Der Blender - The Imposter (Blu-ray)
- Regie:
- Layton, Bart
- Jahr:
- 2012
- Genre:
- Dokumentarfilm
- Land:
- UK (England)
- Originaltitel:
- The Imposter
1 Review(s)
13.07.2013 | 11:39Der Rashomon-Faktor: Wer entlarvt das Kuckuckskind?
1994 verschwindet der 13-jährige Nicholas Barclay spurlos in San Antonio, Texas. Dreieinhalb Jahre später findet man in lebend, tausende Kilometer von zu Hause entfernt, in Spanien. Seine Familie ist überglücklich, den verlorenen Sohn wieder zurück zu haben. Erst als eine FBI-Agentin ihn befragt, hegt sie Zweifel an dieser wundersamen Fügung des Schicksals ... (erweiterte Verleihinfo)
Filminfos
O-Titel: The Imposter (UK 2012)
Dt. Vertrieb: Ascot Elite
VÖ: 4.7.13
EAN: 7613059404144
FSK: ab 12
Länge: ca. 99 Min.
Regisseur: Bart Layton
Drehbuch: keine Angabe
Musik: Anne Nikitin
Darsteller: Adam O'Brian (Frederic Bourdin), Anna Ruben (Carey Gibson), Cathy Dresbach (Nancy Fisher), Alan teichman (Charlie Parker) u.a.
Handlung
Vor drei Jahren, also im Juni 1994, verschwand der 13-jährige Nick Barclay aus dem Haus seiner Mutter Beverly Dollarhide. Seine ältere Schwester Carey Gibson und ihr Bruder sind niedergeschlagen und befürchten das Schlimmste, doch als sie drei Jahre später die Nachricht erhalten, dass Nick gefunden worden, wird wieder Hoffnung in ihnen geweckt. Aber warum taucht Nick ausgerechnet in Spanien auf?
Der Fund
Touristen haben den anscheinend verängstigten Jungen in einer Telefonzelle gefunden und riefen die Polizei. Im strömenden Regen nahmen diese den Jungen auf. Doch er sprach kein Wort und hatte keine Papiere bei sich. Also bringen sie ihn erstmal in ein Kinderheim, wo man ihn wie ein menschliches Wesen behandelt. Aber eine Kommission insistiert, dass er eine Identität haben muss. Er kann ja nicht ewig hier bleiben. Als er die Landkarte des Landes seiner Sehnsucht entdeckt, beschließt er, nach Amerika zu wollen.
Heimlich ruft er in Arlington, USA, im Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder an - eine Nummer, die ihm die Polizisten gegeben haben. Die Sachbearbeiterin fragt ihn, wer er sei und bietet verschiedene Möglichkeiten an. Seine Wahl fällt auf Nick Barclay. Das muss geprüft werden. Sie faxt seinem Kinderheimleiter den Steckbrief mit der Beschreibung. Sogleich ist ihm das Problem klar: Er hat dunkelbraune statt blaue Augen und schwarzes statt blondes Haar. Fortan vermummt er sich und färbt sich das Haar. Nichts soll seinem Weg ins Gelobte Land im Wege stehen.
Dass er kaum etwas sagt, wird ihm als Wirkung der Misshandlungen ausgelegt, die er bestimmt hat über sich ergehen lassen müssen. Von sexuellem Missbrauch als Sklave sagt er selbst nie ein Wort, beteuert er später, das hätten alles die Anderen erfunden. Um ihn zu identifizieren, soll Nicks Schwester Carey Gibson nach Madrid und Linares kommen.
Die Identität
Doch das FBI schickt an die Botschaft eine detaillierte Beschreibung von Nick Barclay. Dieser, so erkennt er gleich, kann er nicht entsprechen. Er läuft weg und trägt die fehlenden Merkmale nach, bevor er wieder geschnappt wird. In der amerikanischen Botschaft geschieht das erste Wunder: Carey akzeptiert diesen Jungen als ihren verlorenen Bruder. Sogleich zeigt sie ihm zahlreiche Familienfotos und erzählt die Geschichten dazu. Das erweist sich als sehr hilfreich bei der nächsten Prüfung vor der gerichtlichen Kommission. Das ersehnte Ziel rückt näher, als ihm die US-Botschaft einen Pass ausstellt. Nervös wird er nach Texas geflogen.
