Sherlock Holmes: Der begehrenswerte Junggeselle
- Regie:
- Peter Hammond
- Jahr:
- 1993
- Genre:
- Thriller
- Land:
- GB
- Originaltitel:
- The eligible bachelor
1 Review(s)
04.07.2010 | 23:21Phantasmagorie: Im Schloss der Albträume
Sherlock Holmes (Jeremy Brett) hat immer den gleichen Alptraum: Von wahnsinnigen Schreien begleitet, kommt ihm aus einer tiefen Erdgrube ein zerlumptes menschenähnliches Wesen entgegen. Holmes ahnt, dass seine gruseligen Träume etwas mit dem Verschwinden der hübschen Henrietta Doran (Paris Jefferson) zu tun haben, als er von Lord Robert St. Simon den Auftrag bekommt, sie zu suchen. Doch Holmes ist im Bilde über den angesehenen Ehemann Henriettas: zweimal schon hat er seine Ehefrauen frühzeitig auf mysteriöse Weise verloren. Kein Zufall also, denkt sich der Meisterdetektiv, und mit Logik und messerscharfen Analysen schafft er es, eine heiße Spur zu finden, die ihn direkt auf das finstere Anwesen von Sir Robert führt. Dort macht er dann eine grausige Entdeckung.... (Verlagsinfo)
Filminfos
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O-Titel: The Eligible Bachelor (GB 1993)
Dt. Vertrieb: Polyband & Toppic Video/WVG
Erscheinungstermin: 28. Juni 2004
FSK: ab 12
Länge: ca. 104 Minuten
Regisseur: Peter Hammond
Skript: T.R. Bowen, nach der Story “The noble bachelor” von Doyle
Musik: Patrick Gowers
Darsteller: Jeremy Brett, Edward Hardwicke, Rosalie Williams, Paris Jefferson u.a.
Handlung
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PROLOG
Eine Frau in einer Zwangsjacke wird in einer Privatklinik mit Chloroform ruhiggestellt und dann in einer Kutsche abtransportiert. Ihren Bestimmungsort werden wir erst ganz am Schluss erfahren… Wenig später stehen Holmes und Watson vor dem Irrenhaus von Barnet und sind froh, einen weiteren Fall abgeschlossen zu haben. Schreie, irres Gelächter verhallen im Nebel über London…
Henrietta Doran (Paris Jefferson) spaziert mit ihrem Verlobten, Sir Lord Robert St. Simon, vor Glarvon Castle, das seiner Familie gehört. Aber warum darf sie es nicht betreten, fragt sie. Er wolle die Bewohner nicht in Verlegenheit bringen, weil Henrietta nur die Tochter eines Minenbesitzers und somit nicht standesgemäß sei. Aber er warnt sie vorm Betreten des Zoos, in dem es einen gefährlichen Jaguar gebe. Hattie ist wie hypnotisiert von den Augen der Raubkatze, und das beruht auf Gegenseitigkeit.
Holmes ist ruh- und rastlos. Nachts durchstreift er Londons neblige Straßen, getrieben vom Bild aus einem Albtraum, das er wie besessen auf Zeichenpapier bannt: Eine Frau aus einem Grab greift nach ihm. Die angreifende Megäre sitzt inmitten eines Spinnennetzes, das ihn zu umfangen droht.
In seinem Bemühen, seine Tochter Henrietta unter die Haube zu bringen, trifft sich ihr Vater mit Lord St. Simon und schreibt ihm einen dicken Scheck aus. Das Geld soll für die Renovierung von Glarvon Castle verwendet werden. Doch war der Alte nicht sieht, ist, wie sich St. Simon hinterher zum Parl Club fährt und dort nur knapp einem Anschlag entgeht – den allerdings nur der Portier bemerkt. Im Spielclub wird St. Simon von einem Gläubiger bedrängt, der ihm besagten Scheck abnimmt. Beide hoffen auf größeren Reichtum, sobald Robert seine Hetty geheiratet hat.
