Hasta la vista - Pflücke das Leben! (Blu-Ray)
- Regie:
- Geoffrey Enthoven
- Jahr:
- 2011
- Genre:
- Komödie
- Land:
- Belgien
- Originaltitel:
- Hasta la vista
1 Review(s)
10.12.2012 | 16:57Wie fühlt sich ein Frauenkörper an?
Drei Freunde wollen endlich Sex haben. Doch Lars sitzt aufgrund einer fortschreitenden Krankheit im Rollstuhl, Philip ist vom Hals abwärts gelähmt und Jozef ist fast komplett blind. Und ihre überfürsorglichen Eltern verbieten ihnen eine sorgfältig als Wein-Tour getarnte Reise in ein Bordell, das auf ihre besonderen Bedürfnisse eingestellt ist. So organisieren sie sich heimlich den nächstbesten Fahrer namens Claude, und begeben sich auf eigene Faust in einem Kleinbus auf eine Tour, die sie aus ihrer wohlbehüteten belgischen Heimat an die spanische Küste und damit direkt an das Ziel ihrer Träume führen soll...
"Hasta La Vista" wurde im Sommer 2011 auf dem Montreal World Film Festival mit drei Preisen (Gran Prix des Amériques; People's Choice Award; Prize of the Ecumenical Jury - Special Mention) ausgezeichnet. "Hasta La Vista" ist für den Publikumspreis des Europäischen Filmpreises 2012 nominiert.
Filminfos
O-Titel: Hasta la vista (Belgien 2011)
Studio: Ascot Elite Home Entertainment
Erscheinungstermin: 20. November 2012
EAN: 7613059402423
FSK: Freigegeben ab 12 Jahren
Spieldauer: 114 Minuten
Regisseur: Geoffrey Enthoven
Vorlage: Asta Philpot
Drehbuch: Pierre de Clerq
Darsteller: Robrecht Vanden Thoren (Philip), Tom Audenaert (Jozef), Gilles de Schryver (Lars), Isabelle de Hertogh (Claude) u.a.
Handlung
Philip, der an den Rollstuhl gefesselt ist, hat genug davon, den hübschen Joggerinnen auf die hüpfenden Brüste zu glotzen. Er will erleben, wie sich ein echter Frauenkörper anfühlt. Es muss doch auch richtigen Sex geben, den ein Querschnittsgelähmter haben kann. Das sagt er jedenfalls seinen beiden Freunden Lars, den Krebskranken, und Jozef, dem fast Blinden. Sie fragen sich allerdings, was Philip vorhat, um seine Lage zu ändern. Er zeigt ihnen die Visitenkarte eines spanischen Bordells, das auf Behinderte wie sie spezialisiert sei: "El Cielo", der Himmel. Das klingt in der Tat verlockend.
Denn sie alle werden sehr von ihren jeweiligen Eltern behütet und ein Ausbruchsversuch würde bereits im Keim erstickt werden. Also müssen sie ihre Vorbereitungen im Geheimen treffen. Lars findet in seiner jüngeren Schwester Yoni eine schlaue Komplizin, während Jozef die radikalere Verschwindibus-Nummer vorzieht. Philip hat umdisponiert: Da Kurt, der Deutsche, der ihm die Visitenkarte gab, nicht zur Verfügung steht, muss er sich mit Claude als Fahrer zufrieden geben. Alle nehmen natürlich an, dass es sich wieder um einen Mann handelt. Als Claude mit einem geräumigen Kleinbus aufkreuzt, stellt sie sich als Frau vor, noch dazu als eine, die kein Wort Flämisch spricht, sondern Französisch. Diese Wallonen!
Schon bei der ersten Pinkelpause wird ihnen allen klar, dass sie sich mit ihrer Lästerei über "das Mammut" bis auf die Knochen blamiert haben. Claude hat nämlich jedes Wort verstanden und spricht ein recht passables Flämisch. Sie entschuldigen sich bei ihr. Als der fast blinde Jozef beim Pinkeln einen Hang hinab stürzt und droht, in einem Fluss oder Kanal zu ertrinken, ist es natürlich Claude, die ihm das Leben rettet, nicht die anderen. Endlich erkennen sie, was für Narren sie gewesen sind. Jozef weist Philip streng zurecht, und erst als dieser sich bei Claude entschuldigt hat, können sie alle einen heben.
Die Weintour ist natürlich nur ein Vorwand, um schlussendlich das Gelobte Land zu anzusteuern: Spaniens sonnige Küste, wo El Cielo liegen soll. Doch ihre Flucht ist inzwischen entdeckt worden und ein Anruf zwingt Claude zu einer drastischen Maßnahme: Im Flughafenhotel von Bordeaux warten die Eltern darauf, ihre ausgebüxten Kids zurückzuholen. Doch diese proben vehement den Aufstand...
