, indem er diesem eine Geschichte seines Stammes, seines Volkes erzählt. In dieser Geschichte wird ebenfalls eine Geschichte erzählt.
Er beginnt mit der Entstehungsgeschichte der Welt, dem Glauben seines Volkes an die Wiedergeburt, die Herkunftsgeschichte und geht weiter zu seinen Ur-Ur-Ahnen.
Während er die Geschichte seiner Ahnen erzählt, ist das Bild schwarz/weiß. Der Zuschauer wird in die australische Wildnis geführt, wo 10 Männer auf dem Weg zu ihren Jagdgründen sind. Sie müssen auf diesem Weg ihre Kanus noch bauen, doch währenddessen bleibt viel Zeit für Gespräche untereinander. Diese Gespräche finden in ihrer Sprache, dem Ganalbingu statt. Als Zuschauer erhält man Untertitel, während der Erzähler diese Gespräche immer wieder mit viel Humor kommentiert.
Die Jäger schälen zuerst Rinde um die Kanus zu bauen und kommen bei der Arbeit immer wieder auf Frauen zu sprechen. Dabei geht es vor allem darum, dass Dayindi eine der drei Frauen seines älteren Bruders und Stammeshäuptlings Minygululu begehrt. Die anderen machen sich über Dayindi lustig, doch sein Bruder nimmt sich die Zeit und erzählt ihm eine Geschichte, welche dem Bruder den rechten Weg zeigen soll. Nebenbei lernt aber Dayindi, welcher zum ersten Mal auf der Jagd im Sumpf dabei ist, wie alles vor sich geht. Wie der Erzähler sagt: er muss noch viel lernen.
Und die Geschichte beginnt mit: "Es war vor langer Zeit..." dabei bekommt der Film langsam Farbe. Erzählt wird die Geschichte von ebenfalls zwei Brüdern, welche dasselbe Problem hatten wie Dayindi und Minygululu. Diese Geschichte dauert so lange wie die Vorbereitung und Jagd selber, und wird immer wieder durch den Bau der Kanus, dem Übernachten auf den Bäumen im Wasser und der Jagd unterbrochen. Sie ist lang und erzählt von dem Zusammenleben, den Regeln und Gesetzen, aber auch von verschiedenen Persönlichkeiten, welche in dieser Gruppe zusammenleben. Es geht dabei nebst um die verbotene Liebe auch um Totschlag, Ehre, Arbeit, Hexerei, Tod und Verantwortung. Wenn die Geschichte unterbrochen wird, so ist der Film in s/w zu sehen, wenn die Geschichte weiterfährt, so sieht man Farbe, bis am Ende die Jagdgruppe wieder zuhause ist und Dayindi (und der immer wieder direkt angesprochene Zuschauer) die Auflösung bekommt.
Persönliche Meinung:
Dieser Film ist ein wie Rolf de Heer sagt, ein ethnographischer Film in mythologischen Vorzeiten. Es ist eine Geschichte, beinahe ein Märchen, mit einem wahren Hintergrund, einer existierenden (oder zumindest früher existierenden) Kultur und seinen Geschichten. Der moderne Zuschauer wird in eine fremde und exotische Welt geführt, welche aber gar nicht so andere Werte besitzt, als wir sie vor allem noch früher hatten. Denn der Mensch ist überall derselbe, mit seinen Trieben, seinem Überlebenswillen, seinem Glauben oder Aberglauben, aber auch mit seinen überlieferten Geschichten zur Erhaltung einer gewissen sozialen Ordnung.
Die Landschaftsbilder sind einmalig, obwohl vor allem im Busch gefilmt wurde. Sie bleiben im Gedächtnis haften und ich kann mir nicht vorstellen, dass man diesen Film je vergisst, auch wenn er nicht Action oder sonstwie reißende Momente vermittelt. Vielleicht ist es gerade seine Ruhe, welche auf mich so positiv ausgestrahlt hat.