Die Trauung in der Kirche geht halbwegs glatt über die Bühne, obwohl es zu einem Zwischenfall kommt. Danach lernt Hettie ihren Robert bzw. dessen Vergangenheit richtig kennen. Eine gewisse Flora Miller, ihres Zeichens Schauspielerin, tritt auf, zerkratzt ihrem Ex das Gesicht und wird dafür niedergeschlagen. Wenig später ist die Braut verschwunden. Mr Doran will die Polizei rufen, und Robert gibt sein Einverständnis.
Da die Cops nicht vorankommen, wendet sich Robert an Holmes. Doch der will lieber schlafen, und so muss Watson den Lord empfangen. Der Fall interessiert Holmes nicht. Erst als eine verschleierte Frau einen Zettel bei Mrs. Hudson abgibt, wird er hellwach: „Was ist mit Lady Maud und Lady Helena?“ Wie Nachforschungen ergeben, handelt es sich dabei um Hetties Vorgängerinnen. Maud starb, und Helenas Ehe wurde annulliert. Aber wieso? Holmes erkennt eine Serie: Drei Frauen, die verschwanden. Hat es etwas mit seinem Alptraum zu tun? Er ist entschlossen, die Sache aufzuklären.
In einem See wird Hetties Brautkleid gefunden, und ihr Vater identifiziert es. Da ein Zettel „von F.M.“ darin gefunden wurde, wird Flora Miller, die Schauspielerin, festgenommen. Der Zettel besteht in einer Rechnung eines teuren Hotels – interessant. Der Portier des zugehörigen Park Clubs bezeugt, dass Flora Miller auf Robert geschossen habe. Holmes findet auch eine entsprechende Kugel im Stein der Fassade, allerdings am falschen Ort. Was ging hier wirklich vor sich?
Wenig später steigt eine schwarz verschleierte Frau die Stufen zu Holmes’ Wohnung empor. Sie sieht aus wie der Todesengel, den das Schicksal gesandt hat…
Mein Eindruck
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In der Tat arbeitet Regisseur Peter Hammond ständig mit solchen Zitaten aus Gruselfilmen. Aber er tut noch mehr: Er verquickt diese Zitate mit der Traumanalyse.
Den Anfang machen Holmes’ im Albtraum empfangene Bilder von Phantasmen, die eine Spinnenfrau zeigen, die ihn verschlingen will. Eine offensichtliche Anspielung auf männliche Impotenz durch eine überwältigende Frau, würde ein Freudianer sagen (und Dr. Watson zitiert ja explizit Sigmund Freud in dieser überlangen Episode). Und bei einem eingefleischten Single wie Holmes erscheint das auch gar nicht so abwegig. Wie Jesus mischt er sich in alle möglichen menschlichen Notlagen ein, ohne sich aber an einen einzigen Menschen zu binden, geschweige denn, mit ihm körperlichen Kontakt zu suchen. Kurzum: Holmes ist ein Heiliger. Das muss ja schiefgehen.
Aber die Traumanalyse, die Dr. Watson mal so nebenbei amateurhaft vornimmt, erweist sich schließlich als abwegig und irreführend. Die Irreführung ist jedoch Absicht des Regisseurs, denn er suggeriert, dass nicht St. Simon der Schurke im Stück sei, sondern eine mysteriöse dunkle Dame, wie wir sie im Prolog gesehen haben – ein weiblicher Todesengel wie jener, der zu Holmes’ Wohnung hinaufsteigt. Diese Irreführung hat Methode, denn sie soll den Verdacht von St. Simon ablenken oder doch zumindest verunsichern.
Im Finale kommt jedoch wieder der Ken-Russell-Ansatz zum Tragen: Symbole der Traumdeutung à la Poe spuken im Innern des expressionistisch ausgeleuchteten Glarvon Castle. Ja, es handelt sich um Zitate aus Holmes’ Traum: der rote Stuhl mit dem von Krallen zerschlitzten Polster; die Grube (das Pendel fehlt); der Jaguar; die Augen der Frau; das Spinnennetz.