Mein Eindruck
Road-Trips wie diesen gibt es inzwischen wie Sand am Meer, und auch eine daraus entwickelte Tragikomödie ist nicht unbekannt. Man denke etwa an "Knockin' on heaven's door" mit Til Schweiger, dem "Todkranken", und Moritz Bleibtreu, dem "schusseligen Aushilfs-Killer". Aber diesmal sind die Hauptakteure Schwerstbehinderte und sogar ein Todgeweihter. Die Reise erfordert einen Ausbruch aus dem Schema, in dem sich die Behinderten, bis auf einen, eingerichtet haben. Das Ziel ist Befreiung, vielleicht sogar Erlösung, auf jeden Fall aber Selbstfindung.
Vier markante Charaktere
Die Frage ist jedoch, ob die Schauspieler mit dem vorhandenen Drehbuch solche Vorgaben umsetzen können. Der Zuschauer muss eine Menge Einfühlungsvermögen mitbringen, wenn sich die Behinderten nicht so verhalten, wie er oder sie das von ihnen erwartet. Philip etwa ist die Unzufriedenheit in Person, ein Stänkerer und Nörgler. Und wenn ihn die anderen beiden "im Stich lassen", wird er richtig sauer.
Jozef, der Fastblinde, wirkt mit seinem Handicap zwar komisch, verfügt aber über die Fähigkeit des "mit dem Herzen Sehens", wie es Saint-Exupéry in "Der kleine Prinz" forderte. Deshalb erkennt er, was in Claude, der voluminösen Fahrerin, steckt, nämlich ebenfalls eine Behinderte: Sie ist auf Bewährung draußen, weil sie fast ihren untreuen Mann umgebracht hätte. Die Vorstrafe macht sie angreif- und erpressbar. Jozef erkennt, dass sie eine Seele ist, die ebenso Hilfe braucht wie er, und verliebt sich in sie. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie ihm ohne zu zögern das Leben gerettet hat. Wenn sie ein Mann wäre, wäre sie der ideale Ehemann: zupackend, loyal, stark und doch liebevoll.
Lars, der junge Blonde mit dem krebskranken Körper, ist in dem Trio etwas ungewöhnlich, denn ihm droht die zeit davonzulaufen: Er will nicht sterben. Folglich darf sein Darsteller die intensivsten und längsten Dialoge sprechen. Während besonders Philip polemisch und quengelig rüber kommt, Jozef ebenfalls kurz angebunden, darf Lars wirklich seine Seele zeigen. Eine Spanierin, die bald auswandern wird (was er für "Urlaub" hält), interessiert sich für den Rollstuhlfahrer mit dem offenen Gesicht. Aber sein Körper spielt ihm einen üblen Streich, und aus dem Treffen ergibt sich nichts.
Das Bordell
Der Besuch im El Cielo, der in der letzten Viertelstunde ansteht, könnte megapeinlich werden, stellt man sich vor. In der Tat sehen die in großer Zahl aufmarschierenden Damen des horizontalen Gewerbes zwar eifrig aus, aber vielleicht liegt das nur daran, dass sie eine hohe Getränkerechnung im Auge haben. Dem Bordell fehlt die Glaubwürdigkeit deshalb, weil die Damen genauso aussehen wie alle solche Damen, nur dass sie beim Anblick eines Rollstuhlfahrers nicht gleich Reißaus nehmen. Ich erwarte ja nicht, dass sie wie Krankenschwestern weiße Kittel tragen, aber worin unterscheidet sich denn das El Cielo nun wirklich von anderen Bordellen? Das wird nicht belegt.
Dass Philip sich hier wie im Himmel vorkommt, war zu erwarten, aber dass auch Lars mitmacht, verwundert eher. Bald kommt heraus, dass er eine Unmenge Pillen gegen seine Tumorschmerzen eingenommen hat, also praktisch völlig sediert ist. Das Ende dieser Nacht hält denn auch eine sehr traurige Überraschung für seine Freunde bereit. An dieser Stelle wird der Film anrührend, während er sonst eher fröhlich bis komisch-humorvoll wirken will. So transportiert der Streifen seine aufrüttelnde Botschaft quasi über die Unterhaltungsschiene.
Die Blu-ray
Technische Infos
Sprache: Deutsch (DTS-HD 5.1), Französisch (DTS-HD 5.1), Flämisch (DTS-HD 5.1)
Untertitel: Deutsch, Frz.
Bildseitenformat: 16:9 - 2,35:1
Extras:
- Trailer
- Trailershow
- Making-of
Mein Eindruck: die Blu-ray
Wie zu erwarten, sind Bild und Ton der Blu-ray auf einem hohen Niveau. Für alle drei Sprachen Deutsch, Flämisch und Französisch liegt der Tonstandard DTS vor, der auf entsprechendem Equipment für beste Qualität sorgt. Die Untertitel sollte man zuschalten, denn es gibt erheblich Unterschiede zwischen Original und Synchronisation.
EXTRAS
1) O-Trailer (1:30 min)
Der in flämischer Sprache gesprochene O-Trailer ist natürlich für den deutschsprachigen Zuschauer wenig hilfreich.