Lügen
Am 18. Oktober 1997 ist es soweit: Er trifft Nick Barclays echte Familie. Das nächste Wunder geschieht: Sie akzeptieren den schwer vermummten und verstockten Jungen, den Carey mitbringt, als Nick Barclay. Nur Jason, Nicks Onkel, ein Drogenabhängiger, spielt nicht mit. Am 4. November sagt Nick erstmals beim FBI in San Antonio aus. Schließlich ist die Bundesregierung verpflichtet, seine Entführer zu finden und der Gerechtigkeit zuzuführen. Nick tischt weitere Lügen auf: Das Militär habe ihn missbraucht, gefoltert und außer Landes geschafft.
Die FBI-Agentin Nancy Fisher ist sehr bestürzt und beeindruckt von Nicks Geschichte. Entweder ist er sehr glaubwürdig oder ein phantastischer Schauspieler, findet sie. Doch ein anderer Mann ist nicht so überzeugt von diesem "Nick": Charlie Parker ist Privatdetektiv und ermittelt im Auftrag eines TV-Senders, um eine Story für die True-Crime-Sendung "Hardcopy" zu überprüfen. Je mehr sich Parker mit Nick befasst, desto mehr kommen ihm Zweifel....
What lies beneath...
Während das FBI befürchtet, Nicks Entführer könnten ihn erneut entdecken, bekommt auch der Blender seine Zweifel, ob nach Amerika zu kommen das Richtige für ihn war. Denn im Haus der Gibsons und Dollarhides werden mehr Familiengeheimnisse und Lügen gepflegt, als er sich vorstellen konnte. Und was ist eigentlich aus dem echten Nick geworden? Könnte er nicht zurückkommen? Und was, wenn diesen jemand aus der Familie umgelegt hat - dann wäre auch der neue Nick in höchster Gefahr. In der Tat stößt Charlie Parker in einem früheren Haus der Familie auf einen ominösen Flecken Erde im Garten...
Umgedreht
Nun geschieht ein drittes Wunder: Beverly Dollarhide und ihre Tochter Carey wollen diesen Nick, den sie kaum zurückgewonnen haben, nicht mehr hergeben und weigern sich, eine DNA-Analyse zuzulassen. Doch es kommt anders: Vor Angst dreht "Nick" den Spieß um und klagt sie an, den echten Nick ermordet zu haben...
Mein Eindruck
Es ist eine Geschichte, die so unglaublich ist, dass sich kein Romanautor getraut hätte, sie sich auszudenken. Er wäre für bescheuert erklärt worden. Drei Wunder hintereinander - das ist einfach zu viel für den Durchschnittsmenschen, ja, sogar für Strafverfolgungsbehörden. Vielleicht ist es nur der Hartnäckigkeit des Privatschnüfflers Charlie Parker, einem gesetzten weißhaarigen Texaner, zu verdanken, dass sich der falsche Nick ihm offenbart hat und sich alle weitere Beweise fanden. Es soll hier natürlich nicht verraten werden, ob der echte Nick - womöglich als Leiche - gefunden wurde.
Aber darauf kommt es der Spielfilm-ähnlichen Dokumentation nicht an. Im Mittelpunkt steht die Geschichte des Hochstaplers und Identitätdiebes Frederic Bourdin aus Frankreich. Er hat zwischen 1992 und seinem größten Coup 1997 zahlreiche Identitäten angenommen. Der Grund ist simpel: Er fühle sich nicht wohl als er selbst. Das könnte eine Folge des Missbrauchs durch seinen Vater sein, aber ich bin ja kein Psychologe. Frederic ruft selbst im Knast von San Antonio noch zahlreiche Personen an und gibt sich als ein anderer aus. Nachdem er 2003 nach Frankreich abgeschoben worden war, versuchte er die gleiche Masche weiterhin. Als Psycho weiß er den Zuschauer von Anfang an zu faszinieren.
Doku oder Drama?
Der Regisseur Bart Layton erklärt in den Teilen des Making-ofs, warum er keine stinknormale, auf "objektiven Chronisten" machende Dokumentation drehen wollte bzw. konnte: Dafür wäre der Stoff einfach viel zu unglaublich gewesen. Keine hätte der Doku diese Behauptungen abgenommen (s.o.). Also musste er hinzu erfinden, um den "menschlichen Faktor", wie Graham Greene gesagt hätte, zu integrieren. Herausgekommen ist dabei ein Doku-Drama, das die Zuschauerschaft spaltet.