Dass sich alle diese Symbole dann in einer finalen Handlungssequenz wiederfinden, macht diese grotesk und albtraumhaft. So als befände man sich in einem Albtraum von Salvador Dalí, wie er etwa in Hitchcocks „Ich kämpfe um dich“ zu sehen ist. Doch die Motivation der Figuren ist alles andere als irrational, sondern durchaus nachvollziehbar: Hettie ist wieder aufgetaucht und stellt Robert zur Rede. Dieser muss Farbe bekennen: Hat er wirklich all ihre Vorgängerinnen ermordet oder ins Irrenhaus geschickt? Und was wird er jetzt wohl mit Hettie anstellen?
Dass Robert als Heiratsschwindler und Mitgiftjäger seelisch eng verwandt ist mit dem Jaguar, den er in seinem Privatzoo hält, ist dem Zuschauer durch die Symbolik bereits sonnenklar geworden. Nun fehlt nur noch eines: die gerechte Vergeltung für seine Missetaten, herbeigeführt durch eben jenes Symbol – den Jaguar. Wird sie gelingen? Die Nähe zu den Schauerfilmen der Hammer Studios könnte nicht enger sein.
Doch Holmes sucht noch etwas anderes: die Grube mit der Frau. Hier findet der eigentliche Showdown mit einem verblüffenden Effekt statt, der auf keinen Fall verraten werden darf. Die Frau seiner Albträume taucht tatsächlich auf, doch wird sie Holmes zum Verhängnis oder dem Schurken?
Die DVD
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Technische Infos
Bildformate: 4:3 - 1.33:1
Tonformat: Dolby Digital 2.0, HiFi Sound
Sprachen: Deutsch (Dolby Digital 2.0), Englisch (Dolby Digital 2.0)
Untertitel: keine
EXTRAS:
1) Biografie von Arthur Conan Doyle
2) Biografie von Jeremy Brett
3) Serien-Trailer
Mein Eindruck: die DVD
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Bild und Ton
EXTRAS:
Der Ton liegt in Deutsch und Englisch im Standard Dolby Digital 2.0 vor, was einem guten Fernseher entspricht. Deshalb darf man hier keine Sensationen erwarten. Es gibt keine Untertitel, was das Verständnis der vielen Namen erschwert.
EXTRAS:
1) Biografie von Arthur Conan Doyle (Texttafeln)
Sir Arthur Conan Doyle lebte von 1859 bis 1930 und gelangte mit seinen Erzählungen um den Meisterdetektiv Sherlock Holmes zu Weltruhm. Dabei begann der von Jesuiten ausgebildete Mediziner, der eine eigene Praxis hatte, erst 1882 mit dem Schreiben, um seinen Einkommen aufzubessern. Neben historischen, mystischen und parapsychologischen Themen griff er 1912 auch die Idee einer verschollenen Region (mit Dinosauriern und Urzeitmenschen) auf, die von der modernen Welt abgeschnitten ist: "The Lost World" erwies sich enorm einflussreich und wurde schon 13 Jahre später von einem Trickspezialisten verfilmt. Ewigen Ruhm erwarb sich Doyle jedoch mit der rund 60 Werke umfassenden Sherlock-Holmes-Reihe. Granada verfilmte davon immerhin 41 Stories und Romane.
2) Biografie von Jeremy Brett (Texttafeln)
Geboren als Peter Jeremy William Huggins, verbot ihm sein militärischer Vater, den Familiennamen für seine Schauspielkarriere zu verwenden, so dass er sich fortan „Jeremy Brett“ nannte. Nach einem relativ erfolglosen Hollywood-Aufenthalt spielte er in zwei guten englischen Produktionen wie „The Good Soldier“, durch die der Granada-Produzent Michael Cox auf ihn aufmerksam wurde. Zwischen 1984 und 1994 spielte Brett in 36 kurzen à 50 min. und fünf langen Filmen à ca. 100 min. Sherlock Holmes und trat ein Jahr lang in dieser Rolle auf der Bühne auf, neben Edward Hardwick, seinem Watson in drei Staffeln. Manisch-depressive Anfälle und eine lange unerkannte und falsch medikamentierte Herzkrankheit hinderten ihn am Weitermachen – die Versicherungen wollten das Risiko seines Auftritts nicht mehr eingehen.
