800 Bullets
- Regie:
- Álex de la Iglesia
- Jahr:
- 2002
- Genre:
- Action
- Land:
- Spanien
- Originaltitel:
- 800 balas
1 Review(s)
20.01.2008 | 01:31Einführung:
Lange hat es ja gedauert, bis "800 Bullets" in Deutschland veröffentlicht wurde. Doch lieber spät als nie hat sich wohl e-m-s gedacht und so ist der Titel nach 5 Jahren nun doch noch erschienen. Ich bin ja immer gespannt, was sich der außergewöhnliche Regisseur Álex de la Iglesia wieder für uns Filmfans hat einfallen lassen. Er ist ja seit jeher für seine etwas skandalösen Filmchen bekannt, zum Teil auch wegen des hohen Gewalt- und Blutanteils. Sein in Deutschland bekanntester Film dürfte dann wohl auch "Perdita Durango" sein, der inzwischen schon so etwas wie Kultcharakter besitzt.
Wer "800 Bullets" allerdings nur wegen des Covers gekauft hat, für den könnte es eine böse Überraschung geben, denn das Cover verspricht einen Western, was "800 Bullets" aber definitiv nicht ist – zumindest nicht so ganz.
Zusätzliche Infos:
Regie: Alex de la Iglesia
Drehbuch: Álex de la Iglesia, Jorge Guerricaecheverría
Produktion: Juanma Pagazaurtandua
Darsteller: Ángel de Andrés López, Eduardo Antuña, Ramón Barea, Luis Castro, Cesáreo Estébanez, Luciano Federico, Eduardo Gómez, Sancho Gracia, Enrique Martínez, Carmen Maura (Volver), Gracia Olayo, Terele Pávez
FSK: ab 12 Jahren
Länge: 121 Minuten
Filmographie Álex de la Iglesia:
- The Oxford Murders (2008)
- The Baby's Room (2006)
- Ein Ferpektes Verbrechen (2004)
- 800 Bullets (2002)
- Allein unter Nachbarn (2000)
- Muertos de Risa (1999)
- Perdita Durango (1997)
- El Dia de la Bestia (1995)
- Aktion Mutante (1993)
- Mirindas Asesinas (1991)
Handlung:
Als der 12-jährige Carlos (Luis Castro) mit seiner Mutter (Carmen Maura) und seiner Großmutter in ein neues Haus zieht, findet er in den Umzugskartons aus Zufall ein Bild seines Vaters, der bei einem Filmdreh gestorben sein soll. Seine Mutter hatte das Bild vor ihm versteckt, weil sie ihm die genauen Todesumstände nicht erzählen wollte.
Doch jetzt, da Carlos das Bild schon einmal gefunden hat, erklärt die Großmutter dem Kleinen ein paar genauere Details über seinen Vater, obwohl die Mutter noch immer dagegen ist.
Die Oma eröffnet dem Kleinen, sein Vater sei bei einem Filmdreh gestorben, er war Stuntman und der Großvater (Sancho Gracia), welcher noch immer in Andalusien auf dem Filmgelände lebt, war Schuld an dessen Tod. Mehr will sie aber nicht darüber erzählen.
Doch bei Carlos hat diese sparsame Erklärung jetzt nur noch mehr Interesse geweckt. Er will alles über die unvollständige Geschichte erfahren und die einzige Informationsquelle stellt nun eben der für ihn bislang unbekannte Großvater dar. So kommt es ihm gerade recht, dass seine Schulklasse einen Skiurlaub plant. Während die Mutter glaubt, Carlos sei in den Winterferien, macht sich Carlos aus dem Staub und geht auf die Suche nach seinem Großvater. Dieser soll ja noch immer auf dem alten Drehgelände leben, in dem die klassischen Italowestern mit Clint Eastwood gedreht wurden. Jetzt veranstaltet der ehemalige Stuntman dort Westernshows, um damit seinen Lebensunterhalt zu sichern.
