Carlos - Der Schakal (DVD)
- Regie:
- Assayas, Olivier
- Jahr:
- 2010
- Genre:
- Drama
- Land:
- Frankreich/Deutschland
- Originaltitel:
- Carlos - Der Schakal
1 Review(s)
19.05.2011 | 13:429/11, Osama bin Laden, Afghanistan, Irak, die Anschläge in Madrid, London und Bali, der Tod einer Symbolfigur im beschaulich anmutenden Abbottabad: Wenn das kollektive Gedächtnis an Terrorismus denkt, dann ist vor allem die Rede vom radikalisierten Islam und der geradezu phobischen Panikmache vor ihm. Dabei wird sowohl von den hiesigen, als auch den grenzübergreifenden Debatten oftmals verdrängt, dass der internationale Terrorismus nicht erst seit zehn Jahren existiert, sondern schon längst in seinen Vierzigern steckt.
Die radikalisierte 68er Strömung, die RAF, die Volksfront zur Befreiung Palästinas, der Angriff auf das OPEC-Hauptquartier in Wien, die Landshut-Entführung, das Olympia-Attentat in München; unzählige Schlagwörter lassen sich aufzählen. Und auch wenn der heutige Terror mit der linksradikalen Bewegung zur Zeit des Kalten Krieges auf den ersten Blick wenig gemein hat, so haben sie doch die gleichen Wurzeln, sind im gleichen Nährboden gereift, sind gar enger miteinander verknüpft, als man für möglich halten mag. Wie eng, das zeigt Olivier Assayas' ("Paris, je t'aime", "Demonlover") auf dem letztjährigen Cannes-Festival umjubelter Film "Carlos - Der Schakal" über den venezolanischen Ilich Ramírez Sánchez, der unter seinem Alias Carlos weltberühmt wurde und untrennbar ist mit dem linksradikalen Terrorismus der 1970er und 1980er.
Ursprünglich konzipiert als Fernsehserie, begleitet Olivier Assayas epochales Werk von fünfeinhalb Stunden Spielzeit (in der hier rezensierten Version handelt es sich allerdings um die stark beschnittene Kinofassung von 180 Minuten) die wichtigsten Stationen im Leben von Carlos (großartig von Édgar Ramírez gespielt), der zum romantisch verklärten Idol einer ganzen Bewegung wurde. Mit einem solchen Bild räumt Assayas allerdings gnadenlos auf. Er stilisiert seinen Protagonisten nicht als Helden oder Märtyrer einer gerechten Sache, verbietet es sich aber auch altgediente Klischees zu benutzen und die durchaus nachvollziehbaren Hintergründe der Terroristen (etwa die Befreiung des palästinensischen Volkes) zu dämonisieren.
Dabei wird vor allem deutlich, dass Carlos schnell eigene Interessen über die der "Sache" stellte, dass er sich schon bald zum Terror-Playboy mit Kippe im Mundwinkel und übergroßer Sonnenbrille stilisierte, dem es vor allem um eigenen Profit und ein angenehmes Leben geht. Trotzdem hat Assayas einen eklatanten Fehler begangen, in dem er überhaupt nicht auf Carlos' Hintergrund eingeht. Der Film blendet so Kindheit und Jugendzeit komplett aus, steigt stattdessen direkt in seine erste Tat als Terrorist ein. So bleibt die ursprüngliche Motivation des Sohnes eines marxistischen Anwaltes vom Film komplett unkommentiert, was seinen Entschluss die Ideen der linken Bewegung mit Gewalt durchzusetzen nicht nachvollziehbar macht.
Sowieso nimmt es der Film mit seinen Fakten und Figuren nicht immer ganz genau, was allerdings angesichts der enormen Spielzeit und den unzähligen Verbindungen zum politischen Klima der nachgestellten Zeit geradezu unmöglich gewesen wäre. Immerhin macht Assayas nicht den Fehler, alles in seinem Film als Wahrheit zu verkaufen, sondern er stellt schon in der Einleitung klar, dass nicht alles den Fakten entspricht.
