Ein Baum wächst in Brooklyn
- Regie:
- Elia Kazan
- Jahr:
- 1945
- Genre:
- Drama
- Land:
- USA
- Originaltitel:
- A Tree Grows in Brooklyn
1 Review(s)
05.05.2005 | 07:29Der Alltag bei Familie Nolan besteht darin, dass das Geld hinten und vorn nicht reicht. Deswegen macht sich aber nur Mutter Katie (Dorothy McGuire) ernsthafte Sorgen. Ihr Mann Johnny (James Dunn) ist dagegen ein liebenswerter Fantast, der davon träumt, ein gefeierter Musiker zu sein, sich aber nicht eingesteht, es nur zum Alkoholiker gebracht zu haben. Trotzdem ist er mit seinem träumerischen Charisma das große Vorbild seiner Tochter Francie (Peggy Ann Garner), die ihn über alles liebt. Die fantasiebegabte Zwölfjährige ist damit das Gegenteil ihres jüngeren Bruders Neeley (Ted Donaldson), der eher zum Realismus seiner Mutter neigt. Als ein großer Baum vor der Wohnung der Nolans gefällt wird, scheint auch über die Familie eine Pechsträne zu fallen: Weniger Geld, dafür mehr Alkohol für Johnny; und auch Francie scheint immer mehr in ihren Traumwelten zu versinken ...
Auf den ersten Blick ist "Ein Baum wächst in Brooklyn" eine ganz normale Familien-Geschichte. Doch liefert der Film mehr, steckt in ihm eine Sozialstudie des Lebens in einer amerikanischen Großstadt wie New York zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Obwohl der Streifen in einem Studio gedreht wurde, wirkt das Milieu der einfachen Leute und ihren kleinen und großen Sorgen zwischen Krämerläden und ärmlichen Hinterhöfen authentisch. Regisseur Elia Kazan - der später mit Klassikern wie "Endstation Sehnsucht" und "Jenseits von Eden" sogar noch zu Oskar-Ehren kam - schafft dabei in seinem Regiedebüt das Kunststück, das Leben des "kleinen Mannes" ohne den erhobenen Zeigefinger des Klassenkampfes zu inszenieren. Anrührend und warmherzig erzählt er den Alltag der Nolans aus der Sicht von Tochter Francie und lässt sie vor den Augen der Zuschauer erwachsen werden. Meisterhaft ist die Beziehung zwischen Vater und Mutter beschrieben: er als die Verkörperung des träumerischen "Idealisten" der Romantik, sie als Symbol für die kalten Zwänge des industriellen Zeitalters. Die dadurch entstehenden Konflikte in der Familie sind glänzend gespielt, nicht umsonst gewannen Peggy Ann Garner und James Dunn 1945 für ihre Rollen den "Oscar". Somit ist "Ein Baum wächst in Brooklyn", auch wegen seiner recht spritzigen Machart, heute immer noch eine unbedingte Empfehlung - ein Film zum Lachen, Weinen und Träumen, inszeniert in schwarz-weißen Nahaufnahmen, die durch ihre schlichte Schönheit bestechen und gerade durch die etwas verwackelte DVD-Wiedergabe herrlich altmodisch wirken. Und auch die zentrale Botschaft des Streifens, die Oma Nolan (Ruth Nelson) als Leitsatz des amerikanischen Traums in der Filmmitte verkündet, ist heute in gewisser Weise so aktuell wie damals: der unbedingte Glaube an die Chancen jedes lernwilligen Individuums, aus seinem Leben etwas zu machen.
- Redakteur:
- Henri Kramer