L.A. Crash (2-DVD Steelbook Edition)
- Regie:
- Paul Haggis
- Jahr:
- 2005
- Genre:
- Drama
- Land:
- USA
1 Review(s)
04.01.2007 | 09:20Story
Ein neuer Todesfall erschüttert die Cops des L.A. Police Department. Die Leiche liegt in der Nähe eines Highways, ohne jeglichen Hinweis auf Mörder oder Tatmotiv. Ein Tag zuvor: Zwei farbige Autoknacker überfallen den Staatsanwalt und seine Frau und stehlen ihren Wagen. Bevor der Fall jedoch zu großes Aufsehen erregen kann, wird er vom Ehepaar schon wieder vor den Medien abgewürgt. Der Mann, der kurze Zeit später das Türschloss zu ihrem Anwesen wechselt, wird ebenfalls disqualifiziert, weil er dunkelhäutig ist und potenziell zu ähnlichen Taten fähig ist wie die beiden Autodiebe – glaubt zumindest die hochnäsige Frau des Staatsanwalts. Dies führt wiederum dazu, dass der Auftraggeber des Schlüsseldiensts sein Geld nicht bekommt, den Schwarzen für einen Betrüger hält und sich die unrechtmäßigen Schulden notfalls mit Gewalt verschafft.
Währenddessen sinnt ein Cop auf Vergeltung an den Farbigen, weil die afroamerikanische Verwalterin seiner Krankenkasse ihn bei der Versorgung des schwer kranken Vaters nicht unterstützen möchte. Aus Trotz hält er bei der abendlichen Streife den nächstbesten Wagen an und stellt die beiden schwarzen Insassen über alle Maßen bloß. Die Dame begrabscht er dabei sogar unerlaubt. Ausgerechnet sie ist es aber, die kurze Zeit später mit seiner Hilfe rechnen kann, als sie sich bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt und ohne den Eingriff des Polizisten in ihrem Auto zu verbrennen droht. Und auch ihren Mann trifft der Cop schon wenige Stunden später wieder, dieses Mal jedoch als Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls, hinter dem die beiden Autodiebe stecken. Wäre da nicht der Kollege des kompromisslosen Polizisten, würde es erneut zum Eklat kommen. Doch der jüngere Cop beweist Zivilcourage und löst das Problem ohne die erwartete Gewalt. Ausgerechnet er soll es aber später sein, der für das wohl tragischste Ereignis dieses seltsamen Tages sorgen soll...
Meine Meinung
“L.A. Crash“ ist, dazu reicht schon ein Blick auf die Inhaltsangabe, alles andere als ein Film mit herkömmlichen Strickmuster. Vielmehr handelt es sich bei diesem preisgekrönten Streifen um eine mehr oder weniger zusammenhängende Aneinanderreihung von Kurzgeschichten, in denen die Schicksale verschiedener Menschen unterschiedlicher Rassen erzählt und mit einer bewegenden Dramaturgie dargestellt werden. Und dies alles gebündelt innerhalb einer beklemmenden Atmosphäre, die auch nachhaltig einen sehr überwältigenden Eindruck hinterlässt.
Der Regisseur beginnt das Drama mit der Einblendung eines merkwürdigen Todesfalls, geht jedoch nicht näher auf Ursachen etc. ein. Stattdessen springt er einen Tag zurück und erzählt Schritt für Schritt, wie völlig verschiedene zwischenmenschliche Geschehnisse sich auf dieses tragische Ereignis hinbewegen. Allerdings ist es bei dieser ungleichen Verstrickung zunächst einmal unmöglich, einzelne Verbindungen aufzudecken bzw. zu analysieren, wie die einzelnen Vorgänge in Einklang zu bringen sind. Nach einer Weile wird einem dann offenbart, dass die Ereignisse und besonders deren Zusammenhang ausschließlich auf Zufällen beruhen, die diese unterschiedlichen Personen- und Beziehungskonstellationen erst ermöglichen. Allen ist jedoch eines gemein: Sie kommen erst dadurch zustande, dass Menschen voneinander abgewandter Rassen einen Konflikt auszutragen hatten, der nicht näher verarbeitet wurde und stattdessen in einer Eskalation enden musste. Und dies ständig und immer wieder.
Ich muss mir ehrlich zugestehen, dass es ein ziemlich schwieriges Unterfangen ist, den Inhalt von “L.A. Crash“ ausführlich zu beschreiben, denn dafür ist die Handlung einfach zu vielfältig und komplex, als dass man irgendwie den Punkt treffen könnte. Die Problematik und all ihre Elemente sind zwar leicht herauszufiltern, doch all diese dann in Beziehung mit dem umfassenden Plot zu bringen, ist wahrscheinlich unmöglich, zumindest wenn es darum geht, nicht zu viele entscheidende Details preiszugeben. Paul Haggis hat es einfach prima hinbekommen, eine niemals transparente, überwältigende Geschichte zu erschaffen, in welcher jedes Einzelschicksal einen auch über das Ende des Streifens hinaus zutiefst berührt. Toll ist diesbezüglich vor allem, wie er die verschiedenen symbolisierten Vorurteile völlig wertfrei in die Handlung integriert, dabei darstellt, wie Hass geschürt und über andere, meist schwächere Personen kanalisiert wird, und gleichzeitig auch die Tragweite eines einzigen Ereignisses beschreibt.
