Machuca, mein Freund
- Regie:
- Andrés Wood
- Jahr:
- 2004
- Genre:
- Drama
- Land:
- Chile
- Originaltitel:
- Machuca
2 Review(s)
27.11.2007 | 05:59Als ich etwas im Internet herumgstöberte, hat "Machuca, mein Freund" sofort mein Interesse geweckt, denn der Film wurde als Oscarkandidat für das für seine Filmwirtschaft eher unbekannte Chile eingereicht. Grund genug also, um diesen Film einmal etwas näher zu beleuchten. Doch man sollte sich, um den Film völlig zu verstehen, schon etwas in der Geschichte des Landes auskennen. Daher hier zuerst eine kurze Einführung.
Geschichtlicher Hintergrund Chiles zur Zeit der Filmhandlung:
Ich beginne am besten im Jahre 1964, in dem Eduardo Frei Montalva als Kandidat der Christdemokratischen Partei die Wahl zum Präsidenten gewann (man sagt, dass die USA eine bedeutende Rolle beim Wahlsieg gespielt haben sollen). Unter diesem Präsidenten wurden viele Sozialreformen in Angriff genommen, wobei es immer wieder zu großen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Armen und den Reichen kam - schließlich sollten die Armen, meist Indios, mehr Rechte und eine Gleichbehandlung gegenüber den reicheren Weißen erfahren. Schließlich verteilte er auch den Großgrundbesitz mittels einer Landreform an Bauerngenossenschaften.
1969 gab es ein linkes Bündnis namens Unidad Popular, in dem sich alle linksgerichteten Parteien zusammenschlossen. Unter anderen auch die Linkschristliche Partei und natürlich auch marxistische Gruppierungen. Sie wollten eine Verstaatlichung der Industrie und die Enteignung der Großgrundbesitzer. 1970 gewann dieses Bündnis die Wahl und Salvator Allende wurde zum Missfallen der reichen Weißen (und der USA) zum Präsidenten gewählt. Doch diese Minderheitsregierung geriet im Laufe der Zeit in immer heftiger werdende Streitereien mit der Opposition. Auch die USA wollten kein zweites Kuba vor der eigenen Haustüre haben.
Jetzt zu den herrschenden Verhältnissen im Film. Im März 1973 konnte die Unidad Popular unter der Führung von Allende ihre Führung nochmals ausbauen, verfehlte jedoch die angestrebte absolute Mehrheit. Während dieser Zeit brodelte es in ganz Chile und Demonstrationen sowohl der linken als auch der rechten Gruppierungen waren an der Tagesordnung (auch im Film schön zu beobachten). Im August 1973 entzog das Parlament der Regierung das Vertrauen - wegen angeblich missbräuchlicher Amtsausübung. Dies rief dann im September 1973 Augusto Pinochet auf den Plan. Er versuchte einen Militärputsch, der ihm auch gelang. Daraufhin soll dann Präsident Allende in seinem Präsidentenpalast Selbstmord begangen haben.
Als Folge der gewaltsamen Machtübernahme durch Pinochet wurden vom Militär die Oppositionellen und deren Sympathisanten in konzentrationslagerähnlichen Komplexen untergebracht. In dieser Zeit gab es viele Tote und viele unschuldige Menschen wurden inhaftiert. Der Film zeigt die Zeit kurz vor und nach dem Militärputsch aus der Sicht des aus besseren Kreisen stammenden Gonzalo Infante (Matías Quer).
Die Handlung:
Wie schon gesagt, es ist sehr hilfreich, die politischen Verhältnisse zu kennen, welche damals in Chile herrschten - das erhöht die Bewertung des Films um ein Vielfaches.
Santiago de Chile im Jahre 1973. Die Regierung steht kurz vor dem Putsch gegen Salvador Allende. Überall in der Stadt finden Demonstrationen statt. Der Junge Gonzalo Infante (Matías Quer) aus der sozialen Oberschicht des Landes geht in die Privatschule St. Patrick, welche bisher auch nur für solche privilegierte Schüler zugänglich war. Durch die Reformbemühungen der herrschenden Linken Partei Allentes werden aber nun auch Kinder aus den Armenvierteln in dieser Schule aufgenommen. Treibende Kraft für diese Reformen an dieser Schule ist Pater McEnroe (Ernesto Malbrán), der sozial engagierte Schulleiter von St. Patrick.
