Blood and Bones
- Regie:
- Yoichi Sai
- Jahr:
- 2004
- Genre:
- Drama
- Land:
- Japan
- Originaltitel:
- Chi to hone
1 Review(s)
10.05.2005 | 08:04Der Regisseur Yoichi Sai gehört der koreanischen Minderheit in Japan an. Daher verwundert es nicht, dass er das Schicksal in Japan lebender Koreaner auch schon zum Thema seiner Filme machte. 1993 war sein Film "All under the Moon" einer der ersten, die sich diesem Thema widmeten. Der Film basiert auf einem Roman von Sogil Yan, ebenso wie auch sein neuer Film "Blood and Bones", bei dem es sich um die Saga einer koreanischen Familie handelt.
1923 verlässt Shun-pei Kim (verkörpert vom Multitalent 'Beat' Takeshi Kitano) seine koreanische Heimat, um in Japan sein Glück zu machen. Dort lebt er zunächst in ärmlichen Verhältnissen, weil die neu ankommenden Koreaner ausgegrenzt und diskriminiert werden. Doch nach und nach gelingt es ihm mit eiserner Faust, eine Fischfabrik aufzubauen, die ziemlich schnell floriert, da er seine Arbeiter gnadenlos ausbeutet und auch nicht davor zurückschreckt, seine eigenen Familienangehörigen für Hungerlöhne schuften zu lassen. Als er endlich zu Reichtum kommt, beginnt er seine Vormachtsstellung im koreanischen Viertel dazu zu nutzen, die anderen Bewohner und auch seine Familie zu schikanieren. Unter anderem kehrt er seiner Ehefrau den Rücken zu, um vor ihrer Nase mit einer Geliebten ein neues Leben aufzubauen. Doch diese Geliebte erkrankt bald an einem Gehirntumor und wird nach einer Operation zu einem Pflegefall. Kim stellt eine Pflegerin ein und hat auch kaum Skrupel, diese zu seiner neuen Geliebten zu machen.
Doch nach und nach wächst im Viertel der Hass auf ihn, jedoch wagen es nur wenige, ihm Kontra zu geben, weil er jene, die es dies tun, mit allen Mitteln unterbuttert. So bleibt seine Macht bis ins hohe Alter fast ungebrochen, und nur seine schwindende Körperkraft wird zu einem echten Problem. Doch auch als alter, auf den Gehstock angewiesener Greis macht er vor keiner Niederträchtigkeit halt.
Es gibt Filme, über die zu schreiben wirklich schwer ist. "Blood and Bones" ist einer davon. Nicht nur, dass es einem Europäer wie mir an historischen Hintergrund-Informationen zum Verhältnis zwischen Japan und Korea und der Situation der in Japan lebenden Koreaner fehlt, auch die Vielzahl an Charakteren, die bei einer so großen Familie wie der von Kim zwangsläufig zusammenkommt, macht einem zu schaffen. Schließlich handelt es sich bei allen um Südostasiaten, die zu unterscheiden nicht immer leicht ist – ganz zu schweigen von den vielfältigen fremden Namen, mit denen man konfrontiert wird. Tja, und wenn man einen solchen Film dann nur ein einziges Mal auf einem Festival sehen kann, gibt es auch nicht die Möglichkeit, missverstandene Passagen erneut zu betrachten oder sich den Film mit frisch recherchiertem Hintergrundwissen noch einmal anzusehen. Daher bleibt mir wohl nicht viel mehr übrig als zu versuchen, die Stimmung zu vermitteln, die in dem Film vorherrschte und meine subjektiven Eindrücke zu beschreiben.
Das Auffälligste an dem Film ist mit Sicherheit die latent vorherrschende Gewalt. Es gibt in dem Film kaum eine Szene, in der Kim nicht irgendjemanden aus seiner Familie oder sonstige Leute, die sich ihm in den Weg stellen, verprügelt oder misshandelt. Im Prinzip wird jeglicher Konflikt durch Gewaltanwendung zu lösen versucht, was natürlich zu erneuten Konflikten führt. Kim wird so als Tyrann dargestellt, der es nur durch seinen immensen Egoismus und die damit einhergehende Skrupellosigkeit schafft, der Armut zu entkommen. Dass darunter seine ganze Umwelt leidet, ist klar. Durch diese Häufung von Gewalt vermittelt der Film schon von Anfang an ein erdrückendes Gefühl der Hilflosigkeit – nicht umsonst wird in einer der ersten Szenen eine Vergewaltigung dargestellt, also eine Handlung, die nach wie vor in Filmen eine der krassesten Reaktionen hervorzurufen vermag. So nach und nach entwickelt sich die Gewalt aber zu etwas Alltäglichem, an das man sich zwangsläufig gewöhnt, weil man ihr nicht zu entkommen vermag.
