Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben
- Regie:
- Stanley Kubrick
- Jahr:
- 1964
- Genre:
- Komödie
- Land:
- Großbritannien
- Originaltitel:
- Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb
1 Review(s)
01.09.2010 | 09:17Ein halbes Jahrhundert. In etwa so lange währte das filmische Schaffen von Regisseur Stanley Kubrick, der es in dieser Zeit auf die verhältnismäßig geringe Anzahl von sechzehn Filmen, von denen dreizehn Werke Spielfilmlänge besitzen, gebracht hat. Das mag sicherlich nicht nach viel klingen, vor allem in einer Zeit, in der Kino zum austauschbaren Massenprodukt verkommen ist und nur noch selten dem Anspruch als Kulturobjekt gerecht wird, doch wie so oft erweist sich der Spruch, dass "Qualität über Quantität geht", auch im Falle des Amerikaners als sehr richtig.
Anders lässt es sich wohl auch nicht erklären, das Kubricks Filme regelmäßig diverse Listen der "Besten Filme" anführen; alleine neun seiner Werke lassen sich auf dem virtuellen Filme-Mekka imdb.com in der Liste der "Top 250" finden. Zu Recht? Darüber darf natürlich der Einzelne entscheiden. Nichtsdestotrotz soll an dieser Stelle eine kleine Hommage-Reihe starten, welche meine Favoriten Kubricks ehren soll. Den Anfang macht dabei die groteske Satire "Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" (1964) über den Wahnsinn des Krieges und des Wettrüstens, verpackt in sehr schwarzen, aber auch sehr genialen Humor.
"Gentlemen, you can't fight in here! This is the War Room."
- Präsident Merkin Muffley -
In der heißen Phase des Kalten Krieges Anfang der 1960er Jahre bedarf es nur einer noch so kleinen Provokation, um den Dritten Weltkrieg oder, schlimmer, die Vernichtung allen Lebens auf der Erde durch die Zündung atomarer Sprengköpfe auszulösen. Letzteres scheint tatsächlich die Absicht des verrückt gewordenen US-Air-Force-Generals Ripper (Sterling Hayden) zu sein, denn in seinem Wahn, dass die Sowjets schon bald über die USA herfallen werden und bereits das Trinkwasser vergiftet haben, um den amerikanischen Mann einer "Säfte" zu berauben, tüftelt er den Plan aus, mit Atombomben bestückte Bomber Richtung Feind zu schicken, um diesen zuerst anzugreifen. Da der Befehl zum Angriff mit atomaren Sprengköpfen jedoch nur vom Präsidenten selbst gegeben werden kann, umgeht Ripper diese Bestimmung mit dem "Code Red", der es auch Generälen und Offizieren ermöglicht, ohne die Einwilligung der amerikanischen Führung zum atomaren Angriff zu blasen. Unter den entsetzten Augen des britischen Captain Mandrake (Peter Sellers, 1) werden die Bomber losgeschickt.
Um den schlimmsten Ernstfall noch rechtzeitig zu verhindern, trifft sich die amerikanische Führung unter Leitung von Präsident Muffley (Peter Sellers, 2) in einem unterirdischen Komplex, genannt der "War Room". Hier ist man, bis auf den hitzköpfigen General Turgidson (George C. Scott), alles andere als begeistert von den Plänen Rippers, weshalb man sich gar entschließt, direkt mit der sowjetischen Führung das weitere Vorgehen zu besprechen.
Gleichzeitig versucht man noch immer vergebens, Ripper direkt zu kontaktieren. Dieser hat sich jedoch vollkommen auf seinem Stützpunkt verschanzt und setzt alles daran, dass niemand die Rückzugcodes für die Bomber in die Hände bekommt. Als im War Room durch den russischen Botschafter de Sadesky (Peter Bull) auch noch verkündet wird, dass, sobald die Sowjetunion angegriffen wird, die "Weltvernichtungsmaschine" gezündet wird, scheint der Untergang der Menschheit perfekt. Einzig und alleine der deutsche Wissenschaftler Dr. Seltsam (Peter Sellers, 3) scheint nun noch eine Lösung in seinem immer wieder zum Hitlergruß ausholenden Ärmel zu haben ...
