Lagaan - Es war einmal in Indien ( 2 DVD Special Edition)
- Regie:
- Gowariker, Ashutosh
- Jahr:
- 2001
- Genre:
- Drama
- Land:
- Indien
- Originaltitel:
- Lagaan - Once upon a Time in India
1 Review(s)
02.03.2010 | 14:25Die Filmindustrie Indiens befindet sich seit Mitte der Neunziger stetig im Aufwind. Die oft quitschbunt präsentierte Mischung aus kitschig-seichten Stories gepaart mit viel Schmalz und Musical- bzw. Tanz-Einlagen hat mittlerweile sogar ein eigenes Genre mit treuen (meist weiblichen) Fans - auch im Westen. 2001, noch vor der großen "Bollywood"-Welle, machte ein Vertreter dessen durch eine OSCAR ® Nominierung und 144 weitere Filmpreise international auf sich aufmerksam: "Lagaan - Es war einmal in Indien". Auf DVD erschien er erstmals 2003 im Vertrieb der |Tristar/Columbia| - allerdings nur mit Hindi-Tonspur. Seit Oktober 2009 wird dieser erfolgreiche Streifen - einer der größten Bollywood-Wegbereiter innerhalb des Mainstreams - auch als deutsch synchronisierte 2 DVD Special Edition vom Label |Rapid Eye Movies| im Schmuckschuber inklusive Poster angeboten.
Zur Story
Es ist das Jahr 1893. Die britische Kolonialmacht bedient sich skrupelloser Methoden, um die Versorgung der Truppen aufrecht und das indische Volk klein zu halten. Man treibt bei den örtlichen Radjas eine Zwangsabgabe (indisch: "Lagaan") in Form eines Anteils der Felderträge ein, der wiederum den Bauern abgepresst wird. Man verspricht den Radjas dafür jeweils militärischen Beistand gegenüber den jeweiligen Nachbar-Fürstentümern. Die stehen aber ebenfalls allesamt vollkommen unter der Knute des Empire und können sich nicht mucken, selbst wenn sie wollten. Das System ist also durchaus vergleichbar mit den heutigen Schutzgelderpressungen der Mafia - und es funktioniert bestens. Jedenfalls für die Besatzer.
Bis in der zentralindischen Provinz Champaner der Regen ausbleibt und die Ernten immer karger werden. Die Bauern haben grad einmal genug, um soeben über die Runden zu kommen. Immerhin wurde die Abgabe daraufhin gekürzt, dieses Mal wollen die Briten aber wieder ihren Anteil. Der Radja verweist auf die Dürre und bittet um erneute Stundung. Der selbstherrliche Leiter des Militärpostens Captain Russell gefällt das Spiel mit der Notlage und er versucht es mit einer Nötigung. Als der Radja sich dagegen als resistent erweist, wird der Lagaan auf das Doppelte erhöht. Das ruft die Bauern aus den umliegenden Dörfern auf den Plan, welche um eine Audienz bei ihrem Fürsten ersuchen, um ihm ihre prekäre Lage noch einmal eindringlich zu schildern. Darunter auch der trotzköpfige und eigenwillige Bhuvan.
Der geriet kürzlich mit Russell schon einmal aneinander. Nun provoziert dieser ihn soweit, dass er - im Namen aller Dorfgemeinschaften des Destrikts - in einen irren Deal einwilligt. Besiegt eine Auswahl der Bauern ein britisches Team beim Cricket, wird der Lagaan für drei Jahre in der gesamten Provinz ausgesetzt - wenn nicht ist der dreifache Satz der verhassten Zwangsabgabe per sofort fällig. Für die arme, ohnehin schon arg dürregeschädigte Landbevölkerung akut Existenz bedrohend. Zudem sind die Dörfler mit den Regeln nicht vertraut, wiewohl es mit "Gilli-Danda" ein recht ähnliches Spiel in Indien gibt. Es nutzt alles nichts. Bhuvan muss 11 Spieler zusammentrommeln und innerhalb von 30 Tagen auf das Match ihres Lebens vorbereiten. Unerwartete Hilfe erfahren die Inder von Russells Schwester, die mit den menschenverachtenden Methoden ihres Bruders alles andere als einverstanden ist.