Ganz besonders muss ich den Erzähler erwähnen. Auch wenn er Deutsch spricht, so ist seine Stimme vortrefflich gewählt, denn genauso stelle ich mir einen alten Aborigine vor, welcher mir diese Geschichte erzählt. Er ist lustig, natürlich und wirkt so gelassen, gegeben durch seinen Glauben und seine Lebenshaltung. Es herrscht eine sehr angenehme Stimmung während den ganzen 91 Minuten Film und als Zuschauer kann man sich einfach zurücklehnen und genießen... eine Reise in eine andere Welt mit Menschen, welche noch eine ganz urtümliche Natürlichkeit darstellen, die man hier so oft vermisst oder auch einfach nicht mehr passend wäre.
Sehr wichtig erachte ich es aber, die Extras nach dem Film noch zu schauen. So wird dem Zuschauer bewusster, dass die Geschichte der „10 Kanus, 150 Speere und 3 Frauen“ eine mythologische Geschichte darstellen und sich die heutige Situation (leider) in Australien ganz anders präsentiert. Für mich war es wieder einmal ein Grund um darüber zu philosophieren. Kann man alte Kulturen wieder aufleben lassen? Wo liegen die Ziele eines solchen Filmes, was bewirkt er im Zuschauer?
Wenn solche Fragen, nebst dem Genuss von 90 lustigen, nachdenklichen, traurigen, abenteuerlichen und spannenden Minuten aufkommen, so hat sich meiner Meinung nach ein Film gelohnt. Und dies ist hier definitiv der Fall.
Ich möchte diesen Film all denjenigen empfehlen, welche gerne besondere Filme mögen, das heisst offen sind für andere Kulturen und Parabeln, bzw. märchenhaften Geschichten.
Darsteller:
Fast alle Darsteller spielen hier zum ersten Mal in einem Film mit. Nur der Erzähler David Gulpilil hat vor mehr Filmerfahrung. Zwei bis drei Darsteller spielten noch in Kurzfilmen mit. Und genau dies macht, dass die Personen im Film so authentisch wirken. Manchmal wirkt es gespielt, nicht professionell, aber da es ihre eigene Geschichte ist, kann man als Zuschauer ein Auge zudrücken. Denn in erster Linie geht es hier um die Geschichte und ihre Botschaft und weniger um eine perfekte Performance von Darstellern einer in der Filmwelt eher selten vorkommender Kultur.
Bonus:
-Kanus bauen
-Hütten errichten
-Speere anfertigen
-Interview mit dem Darsteller und Co-Director Peter Djigirr
-Interview mit dem Regisseur Rolf de Heer
-Trailer
-Luftaufnahmen der Arnhem Gegend
- Die Fotos von Donald Thomson
Die Extras sind teilweise sehr interessant. So wird in den ersten drei Teilen gezeigt, wie die Kanus, Speere und Hütten, teilweise von den Darstellern selber, hergestellt wurden.
Im Interview mit dem Darsteller Peter Djigirr kommt klar hervor, wieso er und seine Leute ein solch großes Interesse an diesem Film haben. Sie möchten der weißen Welt zeigen, dass sie eigene Gesetze immer hatten und diese auch gerne wieder so einführen würden, dass sie ihre Kultur weiter pflegen und vom Weißen nicht als minderwertig behandelt werden möchten.
Rolf de Heer erzählt im Interview, wie er zu diesem Film kam, und wie dieser nach Umwegen entstanden ist.
Die Fotos von Donald Thomson sind ebenfalls spannend. Er war ein Anthropologe und arbeitete Mitte 1930 im Arnhemland, als das Leben der Ureinwohner in traditioneller und kultureller Hinsicht noch nicht vom weißen Australien beeinflusst war. Er machte damals viele Fotos, welche als inhaltliche und kulturelle Grundlage für diesen Film dienten.
Preise:
Der Film hat meiner Meinung nach nicht umsonst in Cannes 2006 den Spezialpreis der Jury erhalten. In Australien und den Niederlanden, wo Rolf de Heer herkommt, räumte er ebenfalls viele Preise ab.
DVD:
Sprachen: Aborigine-Deutsch DD 5.1, Aborigine-Englisch DD 5.1
Untertitel: Deutsch
16:9 (anamorph)
ca. 91 Min. Hauptfilm
Australien 2006
Altersfreigabe: 12
Verpackung: Amaray mit Schuber
"So, nun haben sie meine Geschichte gehört. Eine schöne Geschichte. Anders als ihre Geschichten, aber trotzdem eine schöne Geschichte."
- Redakteur:
- Doris Flückiger