Es war wohl Jeremy Brett, der dafür eintratt, die Erzählungen so originalgetreu wie möglich umzusetzen, was der Intention Michael Cox’ entgegenkam. Allerdings mussten sich die Drehbuchautoren sowohl bei schwächeren Stories und den Langfilmen mit Zusatzelementen in der Handlung behelfen, um sowohl genügend Dramatik als auch Länge zu erzielen.
3) Serien-Trailer
Der Trailer schneidet einfach die spannendsten und unheimlichsten Momente aus den fünf Langfilmen zu einem Potpourri zusammen. Man merkt schnell, welchen unglaublichen Aufwand an Drehorten, Kostümen und Make-up die Produzenten trieben.
Unterm Strich
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Dass auch diese Verarbeitung der literarischen Vorlage sich weit von der Vorgabe entfernt, dürfte nicht weiter verwundern. Die Drehbuchautoren waren gezwungen, die doppelte Episodenlänge von rund 100 Minuten mit Inhalt zu füllen, und dafür mussten sie sich zusätzliches Material einfallen lassen – die gesamte Überhöhung durch die Traumanalyse. Der Alptraum Holmes’ erweist sich als prophetisch und weckt so erhebliche Spannung.
Allerdings setzt Regisseur Peter Hammond allzu stark auf Horroreffekte (Gruft, Leopard, die Megäre usw.), so dass die Ermittlung Holmes’ eine groteske Note erhält, die so manchen Holmes-Puristen abstoßen dürfte. Da ich jedoch Vergnügen an originellen Einfällen empfinde, begrüße ich diese auf Grusel getrimmte Inszenierung. Noch heute, mehrere Wochen danach, sind mir bestimmte Bilder weiterhin in Erinnerung – der zerfetzte Stuhl, die Frau in der Grube, die Augen des Jaguars und so weiter. Das kann nicht jede Holmes-Episode von sich sagen.
Kernthema
Wenn es ein zentrales Thema dieser Geschichte gibt, so sind es die wirtschaftlichen Machenschaften um Vermählungen herum. Heiratsschwindler und Mitgiftjäger hatten damals wie heute Hochsaison. Liebesheiraten scheinen etwas für Julia-Romane gewesen zu sein, denn damals wurden Ehen zwischen Eltern und Familien ausgehandelt, mit den Frauen als Handelsobjekten. Und Doyle selbst warnt immer wieder vor dem verführbaren Herzen einer Frau, die keinerlei Führung genießt, so etwa in „Das Verschwinden der Lady Francis Carfax“, einer der psychologisch und actionmäßig bemerkenswerten Folgen der 41-teiligen Holmes-TV-Reihe.
Die DVD
Die DVD bietet ein ähnlich gutes Bild wie „Das Zeichen 4“. Der Ton ist auf Fernseherniveau, die Musik Patrick Gowers’ ist opulent wie immer. Das Bonusmaterial, das hauptsächlich aus Texttafeln besteht, erweist sich als ebenso spärlich wie bei den anderen Langfilmen der Holmes-Reihe von Granada, so etwa bei „Das Zeichen 4“ und „Der begehrte Junggeselle“. Ein Audiokommentar wie bei „Der Hund von Baskerville“ und „Der letzte Vampir“ fehlt, außerdem gibt es keine Untertitel, die die zahlreichen Figuren verdeutlich hätten. Dafür gibt es Punktabzug.
Michael Matzer (c) 2010ff
- Redakteur:
- Michael Matzer