Sowieso ist es für jemanden, der überhaupt kein Basiswissen zur Thematik mitbringt kaum machbar, die ganzen Zusammenhänge in eine logische Umlaufbahn und die teils sehr komplizierten Verknüpfungen miteinander in Einklang zu bringen. Insofern sollte man sich vor Sichtung des Filmes zumindest mit den wichtigsten Fakten zu Carlos und dem linksradikalen Terror, aber auch seinen Ursprüngen auseinandergesetzt haben, ansonsten geht man gnadenlos unter.
Inszenatorisch liefert Assayas im Übrigen ein Glanzstück ab. Man muss zwar zugeben, dass der Film schon in seiner 180-minütigen Fassung teils sehr zehrend ist, allerdings ist es Assayas wohl kaum vorzuwerfen, dass er, anders als Edel und Eichinger ("Der Baader Meinhof Komplex"), nicht nur auf die Actionpedale drischt, sondern auch versucht die Geschichte seriös und ruhig wiederzugeben und nicht mit plakativer Bildsprache nur ein Publikum mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne zufrieden zustellen.
Was den Film, neben seiner guten Recherche und der famosen Inszenierung, aber vor allem sehenswert macht, ist sein Hauptdarsteller Édgar Ramírez ("Domino", "8 Blickwinkel"), der ein Glanzstück in Sachen method-acting präsentiert. Mal vollkommen fett, mal vollkommen nackt, mal mit lockigem Revoluzzer-Haaren, mal wie ein mögliches Carlos Escobar Double ist sich der Venezolaner (der im Übrigen aus der gleichen Stadt, wie der echte Carlos stammt) für nichts zu Schade und zeigt ein Schauspiel par excellence. Wie grandios Ramírez wirklich ist, wird vor allem deutlich, wenn man sich den ansonsten eher mauen Cast ansieht, der mit auffallend vielen deutschen Mimen (Nora von Waldstätten, Julia Hummer, Christophe Bach etc.) besetzt wurde, von denen aber keiner auch nur im Ansatz dem Hauptdarsteller das Wasser reichen kann.
"Carlos - Der Schakal" ist ein ungemein intensives Werk, welches meisterlich die Verbindungen vom gestrigen Terrorismus mit dem heutigen verbindet, ohne seine Zusammenhänge zueinander jemals wirklich anzusprechen. Assayas gute Recherche, auch wenn nicht alle Fakten der Wahrheit entsprechen, und vor allem Édgar Ramírez' grandioser Auftritt machen den Film zu einem unvergessenen Erlebnis, welches man sich aber am besten, so wie eigentlich gedacht, etappenweise anschaut und nicht in voller Länge auf einmal.
Anmerkung zur DVD:
In der hier rezensierten Fassung von "Carlos - Der Schakal" geht es um die von Warner Home Video Germany vertriebene Single-Disc DVD, welche die 180-minütige Kinofassung des Filmes enthält. Qualitativ kann man nichts beanstanden. Das Bild (2,35:1) präsentiert sich sehr scharf, wobei die Farben braun und blau aus inszenatorischen Gründen überwiegen, was aber zum Film sehr gut passt. Anschauen kann man sich den Film entweder in deutscher Sprache oder aber in der französischen Originalfassung (beide Dolby Digital 5.1), wobei hier neben Deutsch auch Englisch, Spanisch, Französisch und arabisch gesprochen wird. Es gibt sowohl deutsche als auch englische Untertitel. Die Extras auf dem Silberling sind sehr mau und enthalten lediglich den originalen Kinotrailer zum Film.
Originaltitel: Carlos (Frankreich/Deutschland, 2010)
Laufzeit: ca. 180 Minuten
FSK: Ab 16 Jahren
Regie: Olivier Assayas
Darsteller: Édgar Ramirez (Ilich Ramirez Sanchez), Alexander Beyer (Wilhelm Borostowski), Christoph Bach (Hans Joachim Klein), Hans Joachim Klein (Magdalena Kopp), Alexander Scheer (Johannes Weinrich) ...
7,5/10
- Redakteur:
- Adrian Trachte