Zug des Lebens
- Regie:
- Radu Mihaileanu
- Jahr:
- 1997
- Genre:
- Drama
- Land:
- Belgien / Frankreich / Israel / Niederlande
- Originaltitel:
- Train de Vie
1 Review(s)
25.07.2004 | 12:58"Es war einmal in einem kleinen Shtetl,
einem jüdischen Marktflecken
im Osten Europas im Jahre 5701 oder 1941
nach dem neuen Kalender.
Es war Sommer, Sommer 1941. Im Juli, glaube ich...
Ich bin geflohen, weil ich dachte, man kann fliehen vor dem,
was man schon gesehen hat, zu oft gesehen hat
Ich bin losgelaufen, um sie zu warnen,
... die Meinen, ... mein Shtetl, ... mein Dorf.
Das ist die Geschichte dieses Dorfes,
so wie wir sie alle erlebt haben."
Es sind schlimme Nachrichten, die der Dorfnarr Schlomo seiner jüdischen Gemeinde überbringt: Die deutschen Truppen kommen näher, und mit ihnen die Gefahr der Deportation in ein Lager. Es muss etwas geschehen, soviel ist sicher... Bloß was? Die ebenso verrückte, wie einleuchtende Idee kommt schließlich von Schlomo selbst: Die Dorfbewohner müssen sich selbst deportieren. Einen Zug kaufen, einige Auserwählte als Nazis verkleiden und mit diesem Zug nach Palästina, ins gelobte Land fahren - das ist der Plan. So verkauft ein jeder Teile seiner Besitztümer, spendet sein Vermögen, so dass eine alte, klapprige Lokomotive mit ebenso heruntergekommenen Waggons gekauft werden kann. Mit vereinten Kräften wird dieser Zug restauriert, auf Hochglanz getrimmt und mit Hakenkreuzen versehen. Währenddessen lernen die Dorfbewohner, die später als Nazis agieren sollen, ohne den verräterischen jiddischen Akzent zu sprechen. Auch einen Lokomotivführer hat man bereits engagiert. Besser gesagt: einen Beamten des Verkehrsministeriums, der zwar noch nie eine Lokomotive gefahren hat, aber im Besitz eines wertvollen Buches namens "Wie man eine Lokomotive fährt" ist.
Eines Nachts ist es schließlich soweit: Die jüdische Gemeinde deportiert sich selbst. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten beginnt die Reise in den Osten. Nicht nur die Deutschen, die bei dem in keinem Fahrplan verzeichneten Geisterzug Verdacht schöpfen, auch die Nahrungsmittelknappheit macht der jüdischen Gemeinde auf ihrer Reise zu schaffen.
"Zug des Lebens" ist ein Film, der berührt. Mit einem Humor, der sofort für sich gewinnt und dem unglaublichen Charme, der hier stetig versprüht wird, schafft es Regisseur Radu Mihaileanu, die drückend schwere Thematik der Judenverfolgung im zweiten Weltkrieg, ohne jegliche Verharmlosung, aber immer mit einem zwinkernden Auge zu vermitteln. Alles fängt an im kleinen jüdischen Shtetl, wo die dortige Aufbruchstimmung den Zuschauer sofort mitreißt. Eben jene Aufbruchstimmung wechselt im Moment der Abreise dann schlagartig zu bedrückender Traurigkeit: Erst hier realisieren die Bewohner wirklich, dass sie ihr Dorf verlassen müssen und höchstwahrscheinlich nie wieder zurückkehren können. Eine zwar aufregende, in erster Linie aber ungewisse Zukunft hat begonnen. Der Zug des Lebens, ist somit zugleich auch ein Zug der Hoffnung und der Furcht. Die Charaktere sind allesamt liebenswert und einzigartig, in ihrer Denkweise und ihrem Handeln. Da wäre zuerst der Rabbi zu nennen: geistiger Anführer des Dorfes, ein Mann, von dem viel Energie und Willenskraft ausgeht, der die Freuden des Lebens zu schätzen weiß. Es ist seine Aufgabe, den Dorffrieden zu sichern und die Bewohner vor der drohenden Gefahr zu retten. Ein weiser Mann, der allem im Leben mit viel Verständnis gegenübertritt. Dann wäre da Schlomo, der Dorfnarr. Schlomo, so stellt sich schnell heraus, ist ein hochintelligenter, philosophischer