Eindrücke
Offenbar hat Aamir Khan mit seinen Engagements bei vorherigen Filmen des Genres so viel Cash auf die Seite legen können, dass sich ihm hier der Luxus eröffnete nicht nur der Produzent dieses Fast-4-Stunden-Marathons zu sein, sondern sich selbst auch gleich als Hauptdarsteller zu casten. Selbstredend hatte er sowohl bei Story und Drehbuch von Ashutosh Gowariker (den er zudem prompt in den Regiestuhl setzte), als auch beim Rest des Ensembles das letzte Wort. Seine Wahl war in jeder Hinsicht gut und die Inszenierung gelang außerordentlich stimmig wie stimmungsvoll. Khan gilt spätestens seit diesen Tagen endgültig als einer der größten Megastars Indiens. "Lagaan" war und ist ein Aushängeschild für Bollywood und schafft es sogar Nicht-Bollyschewisten so zu unterhalten, dass man sich nicht in Grausen vom Bildschirm abwendet und aufgrund einer typisch zuckersüßen Geschichte Hirn-Karies oder ähnlich tückische Gesundheitsgefährdungen fürchten muss.
Der Plot von "Lagaan" orientiert sich in weiten Teilen an der seligen Achtzigerjahre-Komödie "Die Indianer von Cleveland" - nur dass die "Indians" hier wirklich Inder sind und nicht aus Cleveland stammen. Selbst die Nähe zur Thematik Baseball/Cricket passt ins Bild. Natürlich sollte man sich schon mental darauf vorbereiten, dass in einer Bollywoodproduktion so manche Konstanten quasi als unumstößliche Naturgesetze fest verankert sind: Linearer und oft ziemlich überzogen-realitätsferner Handlungsablauf, stereotype Figuren in umso farbenprächtigeren Kostümen und viel (hier: folkloristischer) Tanz sowie ebensolcher Gesang. Ach ja. Pathos wird meist auch mit der ganz großen Suppenkelle kredenzt und mit einer Portion Kitsch verfeinert. Dass das übliche Strickmuster nach wenigen Ups, dafür aber tiefer Downs, fast automatisch ein Happy End nach einem großen Showdown beinhaltet, dürfte niemanden ernsthaft verwundern.
Das biblische David-gegen-Goliath-Prinzip funktioniert somit nachweislich auch ganz prächtig in anderen Kulturkreisen. Bei aller Vorhersehbarkeit überzeugt "Lagaan" allerdings mit einer gelungenen Mischung aus historischem Fakt mit fiktiver Heldengeschichte und durch die fleißige Arbeit vor sowie hinter der Kamera. Die hochnäsigen Briten wurden recht treffend portraitiert, die mittellosen Dorfbewohner jedoch erscheinen optisch alle viel zu gepflegt und haben trotz bedrohlicher Ertragslage noch genug Zeit für Müßiggang: Bhuvan stellt den lieben langen Tag seiner Geliebten Gauri nach (und seine gut trainierten Brustmuskeln zur Schau) und ärgert den verhassten, britischen Captain bei der Jagd wie weiland Robin Hood den Sheriff von Nottingham. Der lupenreine Gutmensch rebelliert zudem - moralisch einwandfrei - noch gegen das ungerechte Kastensystem indem er sich bei seiner Mannschaftsaufstellung demonstrativ darüber hinweg setzt.
Tanz und Gesang steht bei der Landbevölkerung wohl auch ganz hoch im Kurs. Dabei muss man festhalten, dass diese Massentanzszenen sowohl sauber choreographiert sind, als auch die Lieder selbst melodiös-schmissig klingen. Im Vergleich zu anderen Bollywoodstreifen ist ihre Zahl zudem vergleichsweise gering. Die (sinnigen) Texte dazu kann man sich übrigens via Untertitelmenü einblenden lassen - sie passen durchaus zur Handlung und sind gar nicht einmal so kitschig, wie man vielleicht vermuten mag. Das Gleiche gilt für die Dialoge. Klar, "Lagaan" ist pathetisch und über weite Strecken mehr als over the top, die Zeilen, welche Ashutosh Gowariker seinen Figuren in den Mund legt, überschreiten die Schmerzgrenze für Schmalz im Gehörgang aber nie ernsthaft. Apropos ernst: Comical relief ist ebenfalls Pflicht-Stilelement in Bollywood. Was nicht heißt, dass dies unbedingt auch immer dem westlichen Verständnis von gelungenem Humor entspricht.
