Antichrist
- Regie:
- Lars von Trier
- Jahr:
- 2009
- Genre:
- Drama
- Land:
- Dänemark / Deutschland / Frankreich / Schweden / Italien / Polen
- Originaltitel:
- Antichrist
1 Review(s)
17.08.2010 | 09:13Es gehört schon einiges dazu, wenn man es in der heutigen Zeit noch schafft, mit einem Beitrag das Publikum beim Filmfestival von Cannes zu entsetzen und manch einen gar zu Äußerungen wie "This film needs to be burned" zu bewegen. Der Däne Lars von Trier ("Dogville","Dancer in the Dark"), schon immer ein sehr eigenwilliger Filmemacher mit ebenfalls sehr eigener Weltanschauung, hat dies mit seinem Film "Antichrist" Ende letzten Jahres geschafft.
Ein Film, der zu einer Zeit entstanden ist, als von Trier selbst in einer tiefen Depression steckte, die ihn gar zwang, vom Filmgeschäft eine Auszeit zu nehmen. Eben diese hat er im Drehbuch zu seinem heiß diskutierten Film verarbeitet. Eigene Ängste, aber auch die Urängste der Menschen, die biblische Erbsünde und das zweifelhafte Frauenbild des Regisseurs sind Motive, die "Antichrist" zu dem ungewöhnlichen und oftmals auch sehr schonungslosen Film gemacht haben, der er ist.
"Chaos reigns"
- Der Fuchs -
Während draußen friedlich Schneeflocken zu Boden fallen, prasselt das Wasser unter der Dusche hektisch auf die Körper von Mann (Willem Dafoe) und Frau (Charlotte Gainsbourg). Beide geben sich ihrer Lust hin, begleitet von Händels melancholischer "Lascia ch'io pianga"-Arie, welche die in Schwarzweiß gehüllte und einem extremen Zeitraffer unterlegte Szenerie begleitet. Während ihres Treibens merken beide nicht, das ihr gemeinsamer Sohn, aufgeweckt von den Lauten seiner Eltern, aus seinem Bett steigt und sich in Richtung eines offenen Fensters bewegt. Der Tisch, auf dem der kleine Junge steht, wackelt, die Ekstase im Nebenzimmer ist beinahe erreicht. Als das Kind auf dem kalten, von Schnee bedeckten Boden aufschlägt, ist der Höhepunkt der Frau erreicht.
Einige Monate später. Noch immer leidet die Frau unter dem Tod ihres Sohnes, ihr Mann scheint ihn hingegen akzeptiert und verarbeitet zu haben. Da er sich das Leiden seiner Frau nicht mehr mit ansehen kann, entschließt der Mann, der selbst Psychiater und absolut rational in seinem Denken ist, seine Frau mit in den Wald "Eden" zu nehmen, wo sie eine gemeinsame Hütte haben, um sie dort, in der Ruhe der Natur und fern dem Ort ihrer Ängste, zu behandeln. Der Grundsatz, dass man nahestehende Personen nicht behandelt, wird nicht beachtet. Angekommen im Wald, wird ihm dieses Nichteinhalten seiner beruflichen Grundsätze zum Verhängnis, denn nach und nach eskaliert die Situation in der entlegenen Hüte immer mehr. Das Chaos bricht schließlich aus ...
Auf der Pressekonferenz nach der Welturaufführung in Cannes betonte von Trier, dass "Antichrist" sein bisher wichtigster Film sei. Eine Aussage, über die man sicherlich geteilter Meinung sein kann, Fakt ist allerdings, dass bisher noch kein Film des Dänen eine solch extreme Wirkung beim Publikum und den Kritikern hervorgerufen und manch einen gar sprachlos gemacht hat. Auch darf man geteilter Meinung darüber sein, ob der Regisseur nicht sehr bewusst das Kalkül eingegangen ist, mit seiner sehr extremen Geschichte, die in noch extremeren Bildern festgehalten wird, für Aufsehen zu sorgen und den Skandal förmlich heraufbeschwören. Wie dem aber auch sei, es ist kaum zu bestreiten, dass "Antichrist" einer der herausragendsten Filme des Jahres 2009 ist.