Gewieft, wie der Kleine ist, schafft er es tatsächlich bis zur Westernstadt, doch dort angekommen wird er von seinem Großvater nicht sonderlich freundlich empfangen. Anstatt weitere Informationen über Carlos Vater preis zu geben, schwelgt der chaotische und ständig betrunkene Großvater in alten Erinnerungen über die Drehtage mit Clint Eastwood, den er gedoubelt haben soll – der Enkel soll aber gleich wieder nach Hause fahren. Aber an eine schnelle Heimreise denkt Carlos überhaupt nicht. Fortan klebt er förmlich an seinem "neu entdeckten Großvater", der sich schließlich auch geschlagen gibt – Carlos darf bleiben.
Inzwischen hat aber die Mutter erfahren, dass Carlos nicht etwa im Winterurlaub Ski fährt, sondern dass er bei dem Taugenichts ist, für den sie ihren Schwiegervater hält. Da macht sich auf den Weg um dem Trunkenbold, der für den Tod ihres Mannes verantwortlich ist, das Leben zur Hölle zu machen.
Kritik:
Was sich beim Durchlesen der Handlung nach einem etwas verträglicheren Werk Álex de la Iglesias anhört, ist dann in der Wirklichkeit doch schwerer zu verdauen als erwartet. Denn nicht einmal der Oberbegriff "Genre-Mix" wird "800 Bullets" gerecht. Es stimmt zwar, dass Komödie, Drama und Western in ungewöhnlicher Art und Weise gemixt werden, doch wie – so haben das sogar erfahrene Cineasten bislang sicher nur selten gesehen.
Doch der Reihe nach. Zunächst beginnt der Film – die Western-Sequenz am Anfang, bei welcher der Vater zu Tode kommt einmal ausgenommen – als waschechtes Drama. Ein Sohn, der zu seinem Großvater will – an sich nichts Neues. Dann, als der Kleine aber in der Westernstadt ankommt, beginnt der Genrewechsel im Sekundentakt. Ein echter Ritt der Gefühle und der skurrilen Bilder. Wirklich witzige Gags werden von Drama-Elementen gefolgt und das alles noch mal gemixt mit der Neo-Western-Atmosphäre – eine Western-Enklave in der heutigen Zeit, aber mit Männern, die in der Zeit stehen geblieben zu sein scheinen. In den alten Western-Kulissen sind die Cowboys die alten Haudegen, wie man sie aus den Filmen kennt, doch am Abend geben sie ihr Machogehabe ab und lümmeln in der örtlichen Bar - als ganz normale Bürger. Das muss man erst einmal verkraften. Am Ende liefert sich dann die moderne Polizei noch ein sehr blutiges Shoot-Out mit den Cowboys. Hier dreht die Handlung dann völlig durch und die Welten mischen sich. Sehenswert.
Verglichen mit den bisherigen Werken Álex de la Iglesias kann ich jedoch sagen, dass es bei "800 Bullets" zwar etwas an Härte fehlt, doch viele haarsträubende Ideen für die er so bekannt wurde, sind trotzdem zahlreich vorhanden – auch der respektlose Genre-Wechsel im Sekundentakt von Drama zu Komödie. Da bleibt dem Zuschauer schon einmal ein Lacher im Halse stecken.
Doch leider gibt es auch einen negativen Punkt, den ich ansprechen möchte. Im ersten Drittel des Films gibt es lange Zeiten des Stillstandes in der Handlung. So ist dieser Teil des Films ein wenig langweiliger geraten. Es geht einfach nicht weiter in der Story. Zwar versüßen einige gelungene Gags die Wartezeit, doch wäre eine Straffung dieser Szenen sicher besser gewesen. Die Schauspielerriege gibt aber keinen Anlass zu Kritik, besonders Sancho Gracia als der etwas verwahrloste Großvater mit dem Herz am rechten Fleck kann überzeugen. Doch auch die restlichen Darsteller sind gut gewählt – auch der kleine Luis Castro als Carlos spielt sehr locker und unverkrampft – auch nicht selbstverständlich für ein Kind.