Weiterhin beachtlich ist, wie der Regisseur seine Schauspieler einbezogen hat. Selbst Sandra Bullock, die ihr Sternchendasein in Hollywood schon seit einigen Jahren wieder eingebüßt hat, glänzt in ihrer Rolle als verwöhnte reiche Wichtigtuerin, deren niederträchtiges Reden über andere Kulturen ein wesentlicher Bestandteil für die Fortentwicklung der Geschichte ist und gleich zu Beginn mehrere Dominosteine ins Rollen bringt. Ebenfalls überzeugend: Matt Dillon als frustrierter Polizist, der in seinem Job eigentlich nie Grund zu rassistischen Vorgehensweisen hatte und dementsprechend auch nie fremdenfeindlich gehandelt hat, durch den Transfer seiner Probleme mit einer farbigen Sachbearbeiterin aber für einen Moment die einzige Möglichkeit sieht, sein verletztes Gemüt zu beruhigen. Als ihm schließlich bewusst wird, was er damit angerichtet hat, begreift er erst, wie irrational sein Verhalten war, kann diesen Fehler aber selbst dadurch nicht mehr gutmachen, dass er der Dame, die sich zuvor noch in der Opferrolle befand, kurze Zeit später das Leben rettet und sein eigenes dafür einsetzt. Er selber hat den Stein des Hasses erst ins Rollen gebracht und wird nun ungewollt selber überrollt.
Und derart gestaltet es sich dann in jeder beschriebenen Rolle, sei es nun beim Perser, der in dem falschen Glauben, betrogen worden zu sein, zur Selbstjustiz neigt, oder beim Produzenten, der dämliche Witze über die schwarze Bevölkerung unfreiwillig überhört, um seinen Job nicht zu gefährden, oder beim Chief, der sich den Vorwurf gefallen lassen muss, seine Familie zu vernachlässigen und dafür die Verantwortung für das Schicksal seiner Mutter und des jüngeren Bruders übernehmen zu müssen, oder, oder, oder... Die Tragik der Geschehnisse scheint kaum mehr ein Ende zu nehmen, und mit jedem weiteren Vorfall ergreift dieses bewegende Movie immer mehr Besitz vom Herzen des Zuschauers. Was dabei jedoch entsteht, ist nicht zu beschreiben; es muss erlebt werden, jede einzelne Sekunde, jede schreckliche Begegnung, aber auch jeder Hoffnungsschimmer, der genau dann aufkeimt, wenn ein vermeintlich unsympathischer Darsteller plötzlich seine Gesinnung ändert, über seinen Schatten springt und die ansonsten stets präsente Barriere zwischen Latinos, Farbigen, Weißen und Asiaten außer Acht lässt. Bestärkt wird dieses atemberaubende Gefühl durch die tolle Kameraführung und die sowohl auf Bild als auch auf den Ton zutreffende, vorzügliche Dynamik, mit denen der Regisseur das Ganze in Szene setzt.
Dieser Tage ist “L.A. Crash“ nun erneut auf DVD aufgelegt worden, und dies in einer speziellen 2-DVD-Fassung. Im noblen Steelbook gibt es zahlreiche Extras, in denen die Hintergründe der umfangreichen Handlung etwas detaillierter beleuchtet werden. So gibt es unter anderem ein Interview mit dem Regisseur zu sehen, der einzelne entscheidende Szenen gedanklich vertieft und erzählt, woher die jeweilige Idee stammt. Des Weiteren dürfen sowohl Leute vom Schauspielerstab als auch Mitglieder der Crew einige Sätze zu dieser Produktion und ihren Eindrücken loswerden, begleitet von weiterem “Behind The Scenes“-Material, einer anschaulichen Aufreihung von Szenen, die letztendlich dem Schnitt zum Opfer fielen, sowie Musikvideos und vieles mehr. Dies alles, wie im Übrigen auch der gesamte Hauptfilm, ist in tadelloser Bild- und Tonqualität.
Fazit
Eine Schlussbemerkung zu “L.A. Crash“ zu schreiben, ist im Prinzip einfach, verlangt allerdings mehr als oberflächliche Superlative. Aber wie soll man einen Film bzw. seine Meinung zusammenfassen, wenn man noch immer im Bann des Erlebten steht? “L.A. Crash“ hat das geschafft, woran viele Dramen heutzutage scheitern: Er hat eine alte, aber längst nicht überholte Thematik aus einer sehr eigenwilligen Perspektive beschrieben und erzählt, dies in eine durch und durch authentisch wirkende Handlung integriert und dabei Aufnahmen erschaffen, bei der jede einzelne Situation zur bewegenden Schlüsselszene avanciert. Sollte mich jemand nach der feinfühligsten und dennoch schonungslosesten Adaption eines modernen, erschreckenden Gesellschaftsbilds fragen, würde ich ihm sofort die Bestellnummer für dieses Steelbook aufschreiben. Dieser Film wird einen mit Sicherheit noch mehrere Wochen später beschäftigen!
- Redakteur:
- Björn Backes