Pedro Machuca (Ariel Mateluna) ist so ein aus sozial schwachen Verhältnissen stammendes Kind und wird zunächst von allen mit Argwohn und Feindseligkeit aufgenommen. Die Vorurteile gegen die "Kaffern" (Originalausdruck aus dem Film - wohl wegen der dunkleren Hautfarbe der Indios) sind nicht so schnell aus der Welt zu schaffen. Doch langsam erkennt der reiche Gonzalo, dass diese Jungen im Prinzip auch nicht anders als andere Mitschüler sind und freundet sich schließlich mit Machuca an. Durch diese Freundschaft erhält der reiche Junge aus besserem Zuhause zum ersten Mal in seinem Leben einen erschütternden Einblick in das Leben der Armen Bevölkerung.
Aber auch Machuca sieht, dass bei den Reichen nicht alles Gold ist, was glänzt. Nichts scheint ihre Freundschaft gefährden zu können - doch als sich die politische Lage zusehends zuspitzt, bilden sich schnell wieder die alten, längst vergessen geglaubten Vorurteile und die Freundschaft wird auf eine harte Probe gestellt.
Dann kommt der Putsch ...
Kritik:
Was hatte ich erwartet? Nun, nach den vielen positiven Bewertungen und den gelesenen Kritiken hatte ich einen Film im Stil von "City of God" erwartet. Doch "Machuca, mein Freund" war zu meiner Überraschung komplett anders. In diesem chilenischen Oscarkandidaten wird sehr einfühlsam die persönliche Geschichte zweier Jungen erzählt, die aus grundverschiedenen sozialen Schichten stammen. Diese ruhig erzählte Geschichte findet vor dem realen geschichtlichen Hintergrund der frühen 70er Jahre in Chile statt. Es geht im Prinzip um Vorurteile und darum, wie tief diese im Unterbewusstsein verwurzelt sein können. Eben ein sozialkritischer Film, der auch heute nicht an Brisanz verloren hat.
Um die für diesen Film richtige (trostlose 70er Jahre) Atmosphäre zu erzeugen, greift Regisseur Andrés Wood auf blasse Farben und ein leicht grieseliges Bild zurück. Die Handlung wird langsam und persönlich nachvollziehbar weitergebracht, sodass keine Verständnislücken auftreten können. Langweilig wurde es mir trotzdem zu keiner Zeit - die Spannung wird aber auch nicht unbedingt auf die Spitze getrieben.
Die Schauspieler machen ihre Sache auch ganz gut – zweckmäßig, ohne nennenswerte Fehler zu begehen. Mehr kann man dazu nicht sagen. Ein ruhiger, unauffälliger Film, der lehrreich ist und zusätzlich auch noch sehr gut unterhält. Was will man mehr?
Als einzigen Kritikpunkt möchte ich jedoch angeben, dass weiterführende Informationen zur politischen Situation in Chile die Aufgabe des Bonusmaterials gewesen wäre. Ein paar Texttafeln hätten da Wunder wirken können. So muss der Zuschauer vorher im Internet seine Wissenslücken in aktueller chilenischer Geschichte selbst auffüllen, was aber vielleicht nach dem Lesen dieses Reviews erledigt sein dürfte.
Die DVD:
Schön, dass sich in Deutschland ein Label für die Veröffentlichung dieses kleinen aber wichtigen Films gefunden hat. Sunfilm hat diesen Film in gewohnt guter Qualität auf den Markt gebracht. Das Bild zu beurteilen, fällt aber nicht so leicht, da zur Darstellung des 70er Jahre Flairs wohl einige Filter zu Einsatz gekommen sind. So schreibe ich das leichte Bildgrieseln und die blassen Farben der künstlerischen Freiheit des Regisseurs zu.
Der Ton in Deutsch (Dolby Digital 2.0 und 5.1) und Spanisch (Dolby Digital 2.0 und 5.1) hingegen bietet nur durchschnittliche Kost, ist aber gut verständlich.
Die spärlichen Extras hätten ruhig etwas mehr Infos zur Geschichte enthalten können - so musste ich mich vorher im Internet etwas schlauer machen, um die Handlung richtig verstehen zu können:
- Making-of
- Interview mit Regisseur Andrés Wood
- Bio- und Filmographie von Andrés Wood
- Trailer in Deutsch/Spanisch
- Trailershow zu weiteren Titeln von Sunfilm
Fazit:
Weltgeschichte, erzählt aus der Sicht zweier kleiner Jungen - das ist "Machuca, mein Freund". Dabei maßt sich der Film keinerlei Wertung der politischen Geschehnisse an und bleibt zumindest auf politischer Seite eher neutral. Es bleibt bei den tatsächlichen Ereignissen - der Zuschauer muss selbst entscheiden, wie er zu den Ereignissen steht.
Diese Geschichte von zwei unterschiedlichen Welten, die aufeinandertreffen, wird sehr unterhaltsam erzählt und kann nicht zuletzt durch das authentischen 70er-Jahre-Flair vollkommen überzeugen.