Eine Besonderheit von "800 Bullets" stellt auch die Location dar, in der der Film gedreht wurde. Das Set befindet sich nämlich in der spanischen Provinz Almeria (die einzige Wüste in Europa und als Texas Hollywood bekannt), die schon Schauplatz unzähliger Western ("Der Schuh des Manitu" wurde ebenfalls dort gedreht) der 60er und 70er Jahre war. Schon wegen dieser Tatsache gibt sich der Film in seinen Western-Szenen sehr authentisch und diese sind wohl auch als eine Art Hommage der Klassischen Western aus diesen Jahrzehnten gedacht. Das i-Tüpfelchen wäre natürlich noch gewesen, wenn Clint Eastwood selbst die Schluss-Szene gespielt hätte – aber das ist wohl zuviel verlangt. Trotzdem eine gelungene Mischung aller Elemente, mit einem kräftigen Schuss Italo-Western.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass "800 Bullets" eine sehr gelungene Konstruktion aus Drama und Komödie darstellt, in der auch viele skurrile Ideen des Regisseurs ihren Platz gefunden haben. Manchmal hart an der Geschmacksgrenze, doch dafür ist Álex de la Iglesia ja bekannt. Zusätzlich verneigt er sich vor den klassisch angelegten Western und der heimischen Landschaft, in der diese Klassiker gedreht wurden. Auch die Kameraarbeit folgt diesen Klassikern. So ist mit "800 Bullets" echtes europäisches Kino entstanden, wie ich es mir auch in Zukunft wünsche – nicht jeden Geschmack treffend, aber unverwechselbar ehrlich.
Die DVD:
Die Bildqualität dieser e-m-s Veröffentlichung stellt sich für den Zuschauer als recht gut gelungen dar. Die Farben sind meist kräftig und natürlich - aufgrund des hellen Sets der Wüstenlandschaft, manchmal auch in wenigen Szenen hell oder blass. Die Schärfe ist ebenfalls gut gelungen. Alles in allem also ein würdiger Transfer ohne nennenswerte Fehler.
Die beiden Tonspuren in Deutsch (Dolby Digital 5.1) und Spanisch (Dolby Digital 5.1) wurden ebenfalls sehr zufriedenstellend auf den Silberling gebracht, die Dialoge sind gut verständlich und auch das Raumgefühl kann überzeugen. Etwas mehr Basseinsatz bei den Actionszenen wäre aber sicher für Heimkinofans ein klarer Pluspunkt gewesen.
Die Extras:
- Making of
- Deleted Scenes
- Storyboard Vergleich
- Alternatives Ende
- Interviews
- Originaltrailer
- Teasertrailer
- TV Spots
- Bildergalerie
- Alex de la Iglesia Bio- & Filmografie
Fazit:
"800 Bullets" ist sicher ein eher erwachsener Film als die frühen provokanteren Werke von Álex de la Iglesias. Trotzdem sind viele Elemente seiner früheren Filme enthalten, denn als leicht verdaulich ist dieses Werk mit Sicherheit auch nicht zu bezeichnen. Die Fans wird es freuen, viele Szenen bewegen sich hart an der Geschmacksgrenze.
Was ich als richtig gut gelungen empfand, war die Gratwanderung zwischen den verschiedenen Genres. Iglesias vermischt diese so gekonnt, dass kaum Schnittstellen zu bemerken sind, oder dass sich diese Verschiedenheit negativ auf den Handlungsverlauf auswirkt.
"800 Bullets" – ein gelungener, sehr spezieller Film mit viel Handschrift des Meisters inszeniert und eine Hommage an den Italo-Western. Europäisches Kino, das seine Identität nicht verstecken kann und auch nicht braucht. Ein zarter Hoffnungsschimmer für unsere europäische Filmlandschaft.
Doch Vorsicht, massentauglich ist dieses Werk nicht – am Besten Probe gucken...
- Redakteur:
- Detlev Ross