Für die einen ist nicht legitim, eine Doku zu dramatisieren; sie wollen Objektivität. Die anderen finden die Dramatik der Geschichte umwerfend, noch dazu, weil sie den Vorzug hat, von A bis Z wahr zu sein statt erstunken und erlogen worden zu sein. Dennoch kann sich Bart Layton auf eine Position zurückziehen, in der er sagen kann: Hört mal, Leute, ihr kennt jetzt auch die Version, die die Familie Dollarhide verficht, und nicht bloß die Versionen, die Fernsehen und Bundespolizei erzählen - entscheidet gefälligst selber, was "die Wahrheit" ist!
Rashomon
Das ist das klassische "Rashomon"-Problem***: Die Wahrheit ist nur das, was wir bereit sind, als solche zu akzeptieren. Den Rest aber blenden wir aus, genau wie die Dollarhides. Dies ist also das eigentliche Thema der Doku: Können bzw. wollen wir so etwas wie "Wahrheit" überhaupt erkennen? Fazit: jeder Hochstapler, jede Regierung und jeder TV-Sender kann heute "Wahrheit" im Dutzend billiger herstellen. "Wahrheit" entsteht nur intersubjektiv, wie es die wissenschaftliche Methode verlangt. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, so viele Aussagen wie möglich zu sammeln, um aus der Schnittmenge dieser Versionen so etwas wie "Wahrheit" zu destillieren. Auch wenn dabei das schier Unmögliche herauskommt, wie Sherlock Holmes sagen würde.
*** "Rashomon" ist der Titel eines frühen Samurai-Filmes von Akira Kurosawa. Darin hat ein Fürst oder Richter zu entscheiden, ob ein Verbrechen begangen wurde: Ein Samurai wurde ermordet, seine Gattin schändlich vergewaltigt. Doch alle Zeugen präsentieren eine andere Version des Tathergangs. Und als schließlich der Räuber Rashomon, famos gespielt von Toshiro Mifune, selbst aussagt, geht "die Wahrheit" vollends über Bord. Denn "in Wahrheit" sei natürlich alles ganz anders gewesen!
Um die Authentizität des verwendeten Materials zu simulieren, hat der Regisseur zahlreiche Video-Ausschnitte aus Heimvideos und Überwachungsvideos eingefügt. Sie betonen den dokumentarischen Charakter der Darstellung und führen uns so hinters Licht. Manchmal ist die Qualität aber (absichtlich) so schlecht, dass ich mich fragte, ob mich der Film damit provozieren wollte, auf die STOP-Taste zu drücken.
Die Schauspieler
Der zentrale Schauspieler ist natürlich der Darsteller des Hochstaplers Frederic Bourdin. Adam O'Brian ist ein Waliser und bewältigt die Aufgabe überraschenderweise so gut, dass ich mich fragte, ob der echte Bourdin überhaupt eine Rolle beim Anlegen dieser Darstellung gespielt habe. O'Brien, das kann man mit Fug und Recht sagen, eignete sich Mienenspiel, Manierismen, Sprechweise und Gestik des Originals so gut an, dass er hinter dieser Kunstfigur völlig verschwindet.
Durch die Nahaufnahmen wirkt er zudem überlebensgroß - auch dies ist gewollt. Dadurch bauen wir eine emotionale Beziehung zu ihm auf, wenn nicht sogar Sympathie. Er wird an dieser Stelle selbst als Opfer akzeptabel - ein Opfer der Eltern, des Systems, aber auch seiner neuen Pflegefamilie. In dieser nimmt nur Beverly, die Mutter, eine ähnliche prominente Rolle ein. Aber Beverlys Verhaltensweise ist pures Gefühl: "Ich denke nicht", gibt sie zu und macht sich selbst unglaubwürdig.
Alle anderen Figuren sind weniger eindrucksvoll. Unter diesen gefiel mir der alte Hase Charlie Parker noch am besten, den Mr Teichman spielte.
Die Blu-ray
Technische Infos
Bildformate: 1,85:1 (anamorph)
Tonformate: D in DTS-HD 5.1, Englisch in DTS-HD 5.1
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: D
Extras:
- Originaltrailer deutsch und englisch;
- Die Story;
- Die Person Frederic;
- Making-of;
- Das Drama;
- Die Musik;
- Trailershow.