"Mein Führer! I can walk!"
- Dr. Seltsam -
"Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" gilt bei vielen Cineasten noch heute, und das sicherlich auch vollkommen zu Recht, als eine der besten Satiren auf die Militärmaschinerie. Dabei war der Film ursprünglich gar nicht mal als schwarz-humoristische Sicht auf Generäle, ihre Besessenheit von Macht sowie die Politikern der einst verfeindeten USA und der Sowjetunion und deren wahnhaftes Wettrüsten gedacht, sondern entwickelte sich erst im Laufe des Drehs als bitterböse Abrechnung mit diesen. Und das ausgerechnet zu einer Zeit, in der die Welt gerade erst haarscharf am Ausbruch des dritten Weltkrieges vorbeigeschossen ist (man erinnere sich an die Kuba-Krise 1962) und man in einem von der Hetzjagd auf Kommunisten geprägten Land wie den USA nicht sonderlich viel übrig hatte für kritische Politfilme. So ist es sehr bezeichnend, dass im Erscheinungsjahr von "Dr. Seltsam" ein weiterer, ebenfalls auf der Grundlage des Romans "Red Alert" basierender Film namens "Angriffsziel Moskau" erschienen ist, der im Prinzip die gleiche Thematik wie auch Kubrick behandelt, dies jedoch sehr viel ernster.
Den Spagat, eine im Grunde ernsthafte Thematik extrem zu überzeichnen und somit erst den Wahnsinn des Ganzen aufzuzeigen, gelingt "Dr. Seltsam" mühelos. So bietet der Film ein Wechselbad der Eindrücke. Man lacht man darüber, wenn Captain Mandrake versucht, den Präsidenten über ein Münztelefon zu erreichen, um ihm die Rückzugcodes für die Bomber zu übergeben, was jedoch daran zu scheitern droht, dass der Brite selbst nicht genug Kleingeld bei sich hat und man ihn partout nicht auf Kosten der Regierung zum War Room durchstellen will. Das Ganze ist im Grunde natürlich zum Schreien komisch, andererseits zeigt der ganze Film, wie in Zeiten von Massenvernichtungswaffen vieles von sehr kleinen Dingen und einzelnen Menschen abhängt. Man stelle sich nur einmal vor, es hätte wirklich einen paranoiden Militärmann wie Ripper gegeben, der auf eigene Hand die Sowjets mit Atombomben beschießt. Die Tatsache, dass der Film auf der einen Seite als äußerst humoristische Farce durchgeht, es aber gleichzeitig schafft zu sensibilisieren, ist erstaunlich und in diesem Maße beinahe konkurrenzlos.
General "Buck" Turgidson: "Hmm ... Strangelove? What kind of a name is that? That ain't no Kraut name is it, Stainesey?"
Mr. Staines: "He changed it when he became a citizen. Used to be Merkwürdigeliebe."
General "Buck" Turgidson: "Well, a Kraut by any other name, uh Stainesey?"
Inszenatorisch mag "Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" für viele aus heutiger Sicht hoffnungslos veraltet sein, all denen sei jedoch gesagt, das dies keinesfalls den Genuss des Filmes auch nur im Geringsten eindämmt. Denn Kubrick beweist hier wie in kaum einen anderen seiner Filme, wie man aus wenigen Mitteln viel machen kann. So sind allein schon die Handlungsorte mit einer Anzahl von drei verschiedenen Hauptsets äußerst knapp gehalten, schaffen es aber auch nicht, auch nur die Spur von Eintönigkeit aufkommen zu lassen. Ganz im Gegenteil. Das liegt nicht zuletzt an den exzellent besetzten Charakteren, die einen Rundumschlag auf die damalige Polit- und Militärprominenz darstellen.
Da hätten wir zum einen den vollkommen paranoiden General Ripper, dessen Nachname nicht nur zufällig an den britischen Frauenmörder aus der Legende angelehnt ist. Dieser vollkommen durchgedrehte Militärmann, der glaubt, dass die "Ruskis" das amerikanische Trinkwasser vergiftet hätten, um die Männer unfruchtbar zu machen, und deshalb selbst nur noch destilliertes und Regenwasser trinkt, steht für die die fatale Paranoia der McCarthy-Ära, in welcher die Angst vor den Kommunisten nicht nur groteske, sondern auch erschreckende Züge angenommen hat. In dieser Zeit waren es ausgerechnet deutsche Wissenschaftler, ehemalige Nazis, die man sich ins eigene Boot geholt hat, um gegen die Russen bessere Waffen zu bauen und im technischen Vorteil zu sein.
