Crossing, The - Teuflisches Verlangen
- Regie:
- Martin Asphaug
- Jahr:
- 2004
- Genre:
- Thriller
- Land:
- Norwegen
- Originaltitel:
- Andreaskorset
1 Review(s)
30.05.2007 | 11:26Fenster zur Bahnstrecke: feiner norwegischer Thriller
Das Leben des Karrieremenschen Andreas ist nahezu perfekt. Mit seiner schönen Ehefrau Liv frönt er sexuellen Spielchen, in denen sie die Gefesselte spielt. Doch ein Autounfall versetzt Andreas in den Rollstuhl und Liv in einen Schockzustand: Sie verlässt ihn. Da meldet sich ein schräger Vogel zu Besuch an: Kurt Wagner will für Andreas einen Rollstuhl-Aufzug einbauen. Dass mit Wagner ein Kuckuck ins Nest eingezogen ist, merkt Andreas spätestens, als Liv zurückkehrt und sich Wagner an sie heranmacht. Die Dreiecksbeziehung nimmt einen tödlichen Verlauf. Aber für wen?
Filminfos
O-Titel: Andreaskorset / The Crossing (Norwegen 2004)
Dt. Vertrieb: I-On NewMedia (Verkauf: 27.04.2007) / WVG Medien
http://www.ionnewmedia.de
FSK: ab 16
Länge: ca. 103 Min.
Regisseur: Martin Asphaug
Drehbuch: Eirik Ildahl
Musik: Randall Meyers
Darsteller: Trond Fausa, Svante Martin, Stine Varvin u. a.
Handlung
Das Haus, in dem der Karrieremensch Andreas Karlsson mit seiner schönen Frau Liv lebt, liegt nicht weiter von einer Bahnstrecke entfernt. Just vor dem Haus steht eine Brücke, hinter der eine Weiche vor einem Übergang folgt. Diese Einrichtung verleiht dem Film seinen internationalen Originaltitel "The Crossing".
Das Liebesleben von Andreas und Liv ist mit erotischen Fantasien gewürzt, die sie ihm erfüllt, ob sie nun nackt an der Bahnstrecke steht oder sich mit Handschellen ans Bett fesselt und sich seine sinnlichen Anrufe anhört. Doch eines Tages ist Schluss mit lustig, als Andreas auf freier Strecke ein PKW und ein Traktor entgegenkommen. Sein Ausweichmanöver ist zwar nicht tödlich, doch er wird von nun an sein Liebesleben im Rollstuhl bewerkstelligen müssen.
Doch es sieht so aus, als hätte er bald keines mehr. Noch während Andreas auf der Intensivstation liegt und von einem Onkel Karl besucht wird - Andreas ist Vollwaise -, beschließt Liv, ihn zu verlassen und ihr Glück mit einem anderen Mann zu versuchen. Sieben Monate später hat sich Andreas ans Leben im Rollstuhl gewöhnt, aber es ist beschwerlich. Deshalb weist er den älteren Mann auch nicht gleich fort, der behauptet, vom Amt für behindertengerechtes Wohnen zu kommen, und anbietet, ihm einen Rollstuhlaufzug in den Keller, wo die Vorräte lagern, zu bauen. Mann kann ja nicht ewig aus der Dose leben. Der Mann nennt sich Wagner.
Liv kehrt zurück und will bleiben, denn es gebe außer Andreas keinen anderen Mann. Sie hat aber die Rechnung nicht mit Wagner gemacht. Er singt nicht nur Arien mit einem schönen Bariton, sondern erkennt auch die Stücke, die sie auf dem Cello übt. Bei so viel Charme gestattet sie ihm, im Keller zu übernachten. Zu Andreas' 30. Geburtstag ist die Rampe in den Keller fertig und Wagner lädt das Paar ein, sich einen Thai-Boxkampf anzusehen. Während Liv und Wagner großen Gefallen an diesem blutigen Sport finden, macht sich Andreas angeekelt von dann.