DVDs und Bonusmaterial
Bild und Ton sind exzellent. Die schiere Lauflänge von über dreieinhalb Stunden macht es nötig den Hauptfilm auf zwei Medien zu verteilen, daher relativiert sich das mit der "2-Disk Special Edition" etwas. Bonusmaterial ist nicht sonderlich viel enthalten und beschränkt sich hauptsächlich auf eine Reihe Deleted Scenes, welche vollkommen zurecht dem Cuttter zum Opfer fielen - sie hätten den ohnehin schon langen Film nur noch weiter unnötig aufgebläht. Der Rest ist Promo-Krimskrams, den niemand wirklich braucht. Das beigelegte (Mini-)Poster ist allenfalls für Fans ein kleines Bonbon. Ein Audiokommentar wäre sinnvoller und wünschenswerter gewesen.
Als angenehm ist die Kapitelisierung der DVDs, bei der die Songs als solche gekennzeichnet sind, hervorzuheben. Wehrmutstropfen sind die Untertitel, will man die Songtexte mitlesen, muss man die Untertitel generell anschalten, was zuweilen nervt, da es ablenkt. Auf der anderen Seite kompensieren wenig anglophone Naturen damit auch eine weitere Besonderheit: Die Briten sprechen tatsächlich konsequent untereinander Englisch und Hindi nur mit den Indern - man hat passenderweise nur die Dialoge von Hindi ins Deutsche übersetzt und die Engländer im O-Ton belassen. Das trägt viel zur authentischen Atmosphäre des einander Nichtverstehens bei.
Fazit
Vorurteilsfrei betrachtet hat der Film die damalige Nominierung und seine gewonnenen Preise verdient. Handwerklich ist ihm nichts anzulasten und unterhaltsam ist der zeitlose Plot mit realhistorischem Hintergrund allemal umgesetzt - wenn auch stellenweise einen Tacken zu langatmig. Der Titelzusatz "Es war einmal…" ist Programm. Sieht man "Lagaan" nämlich als ein Märchen, stößt man sich gar nicht mehr so sehr daran, dass alles eine Spur zu überzeichnet ist. Bollywood eben. Und: Musical-Einlagen können durchaus ihren Reiz haben, anderenfalls hätten beispielsweise "Mary Poppins", "Blues Brothers" & Co. auch nie so erfolgreich werden können. Die neue 2009er DVD-Ausgabe ist zwar etwas mager an Bonusmaterial und verdient die Bezeichnung "Special Edition" in diesem Punkt nicht, öffnet aber diesen Meilenstein, (auch) dank ausgezeichneter Synchronisation, endlich für ein breiteres Publikum, welches bislang - trotz seines guten Leumunds - nicht Willens war, sich auf den Film in Hindi/OmU einzulassen.
Die DVD-Daten auf einen Blick:
OT: "Lagaan - Once upon a time in India"
Indien 2001
Genre: Bollywood
Laufzeit: ca. 214 Min.
2 DVD Special Edition, FSK: 12
EAN: 8717418229351
Label: Rapid Eye Movies, Oktober 2009
Bildformat: 16:9 (2,35 : 1)
Soundformat: DD 5.1 Surround (Deutsch/Hindi)
Bonus: Deleted Scenes, Trailer, Promo-Material, Poster
Produktion: Aamir Khan Productions
Story, Drehbuch und Regie: Ashutosh Gowariker
Kamera: Anil Mehta
Musik: A.R. Rahman
Darsteller u.a.: Aamir Khan (Bhuvan), Gracy Singh (Gauri), Paul Blackthorne (Captain Russell), Rachel Shelley (Elizabeth Russell), Rajesh Vivek (Guran), RaghuvirYadav (Bhura), Shri Vallabh Vyas ("Onkel" Ishwar), Rajendranath Zutshi (Ismail), Daya Shankar Pandey (Goli)
- Redakteur:
- Jürgen Pern