Faktoren dafür gibt es einige. Der erste ausschlaggebende Punkt ist sicherlich die Geschichte, die absolut schonungslos erzählt und inszeniert wurde und dem Zuschauer nur selten die Gelegenheit gibt, sich von den hier gezeigten Tabubrüchen zu erholen. Dies beweist bereits der Prolog (der gesamte Film ist in mehrere Kapitel unterteilt), welchen man getrost als Leitfaden für diese sehr extreme Art von Triers, etas zu erzählen und zu inszenieren, betrachten kann. Er zeigt den Einstieg dank stilistischer Mittel wie Schwarzweiß-Optik, opulenter Opern-Arie und extrem verlangsamten Bildern in einer betörenden Schönheit, die in diesem Medium und in dieser perfekten Ausführung beinahe unerreicht ist. Vollkommen over-the-top für die einen, sicherlich, für die anderen aber schlichtweg atemberaubend, wie ein an sich höchst trauriger Filmeinstieg mit einer solchen handwerklichen Finesse in Szene gesetzt wird.
Und so verhält es sich auch die restlichen knapp hundert Minuten von "Antichrist" über. Der Wald etwa, in den sich das Ehepaar zurückzieht, wird als etwas sehr Mystisches und Märchenhaftes dargestellt, oftmals ist er in einen alles verschlingenden Nebel gehüllt. Die Natur unter diesem Nebel wird stets in ihrer vollen Pracht fotografiert und sorgt dabei für einiges Staunen, vor allem die vielen kleinen Details, die von Trier und sein Kameramann Anthony Dod Mantle immer wieder einfangen und betonen, füllen das Gedächtnis mit einigen prägenden Aufnahmen.
Gleichzeitig sind die Bilder aber auch sehr brutal, vor allem, wenn das von einem sprechenden Fuchs prophezeite "Chaos" ausbricht. Von Trier zeigt schonungslos sämtliche Details, harte Sexszenen mit Close-ups auf die Geschlechtsteile ebenso wie deren Verstümmlungen. Dieser Widerspruch, grausame Bilder gleichzeitig ekelerregend wie auch faszinierend darzustellen, erreicht stellenweise gar das Niveau eines Andrej Tarkowski ("Der Spiegel", "Solaris"), dem der Film im Übrigen auch gewidmet ist.
Etwas, das von Trier mit dem russischen Regisseur ebenfalls gemeinsam hat, ist sein ausgeprägter Hang zur symbolischen Bildersprache und zur ausgedehnten Interpretationsmöglichkeit seiner Geschichte und seiner Charaktere. Der Film dreht sich lediglich um einen nicht mit Namen genannten Mann und seine ebenfalls nicht namentlich erwähnte Frau (Adam und Eva?), die in einen entlegenen, von den Gesetzen der Natur regierten Wald names Eden gehen, um sich von ihrer Schuld zu befreien. Doch es tritt das genaue Gegenteil ein, denn erst jetzt entfaltet sich der Urtrieb der Lust in vollem Ausmaß; sämtliche Hemmungen, sämtliche Werte und Normen der Zivilisation sind vergessen.
Währenddessen kristallisiert sich ein weiteres biblisches Motiv - das der Erbsünde - heraus, welches für den restlichen Verlauf des Filmes ausschlaggebend sein wird. Es entfacht einen Kampf der Geschlechter, der in einer Härte dargestellt wird, die so weit geht, dass es dem Zuschauer selbst wehtut und dieser sehr damit zu kämpfen hat, den entsetzten Blick nicht von der Leinwand zu nehmen.