Dr. Seltsam, bzw. Strangelove, wie er im Original heißt, steht genau für diese Gruppe, die in die USA emigriert, doch von der alten Ideologie kein bisschen abgewandert ist. Kubrick greift natürlich zu einer extremen Überzeichnung von Dr. Seltsam - so will seine rechte Hand eigenständig immer wieder zum Hitlergruß ausholen, er selbst bezeichnet den Präsidenten gar als Führer. Vor allem am Ende, in dem Dr. Seltsam einen Monolog über die einzige Möglichkeit hält, wie die Menschheit nach der Zündung der "Weltvernichtungsmaschine" weiterbestehen kann, schließt sich der Kreislauf wieder, sodass die Szenerie solchermaßen durchaus auch mit der deutschen Führung des dritten Reiches hätte stattfinden können.
All diese grotesken Charaktere - es gibt natürlich einige mehr als die beiden oben beschriebenen - werden allesamt fabelhaft gespielt. Sterling Hayden ("Der Pate", "Die Rechnung ging nicht auf") spielt den vom Wahn befallenen General Ripper mit einer perfekt funktionierenden Mischung aus purer Lächerlichkeit und bitter-bösem Ernst; Westernheld Slim Pickens ("1941 – Wo bitte geht's nach Hollywood", "Bonanza") spielt den patriotischen Cowboy aus Texas, Major Kong, welcher die berühmte Rittszene auf der Atombombe gen Ende bestreitet, mit so vollkommener Überzeugung an die amerikanischen Ideale glaubend, dass man sich unweigerlich an den Bush-Clan erinnert fühlt; George C. Scott ("Anatomie eines Mordes", "Titanic") als General Turgidson sorgt mit seiner vollkommen übertriebenen Mimik für wahres Gelächter. Den Höhepunkt des Filmes bietet jedoch Peter Sellers ("Der rosarote Panther", "Casino Royale"). Zum einen spielt er den wohlgesinnten Briten Captain Mandrake, der versucht, Ripper aufzuhalten, den überforderten, aber doch sehr gut überlegten Präsidenten Merkin Muffley sowie den titelgebenden Dr. Seltsam. Drei sehr unterschiedliche Charaktere, die allesamt mit einer wahren Freude von Sellers gespielt werden und - vor allem Dr. Seltsam - unvergessen bleiben.
Fazit
Seine Kernaktualität mag "Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" mittlerweile sicherlich verloren haben, trotzdem kann man nicht abstreiten, dass die kongeniale Satire auf die Kriegsmaschinerie und den Wahnsinn des Wettrüstens auch in der heutigen Zeit noch immer funktioniert, in der viele Nationen weiterhin auf ihre Atombomben bestehen und das Militär noch immer in einer erschreckend mächtigen Entscheidungsposition steht. Filmisch gesehen überzeugt dieses noch recht frühe Werk von Kubrick neben seinem schwarzen Humor vor allem durch den hervorragend besetzten Cast, allen voran natürlich Peter Sellers.
Daten
Original-Filmtitel: Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb (1964)
Länge des Filmes: ca. 91 Minuten
Darsteller:
Peter Sellers: Group Captain Lionel Mandrake / President Merkin Muffley / Dr. Strangelove
George C. Scott: General 'Buck' Turgidson
Sterling Hayden: Brigadier General Jack Ripper
Keenan Wynn: Colonel 'Bat' Guano
Slim Pickens: Major 'King' Kong
Peter Bull: Russian Ambassador Alexi de Sadesky
James Earl Jones: Lieutenant Lothar Zogg
Tracy Reed: Miss Scott
Regisseur: Stanley Kubrick
DVD-Veröffentlichung: 1999 // 40th Anniversary Limited Edition, 2 DVDs: Columbia Tristar Home Entertainment, 2004
FSK: ab 16 Jahren
- Redakteur:
- Adrian Trachte