Mann. Ein wenig durchgeknallt, aber herzensgut sieht er das Beste in den Menschen und hat seinen festen Platz in der jüdischen Gemeinde. Er ist zugleich Erzähler der Geschichte vom "Zug des Lebens". Dritter Hauptcharakter der Geschichte ist Jossi, der vom Rabbi mit aufgezogen wurde. Nach einer Reise in eine benachbarte Stadt hat er sich voll und ganz dem Kommunismus verschrieben und baut innerhalb der Gemeinde eine Gruppe ihm Gleichgesinnter auf, die zwar alle nicht so ganz wissen, um was es geht, den euphorischen Reden des Jossi jedoch gerne lauschen. Jossi repräsentiert die Unsicherheit, die Ungewissheit, die aus den neuen Umständen hervorgeht, in Form einer Revolte gegen das Althergebrachte. Nie bösartig, eher etwas verunsichert über die sich selbst zugeteilte Position des Anführers einer neuen Bewegung, wirkt er immer etwas harmlos. Der vierte und letzte Hauptcharakter im "Zug des Lebens" ist schließlich Mordechai. Er hat die Rolle des Anführers der als Nazis verkleideten Juden und fühlt sich in dieser Rolle des öfteren sichtlich wohl. So weigert er sich auch, dass er und seine "Männer" beim Sabbat ihre Uniform ausziehen, was dem Zuschauer einige unvergessliche Szenen einbringt. Mordechai ist der Mann, von dem bei Begegnungen mit "echten" Nazis alles abhängt. Tod oder Leben seines Dorfes liegen in seinen Händen, beziehungsweise vielmehr in seiner Fähigkeit, den jiddischen Akzent zu unterdrücken und in die Rolle eines befehlshabenden Nazis hineinzuwachsen.
Diese vier auf den ersten Blick verschiedenen, bei detaillierter Betrachtung aber gar nicht so ungleichen Charaktere stellen das Rahmenwerk des Filmes dar. Ihre Taten, ihre Handlungen stehen im Vordergrund. Die große Gefahr, die durch die Nazis ausgeht, lauert dabei meist nur leise im Hintergrund und wird überdeckt von der Lebensfreude der Reisenden und den erstklassigen humoristischen Einlagen, die nur selten einem der Thematik angepassten unangenehmen Beigeschmack haben. Somit ist "Zug des Lebens" eine brillante Komödie, eine ernste Geschichte so lustig erzählt, dass jegliche Reserviertheit des Zuschauers, bei einem Film über die Judenverfolgung zu lachen, mit einem Schwung hinwegspült wird. Definitiv eine Meisterleistung von Radu Mihaileanu, der sich mit diesem Film ein kleines Denkmal gesetzt hat.
Der "Zug des Lebens" ist ein Werk voll natürlicher Schönheit, Lebensweisheit und Authentizität, das in keiner Filmsammlung fehlen sollte.
"Meine Farbe, die Farbe meines Gemäldes konnte nur die Komödie, der Humor sein... ich bediene mich der Geschichte des jüdischen Volkes, das immer überlebt hat mit dieser Waffe, die für mich die schönste und spontanste Waffe des Menschen ist"
- Radu Mihaileanu
Sunfilm veröffentlichen die DVD in einer sehr edel aufgemachten Edition mit Buchform, die neben dem Hauptfilm eine zweite DVDs mit diversen Extras bietet. Hierzu zählt in erster Linie ein 80-minütiges Gespräch zwischen Regisseur Radu Mihaileanu und seinem Vater Ion Mihaileanu, sowie ein Making Of über den Film. Als Sprachen stehen Deutsch und Französisch zur Auswahl. Hervorzuheben ist hier die Arbeit der deutschen Sychronisation: Der jiddische Akzent spielt eine große Rolle (woran sich das ungeübte Ohr erst ein wenig gewöhnen muss) und steht der harten deutschen Sprache gegenüber. Auch das im Set integrierte Beiheft weiß durch liebevolle Detailarbeit zu überzeugen. Hier kann man sich nicht nur über den Film und die Crew, sondern auch über die Entstehung und das Leben im jüdischen Shtetl informieren.
- Redakteur:
- Christian Debes