Dass "Antichrist" so sehr einschlägt, liegt vor allem an den beiden Darstellern des Filmes. Dabei treibt von Trier Willem Dafoe ("Der blutige Pfad Gottes", "Spider-Man") und Charlotte Gainsbourg ("21 Gramm", "I'm Not There") so weit an ihre psychischen und physischen Grenzen, dass ein vollkommen neues Niveau hinsichtlich der Strapazen von Schauspielern in einem Film erreicht wird. Vor allem Charlotte Gainsbourg muss so einiges unter der Regie des Dänen ertragen. Erst vollkommen kaputte Mutter, die sich die Schuld an dem Tod ihres Sohnes gibt und an ihren Ängsten zu zerbrechen scheint, wird sie nach und nach immer bösartiger, bricht gar regelrecht zusammen und verfällt in Eden dem Wahnsinn. Von Trier lässt sie nackt auf Dafoe losgehen, sich beim Geschlechtsverkehr von diesem schlagen, Gainsbourg muss sich gar unter der opulent eingefangenen Szenerie eines riesigen Baumes selbst befriedigen. Und die Kamera hält stets drauf.
Das Ganze nimmt sehr oft solch pornographische Ausmaße an, dass die Bereitschaft des Publikums, nicht einfach aufzuspringen und den Kinosaal zu verlassen, des Öfteren an die Grenzen getrieben wird. Dafoe in seiner Rolle als rational denkender und ruhiger Psychiater ist das genaue Gegenteil von Gainsbourg. Trotzdem schafft es der Amerikaner wie in kaum einem anderen Film zuvor, sein gesamtes Können unter Beweis zu stellen. Alleine was die darstellerischen Leistungen angeht, ist "Antichrist" ein - ich will diese leider viel zu verschwenderisch benutzte Bezeichnung wirklich mal verwenden - Meisterwerk.
Natürlich sollte sich ein jeder vor Augen führen, dass der Film absolut nur etwas für einen kleinen Kreis von Kinogängern ist. Wer billige Pornografie gepaart mit Horrorelementen sucht, sieht sich einen Film des Schlages "Hostel" oder "Saw" an. Denn von Trier benutzt seine extremen Szenen - seien es die geradezu hardcorepornographisch inszenierten Sexszenen oder die wirklich an den Nerven des Zuschauer zehrenden Gewaltausbrüche der Figuren - hier nicht einfach, auch wenn ihm dies gerne vorgeworfen wird, um irgendein voyeuristisches Verlangen nach möglichst vielen Tabubrüchen zu befriedigen. Die Aggressionen, die Ausbrüche unsagbarer Grausamkeiten, vor allem von Gainsbourgs Figur - alles hat seinen Grund, ist im Zusammenhang mit der Aussage des Filmes gar vollkommen schlüssig. Dass das Bild, das von Trier hier vor allem von der Frau einmal mehr verbreitet, alles andere als unkritisch zu betrachten ist, steht dabei außer Frage.
Fazit
"Antichrist" ist ein Film, der sein Publikum in zwei Lager spalten wird. Für die einen wird das Ganze lediglich pornographischer Dreck mit expliziten Gewaltszenen und undurchschaubarer Story sein, für die anderen ein eindrucksvoll fotografiertes, oftmals sehr grenzwertiges, aber doch sehr prägendes Filmerlebnis. Eines steht fest: "Antichrist" ist einer dieser Filme, denen man sich öffnen muss, um sie zu begreifen, anders geht es gar nicht.
Original Filmtitel: Antichrist (2009)
Länge des Filmes: ca. 104 Minuten
Darsteller: Willem Dafoe (Er); Charlotte Gainsbourg (Sie)
Regisseur: Lars von Trier
FSK: Keine Jugendfreigabe
DVD-Veröffentlichung: 18. März 2010
Bildseitenformat: 16:9 - 2.35:1
Studio: Ascot Elite Home Entertainment
Sprache: Deutsch (Dolby Digital 5.1), Englisch (Dolby Digital 5.1)
- Redakteur:
- Adrian Trachte