Mein Eindruck: die Blu-ray
Die Qualität von Bild und Ton dieser Blu-ray ist, wie zu erwarten, sehr hoch. Ich musste aber feststellen, dass in den Halbschatten, die in dem Gesicht von Carey Gibsons Bruder zu sehen sind, grobkörnige Filmpixel auftauchten, und zwar nicht bloß einmal, sondern immer. Das war kein schöner Anblick und stand im Gegensatz zu der ansonsten hohen Qualität.
Mit einer Besonderheit muss sich der Zuschauer allerdings immer abfinden: Die eingefügten Video-Clips aus verschiedenen Quellen - Homevideo, Überwachungskamera usw. - sind von sehr suboptimaler Qualität. Diese ist so gewollt. Sie bildet den Kontrast zu der möglicherweise sonst als zu künstlich wahrgenommenen Spielhandlung und dient natürlich als optischer Beleg der Authentizität.
EXTRAS
1) Originaltrailer deutsch und englisch (2:15 min)
Die beiden Trailer fassen auf identische Weise die Story zusammen und versuchen, den Film zu einem großen Ereignis hoch zu stilisieren. So bemerkenswert die Story an sich auch ist und so schön die Optik, so unreflektiert ist sie auch. Deshalb wird auf die Sensation abgestellt - genauso gut könnte ich die BILD-Zeitung lesen. Erst am Schluss kommt durch die Zweifel von Parker und des FBI Spannung und ein Interesse an den menschlichen Hintergründen auf.
2) Die Story (4:45 min)
Bart Layton, der Regisseur, und die Produzenten erzählen, dass sie zunächst die Geschichte von Bourdin nicht kannten. Aber die FBI-Akten versetzten sie in Erstaunen. Dann interviewten sie Charlie Parker und die Familie Dollarhide. Letztere sträubte sich, weil sie ständig verleumdet worden war. Aber mit der Aussicht, endlich ihre eigene Version erzählen zu können, fand sie sich bereit, von den Ereignissen zu berichten. Layton betont, dass der Zuschauer letzten Endes selbst beurteilen muss, was "wahr" ist.
3) Die Person Frederic (5:50 min)
Bourdin ist ein Serienbetrüger und gewohnheitsmäßiger Identitätsdieb. Dennoch wurde er von der Crew nicht als Verbrecher behandelt, sondern fair wie alle anderen Figuren auch. Er erwies sich als charmant und überzeugend. Adam O'Brien zeigt sich fasziniert von diesen Eigenschaften und hat sie sich glaubhaft angeeignet (s.o.). Die Synchronisation verliert im Hinblick auf die spezifische Sprechweise einiges gegenüber dem Original.
4) Making-of (4:03 min)
Zunächst liefert Produzent Dimitri Doganis eine Zusammenfassung der Geschichte - nicht sonderlich interessant. Wenigstens geht er auf die Frage ein, warum er nicht gleich einen Spielfilm gedreht hat - der wäre "unglaubwürdig" hat. Aber die Doku musste dramatisiert werden, um den Zuschauer zu berühren.
5) Das Drama (5:32 min)
Die Darstellungsweise sollte nicht wie ein weiteres Stück gefälschtes Archivmaterial aussehen, berichtet der Regisseur. Im Gegensatz zum Spielfilm, für dessen Geschichte der Zuschauer seinen (Un-)Glauben aufgeben muss (wie für jede Fiktion), bittet einen der Film "Der Blender", seinen Glauben an das Material aufzugeben, so dass die Geschichte möglich erscheint: "Die Wahrheit ist seltsamer als die Fiktion."
Zu diesem Zweck wird das Bild traumartig stilisiert: Fehlfarben, Zeitlupe, Verzerrungen usw. verdrängen jeden Eindruck von "cinéma verité", wie man es von Dokus gewohnt ist. Dazu übte der Regisseur totale Kontrolle über seine Mittel aus. Und die Digitaltechnik liefert ihm diese Mittel. Layton bringt das Thema auf den Punkt: Es geht um die Unsicherheit der Erinnerung, die Flüchtigkeit der Wahrheit, die Subjektivität der Realität. Das ist ihm gelungen.
6) Die Musik (3:15 min)
Anne Nikitin, die Komponistin, sollte zurückgenommene Hintergrundmusik liefern, die sowohl Spannung als auch Dramatik unterstützt. Sie entwarf das Lügengewebe-Motiv, in dem ein Xylophon eine tragende Rolle spielt, verstärkt von Gong, Kirchenglocke, Becken und Harfe. "Creepy", also unheimlich, sollte das Leitmotiv klingen, sagt sie, und das ist ihr vollauf gelungen.