2) Deutscher Trailer (1:30 min)
Der deutsch synchronisierte Trailer ist inhaltsgleich mit dem O-Trailer.
3) Making-of (12:26 min)
Produzent und Regisseur erzählen. Ausgangspunkt für den Film war die BBC-Dokumentation "For One Night Only", die der Belgier Asta Philpot und zwei andere Behinderte auf der Reise zu einem derartigen Bordell nach Spanien begleitete. Philpot, der von Geburt an an Arthrogryposis, einer Form der Gelenksteife, leidet, kann den Großteil seines Körpers nicht bewegen, wie die Figur Philip. Sein eigenes Leben wurde verändert, als er seine Unschuld auf diese Weise verlor und er wollte diese Erfahrung mit anderen Männern teilen, die nie sexuelle Intimität gekannt hatten.
,,Dieser Typ ist so positiv," erinnert sich Regisseur Enthoven. ,,Die Dokumentation machte auf uns gewaltigen Eindruck." Mariano Vanhoof, Enthovens Partner in der Produktionsfirma Fobic Films, hatte die Idee, daraus einen Film zu entwickeln. Zusammen erzählen sie, unterbochen von illustrierenden Filmausschnitten, von den Vorbereitungen, die anderthalb Jahre dauerten.
Das Casting war Alles entscheidend, denn ohne glaubhafte Figuren würde der Film nicht wirken. Mit Philpots Beratung wählte die Crew entsprechende Schauspieler aus. Isabelle, die Darstellerin der Claude, hatte lediglich fünf Tage Zeit, sich in die Rolle hineinzuversetzen. Tom Audenaert, der Jozef-Darsteller, verletzte sich beim seinem Stunt im Fluss. Genervt hat mich allerdings der werbende Offscreen-Kommentar. So etwas sollte man abschaffen.
4) Trailershow
a) Starbuck
b) Chinese zum Mitnehmen
c) My Week with Marilyn
d) The Guard
e) Take shelter
f) An ihrer Seite
g) Bonneville - Reise ins Glück
h) Red Dog
i) Alles muss raus
Unterm Strich
Die Produktion kann sich durchaus sehen lassen. Das Budget war zwar sicherlich nicht riesig, sondern hätte man nicht auf einen Road Trip als Handlung zurückgreifen müssen. Aber die Schauspieler sind engagiert, ihre Rollen klar gezeichnet und intensiv dargestellt. Es gibt einiges zu schmunzeln, obwohl das Thema doch eigentlich recht ernst ist. Zwei der drei Behinderten sind schwerstbehindert, der dritte todkrank - wenig Grund zu lachen. Dass sie sich die Flausen ausgetrieben bekommen, versteht sich von selbst: Das gehört immer zum Road Trip als Selbsterfahrungsreise dazu.
Doch das Thema Behinderte, Tod und Lebenssehnsucht (nach Sex) kann auch so übertrieben thematisiert werden, dass es beim Zuschauer einen Reflex der Abwehr oder des Fremdschämens auslöst. Grund ist die Angts, die diese Themen tief in uns auslösen. Wir fühlen uns im emotionalen Mittelmaß am wohlsten, und Dinge wie das große C (= cancer) lösen Unbehagen und Abwehr aus. Nur der Humor und die Komik können diesen Reflex zeitweilig verdrängen und ausgleichen. Bei wem dies nicht gelingt, wird der Film unweigerlich scheitern.
Den Film anzuschauen, ist also eine Gratwanderung. Doch wem "Ziemlich beste Freunde" und "Taucherglocke und Schmetterling" bereits gefallen haben, der dürfte auch mit "Hasta la vista" keine Probleme haben. Ganz im Gegenteil. Und dass dies endlich mal ein bemerkenswerter Film aus Belgien ist, sollte ebenfalls positiv vermerkt werden. Das sich die Belgier selbst auf die Schippe nehmen, indem sie ihre sprachliche Zweigeteiltheit in einen Flämisch sprechenden und einen Französisch sprechenden Landesteil verulken, fand ich sehr sympathisch.
Die Schwächen liegen in der Länge des Films, der geringen Spannung, den polemischen Dialogen, die nicht auf Erkenntnis ausgerichtet sind und die Darstellung von Erotik, die ich unglaubwürdig fand (siehe oben).
Die Blu-ray
Während die technische Qualität der Blu-Ray erwartungsgemäß einwandfrei ist, lässt das Infomaterial doch einiges zu wünschen übrig. Das Making-of ist mit einer Länge von rund 12 Minuten recht kurz, angefüllt mit zahlreichen Filmausschnitten, die man eh schon kennt, und überfrachtet mit einem Off-Kommentar.
Die wertvollen Statements der Macher und ihrer Schauspieler gehen dabei fast unter, dabei sind sie bei weitem das Spannendste an dieser Doku. Ansonsten bekommt man Werbung in Form von Trailern geliefert. Da kann man sich auch mit der DVD begnügen, die die gleichen Features bietet.
Michael Matzer (c) 2012ff
- Redakteur:
- Michael Matzer