So gibt es eine Szene, in der die Tochter Kims aus den Fängen ihres prügelnden Ehemanns zu entkommen versucht und ihren Bruder, aus dessen Sicht der Film erzählt wird, um Hilfe bittet. Dieser versagt ihr aber die Unterstützung, obwohl oder gerade weil er auch unter der Gewalt seines Vaters zu leiden hatte und sich ein Leben ohne Gewalt vielleicht gar nicht mehr vorstellen kann.
Auf diese Weise lebt die Gewalt des Vaters in der Familie fort, und der Film verzichtet darauf, Hoffnung auf ein mögliches Ende der Gewalt zu geben. Selbst als Kim im gebrechlichen Alter ist und er vermehrt selbst zum Opfer von Gewaltakten früherer Opfer von ihm wird, kann er nicht aus der Gewaltspirale ausbrechen, sondern wendet nur andere Mittel an, indem er sich unter anderem mit der Yakuza einlässt.
Trotz dessen Reichtums stellt der Film den gewalttätigen Kim als eine gescheiterte Persönlichkeit dar, der es zwar durch Härte gegen sich selbst und andere gelingt, aus der Armut auszubrechen, der aber letztlich das Glück versagt bleibt, weil die Gewalttätigkeit Kims Gefühle überlagert und erstickt. Nur in seiner Beziehung zu der Geliebten, die schließlich an Krebs erkrankt, schimmern dann doch Gefühle durch. Vor allem die Szene, in der er diese durch die Operation entstellte und durch die dadurch entstandene Behinderung pflegebedürftige Frau liebe- und hingebungsvoll wäscht, bleibt hier in Erinnerung. Letztendlich bleibt aber auch in dieser Beziehung nur Frustration, weil er sich seiner Gefühle zu ihr erst bewusst wird, als es schon zu spät ist. Und so führt seine letzte Handlung an ihr, nämlich ihre Ermordung, nicht nur zu ihrer Erlösung von den Schmerzen, sondern auch zu einer Befreiung Kims von seinen eigenen Gefühlen, die er nicht zu kontrollieren vermag. Während der ganze Film eine Gewaltorgie an die nächste reiht, so ist es ausgerechnet diese Szene, in der Kim schließlich ein Kapitalverbrechen begeht, in der am meisten von seinen Gefühlen – man möchte fast von Liebe sprechen – zum Vorschein kommt.
Auf diese Weise erhält der Charakter von Kim dann doch eine gewisse Vielschichtigkeit, die man anfangs gar nicht erwartet hätte, und der Zuschauer vermag dieser ganz und gar unsympathischen Person doch einen Hauch Sympathie entgegenzubringen. Das zu erreichen und Kim nicht grundlegend zu verdammen, ist das große Verdienst von Regisseur Yoichi Sai und der Darstellungskunst Takeshi Kitanos.
Vor allem Letzterer weiß auf grandiose Weise zu gefallen, und man wundert sich nicht mehr, warum Sai sechs Jahre mit der Produktion des Films gewartet hat, um auch ja Kitano als Hauptdarsteller gewinnen zu können. Nach diesem Film kann überhaupt kein Zweifel mehr bestehen, dass Kitano mittlerweile zu den ganz großen japanischen Schauspielern zu zählen ist, schafft er es doch nicht nur, seine Rolle glaubhaft und nuanciert zu spielen, sondern auch deren Älterwerden – der Film umspannt ja ungefähr ein halbes Jahrhundert an Zeit – sehr überzeugend darzustellen; wozu auch das gelungene Make-up seinen Teil beiträgt.
"Blood and Bones" ist sicherlich kein Unterhaltungsfilm, aber er kann den Zuschauer über die Dauer von 140 Minuten in seinen Bann ziehen, ohne auch nur eine Sekunde zu langweilen. Hier und da hätte man sich vielleicht weiterreichende Informationen zu den historischen Hintergründen gewünscht – unter anderem werden Themen wie der Koreakrieg und der Zweite Weltkrieg tangiert –, aber dem durchschnittlichen Japaner sind diese vermutlich so geläufig, dass man das nicht für notwenig hielt. Aber auch einige Fragen in der Charakterentwicklung bleiben ungeklärt, etwa, wie Kim zu dem geworden ist, was er ist. Andererseits bleibt für mich fraglich, ob dies überhaupt sinnvol gewesen hätte, da der Film ja schließlich aus der Sicht von Kims Sohn erzählt wird – und woher hätte der das wissen sollen?
"Blood and Bones" ist eine epische Familiensaga und ein Historienfilm vor dem Hintergrund koreanischer Einwanderer in Japan. Dabei ist der Film trotz einer Dominanz von Gewaltszenen in allen möglichen Ausprägungen um eine diffizile Charakterzeichnung der Hauptfigur bemüht, was vor allem durch Takeshi Kitanos Schauspiel auch weitgehend sehr gut gelingt. Mangelnde Hintergrund-Informationen und eine Vielzahl von Nebenfiguren machen es aber manchmal schwer, dem Film zu folgen. Dennoch werden vor allem Japan-Interessierte ihre Freude an dieser Studie des japanischen Einwanderermilieus haben.
- Redakteur:
- Andreas Fecher