Es kommt, wie es kommen muss: Wagner fängt etwas mit Liv an, die bei ihm findet, was Andreas ihr nicht geben kann: leidenschaftlichen Sex sowie Verständnis und Zuwendung. Andreas reagiert zunächst verständnisvoll, doch allmählich wird aus der Dreiecksgeschichte eine fürsorgliche Belagerung. Wagner hat nicht vor auszuziehen, sondern outet sich vielmehr als der verschollen geglaubte Vater von Andreas, Kurt Karlsson.
Andreas konsultiert seinen Onkel Karl und der erzählt widerstrebend, was damals vorfiel, als Kurt seine Frau verprügelte und in den Knast musste, warum die Mutter dann starb und warum Kurt schließlich in psychiatrische Behandlung geschickt wurde. Andreas wird mulmig, als er hört, dass sein Vater ein Psychopath sein könnte. Und seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten sich, als er nach Hause zurückkehrt. Dieses Nest hat ein Kuckuck übernommen, und er gedenkt, keinen mehr entkommen zu lassen. Denn für Andreas und Liv will Kurt natürlich nur das Beste.
Für Andreas und Liv wird es ein Kampf auf Leben und Tod.
Mein Eindruck
Man kann in diesen wirkungsvoll inszenierten Thrillerplot eine Menge hineindeuten, doch letzten Endes bleibt doch eine packende Geschichte um das Überleben übrig. Der Regisseur versteht es, seinen Thriller mit minimalen Dialogen und ohne jede überflüssige Erklärung zu erzählen, einfach indem er zeigt, um was es geht. Selbstredend geht es um Andreas' Emanzipation als Behinderter, doch er droht betrogen zu werden: von seiner Frau, von seinem Vater, seiner Vergangenheit.
~ Emanzipation ~
Die Gefahr, die von dem instabilen und stets gewaltbereiten Kurt ausgeht, ist real und greifbar. Die Art, wie er Liv fickt, ist dominant und duldet keinen Widerspruch. Genauso agiert er auch im Haus, das bislang Andreas gehörte. Doch nun übernimmt Kurt das Kommando, eine freundliche Übernahme beginnt. Liv - die sich ebenfalls emanzipieren muss - und Andreas müssen sich zusammentun, wollen sie diesem Irren Paroli bieten und beide überleben. Sie müssen äußerst einfallsreich vorgehen, und viele Versuche schlagen fehl. Am Schluss gibt die intensive Ortskenntnis, die sich Andreas angeeignet hat, den Ausschlag. Ein klasse Showdown, bei dem die Eisenbahn eine entscheidende Rolle spielt (wie so oft in Thrillern).
~ Darsteller ~
Von Anfang kamen mir die beiden jungen Yuppies Liv und Andreas als nicht ganz reale Figuren vor, doch ihre Darsteller bemühen sich redlich, ihnen Leben einzuhauchen. Im Vergleich dazu ist der Darsteller des Kurt Wagner ein ganz anderes Kaliber: Dieses Gesicht hat gelebt, sein Gesang ist umwerfend (und in Deutsch), seine Dominanz glaubwürdig. Das macht die Gefahr, die von dieser Figur ausgeht, so real und nachvollziehbar. Ohne Kurt würde der Film nicht funktionieren.
~ Sex ~
Immer wieder stutzte ich über den freizügen Umgang mit Sexualität. Ob es nun Sex mit einem Behinderten ist oder quasi erzwungener Sex zwischen Kurt und Liv, die Kamera weigert sich, verschämt wegzusehen, sondern hält voll drauf. Allerdings werden keinerlei Geschlechtsteile gezeigt, so dass die Einstufung für FSK 16 gerechtfertigt ist.
~ Dingsymbol Spieluhr ~
Das Dingsymbol für die Handlung bildet der bereits im Vorspann gezeigte mechanische Vogel im Käfig. Es handelt sich um eine Spieluhr. Kurt hat sie seinem Sohn geschenkt, doch irgendwie verschwand sie. Nun gibt er sie ihm zurück - wodurch er sich als Andreas' Vater zu erkennen gibt. Aber der mechanische Vogel im Käfig steht auch für Andreas, der als Karrieremensch bislang gut funktioniert hat und sich nun in einer anderen Art Käfig wiederfindet: als Rollstuhlfahrer in einem leeren Haus.