7) Trailershow:
a) Passion (von Brian de Palma, mit Noomi Rapace)
b) First Position (Ballettfilm)
c) Wolfblood 1. Staffel (vgl. meinen Bericht)
d) Der Verdingbub
e) ID:A (vgl. meinen Bericht)
f) Starbuck (vgl. meinen Bericht)
g) Take Shelter (vgl. meinen Bericht)
h) Texas Killings Fields (vgl. meinen Bericht)
i) Hasta la vista (vgl. meinen Bericht)
Unterm Strich
Die wahre Geschichte ist zwar interessant, wird aber auf ungewöhnliche Weise vermittelt. Das musste ich erst verstehen. Den wahren Begebenheiten wird eine traumartige Anmutung verliehen, durch Fehlfarben, Zeitlupe, Schnitte, Verzerrungen usw. Die Realität erscheint nach gewisser zeit als unsicheres Terrain, auf dem nichts sicher ist. Es geht um die Unsicherheit der Erinnerung, die Flüchtigkeit der Wahrheit, die Subjektivität der Realität, wie Regisseur Layton sagt. Auf einmal erscheint die Realität, in die sich der Blender begibt, als höchst gefährlich.
Existentialistisch
Ein existentialistischer Philosoph wie Sarte oder Camus hätte seine helle Freude an Bourdin. Hier ist ein Mensch, der sich nicht selbst erfindet, um die Realität zu gestalten, sondern ein Meister der Mimikry. Er wirft sich in eine fremde Realität und Identität, um endlich das zu finden, was er am meisten braucht: Anerkennung und Liebe. Leider gerät er diesmal in eine Familie, die alles andere als homogen und intakt ist - auch wenn sie selbst so erscheinen möchte. Was wurde aus dem echten Nick Barclay? Und was befindet sich unter dem Gartenboden des alten Hauses der Familie?
Fokus
Dieses letzte Viertel wäre eigentlich das Spannendste gewesen, aber ihm wird zu wenig Platz eingeräumt - möglicherweise wegen zu vieler offener Fragen. Stattdessen liegt das Schwergewicht der Darstellung des Falles Bourdin während der ersten Hälfte auf dem Aufbau der fremden Identität und ihrer wundersamen Akzeptanz: die ersten beiden oben skizzierten "Wunder". Auch das ist spannend, aber die Spannung ist mehr "suspense", also Beklemmung. Wird es Bourdin gelingen, ein Kuckuckskind zu werden? Es ist also indirekt auch ein Film über das Schauspielern und was Schauspieler für ihre Glaubwürdigkeit tun müssen.
Beschränkt spannend
Weil ich wie ein Schießhund aufpassen musste, keine Details zu diesem Werdegang zu verpassen, war die erste Hälfte ziemlich anstrengend. Spannung wollte deshalb bei mir wenig aufkommen, sondern vielmehr Stress. Als Bourdin in San Antonio ankommt, ist eh schon klar, dass er akzeptiert werden wird - was soll also die aufwendige Darstellung? So richtig Schwung kommt in die Geschichte, als Parker und das FBI Zweifel an ihm bekommen.
Diesen Teil fand ich denn auch am besten. Wenn das ordentlich ausgebaut worden wäre, hätte der Film aber 20 Minuten länger sein müssen - Zeit, die die Produzenten sich nicht genehmigen durften, denn nach spätestens 100 Minuten ist für eine solche Independent-Produktion Schluss.
Die Blu-ray
Der Sound ist klasse, aber das Bild in manchen Halbschatten suboptimal - siehe oben. Das Zusatzmaterial ist OK, nur hatte ich mir bisher unter einem "Making-of" etwas anderes vorgestellt. Man sollte daher die kompletten Featurettes als "Making-of" betrachten.
Zielgruppe
Dieser Streifen, der sich als Doku ausgibt, wendet sich teils an ein Spielfilm-Publikum, das sich für echte, reale Menschenschicksale interessiert. Andererseits fühlt sich auch ein intellektuelleres Publikum angesprochen, das mit den erkenntnistheoretischen Problemen etwas anfangen kann, die der Film thematisch anschneidet. In jedem Fall gehen Filmfans leer aus, die auf Action und Erotik stehen.
Michael Matzer (c) 2013ff
- Redakteur:
- Michael Matzer