Die Vogelsymbolik lässt sich auf die Rolle Kurts als die eines Kuckucks ausdehnen. Er versucht, das Nest, das sich Liv und Andreas gebaut haben, zu erobern, getarnt, heimlich und leise. Nun wird Andreas zum Ödipus, der es mit seinem Vater aufnehmen muss, um eine Zukunft mit Liv zurückzuerobern. Nur wenn der Vater stirbt, wird Andreas - und mit ihm Liv - jemals frei sein können.
~ A & V ~
Der Film fängt diese tiefgründige Story in wunderbaren Bildern ein, die von der Musik - Piano und Cello - feinfühlig ergänzt werden. Diese audiovisuelle Präsentation ist nicht so gelackt wie in Hollywoodproduktionen, hat ihre Ecken und Kanten, aber sie funktioniert und wirkt glaubwürdig. Ich konnte keine logischen Brüche feststellen. Wer glaubt, es gebe welche, hat nicht genug nachgedacht oder seine Fantasie benutzt. Insbesondere das möglicherweise rätselhaft erscheinende Verhalten von Liv gegenüber Kurt (warum betrügt sie Andreas mit Kurt?) verdient intensives Nachdenken. Der Schluss des Films ist anrührend und von leiser Ironie.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 2,35:1 (anamorph)
Tonformate: D in DD 5.1, Englisch in DD 5.1
Sprachen: D, Norwegisch
Untertitel: D
Extras:
- Trailer
- Trailershow
Mein Eindruck: die DVD
Die Qualität von Bild und Ton ist herausragend. Die Farben und Konturen sind glasklar und scharf eingefangen. Die Kamerawinkel, die sich im sehr beengten Hausinnern ergeben, sind einfallsreich ausgetüftelt. Langsame Fahrten wechseln sich mit Szenen voll rascher Schnitte ab, so dass der Film seinen eigenen Rhythmus erlangt. Obwohl das Fundament für Horroreffekte vorhanden ist, wird es doch nie dafür ausgenutzt. Der Thriller gleitet nie in Horror ab.
Schade, dass dieser gelungene Domestic-Thriller keinerlei Bonusmaterial mitbringt. Lediglich Werbung in Form von Trailern wird uns geboten. Das Auswahlmenü ist einfallsreich wie ein Zimmer gestaltet, wenn auch ein wenig unübersichtlich. Man muss suchen, um die passende Funktion zu finden. Ein Ton-Setup gibt es nicht, denn es wird nur DD 5.1 geboten.
Unterm Strich
Mich konnte dieser norwegische Thriller von Anfang an fesseln, denn die drei Hauptfiguren tun erstens ungewöhnliche Dinge und zweitens verstricken sie sich in eine zunehmend ausweglose Lage, aus der sie sich nur mit einem Ausbruch von Gewalt befreien können. Dass Erotik, Nacktheit und Sex so unverblümt, im besten Sinne scham-los dargestellt werden, hat Liv und Andreas (und nicht zuletzt dem Regisseur) bei mir Sympathiepunkte eingebracht. Man würde ihnen die ideale Liebe wünschen, doch dann funkt Kurt dazwischen, der sich wie ein Kuckuck in ihr Liebesnest drängt.
Der Rest besteht in Emanzipation und Ausbruchsversuchen, die sowohl Andreas als auch Liv verändern. Hier wird aber nicht Nabelschau betrieben, sondern gehandelt. So gelingt doch noch ein Thriller, der diesen Namen verdient, und kein Horrorpanoptikum. Die gefühlvolle Musik von Randall Meyers und die exzellente Kameraführung von Philipp Ogaard tragen mit zu diesem Erfolg bei.
Der Showdown ist für erfahrene Thrillergucker vorhersehbar und erinnert in der Herbeiführung an Hitchcocks "Fenster zum Hof" (darin James Stewart an den Rollstuhl gefesselt), doch die Art und Weise des Kampfes ist keineswegs von Hitchcock abgekupfert, sondern eigenständig.
- Redakteur:
- Michael Matzer