Als Kritikpunkt muss ich jedoch angeben, dass eine Vorkenntnis der damaligen politischen Ereignisse in Chile dringend erforderlich ist - sonst kann man den Überblick über die vielen Demonstrationen und die daraus resultierenden Ereignisse schon einmal verlieren. Die heutigen Zuschauer dürften nicht viel davon mitbekommen haben (alle über 35 natürlich schon).
Ich empfehle diesen Film allen, die auf ernstes Erzähl- und Arthousekino mit einer gehörigen Portion Lerneffekt stehen. Ich fühlte mich perfekt unterhalten.
- Redakteur:
- Detlev Ross
Gonzalo lebt in einem noblen Viertel in Santiago und geht auf eine englische Jungenschule. Als er eines Tages Pedro Machuca begegnet, lernt er eine neue Welt kennen. Draußen am Stadtrand stehen Hütten aus Wellbleck und Sperrholz. Das ist Pedros Zuhause. Gemeinsam erleben die beiden Freunde in Chile das Jahr 1973, ein Jahr des Umbruchs.
Als Gonzalo in den Lieferwagen steigt, fühlt er sich ein wenig unwohl. Pedro hat ihm angeboten, dass sein Onkel ihn nach Hause bringt. Die beiden Schulfreunde steigen ein und quetschen sich auf den Vordersitz. Als Gonzalo sagt, wo er abgesetzt werden möchte, pfeift Pedros Onkel laut durch die Zähne. "Der junge Herr lebt in einem noblen Viertel, alle Achtung!"
Mit auf dem Vordersitz hockt Silvana, Pedros um einige Jahre ältere Cousine. Sie neckt den feinen Neuankömmling, den reichen Jungen in der Schuluniform, nennt ihn »Affe« und »Erdbeergesicht«. Gonzalo bleibt still. Er will sich seine Gefühle nicht anmerken lassen. Er möchte sein Unbehagen nicht zeigen, auch nicht seine Neugier und nicht, dass ihm die hübsche Silvana gefällt. Noch kommt Gonzalo allerdings nicht nach Hause. Zuerst geht es auf eine Demonstration. Davon finden zurzeit viele auf den Straßen von Santiago de Chile statt.
Es herrscht Unruhe im Land. Salvador Allende ist zum neuen Staatspräsidenten gewählt worden. Er ist ein sozialistischer Reformer und sucht die politische Nähe zu Fidel Castro. Die Verstaatlichung der Banken und die radikale Agrarreform rufen die Reaktionäre des Landes auf den Plan. Kalter Krieg hautnah. Gonzalo, Pedro und Silvana erleben die Auseinandersetzung schlicht als Streit der »Roten« gegen die »Schwarzen«.
Am Rande der Demonstration hält der Lieferwagen. Pedro, sein Onkel und seine Cousine steigen aus, greifen sich Fähnchen und Zigaretten und stürzen sich in die Menge. Zuerst verkaufen sie an die »schwarzen«, dann an die »roten« Demonstranten. Zwischendurch darf man das Wechseln der Fähnchen nicht vergessen, sonst gibt es Ärger. Geld verdienen ist angesagt, und Gonzalo hilft seinen neuen Freunden dabei.
Trotz der unterschiedlichen Welten, in denen Gonzalo und Pedro leben, kommen sie sich langsam näher. Sie prügeln sich auf dem Schulhof, lesen Comics und trinken gemeinsam zum ersten Mal Alkohol. Regisseur Andrés Wood richtet sein Interesse nicht auf den großen politischen Rahmen, der in den Geschichtsbüchern zu finden ist. Es geht ihm nicht um das Schicksal Chiles. Stattdessen zeigt er, wie sich der arme und der reiche Junge kennen lernen und wie schwierig sich ihre Freundschaft durch die äußeren Verhältnisse gestaltet. Woods Aufmerksamkeit gilt dem Individuum.
Die Erzählperspektive erklärt sich durch den Standpunkt. Was den beiden Figuren Gonzalo und Pedro im Film nicht gelingt - ihre Freundschaft zu bewahren, sich nicht für eine von zwei Seiten zu entscheiden, sondern einen dritten Weg zu wählen -, meistert dafür Regisseur Andrés Wood. Sein Film wimmelt nur so von kleinen, persönlichen und gefühlvollen Szenen. Er sucht seinen Standpunkt jenseits der politischen Ideologien und findet ihn beim einzelnen Menschen. »Machuca, mein Freund« ist ein intelligenter Film, der seine Charaktere ernst nimmt und sie zugleich in ein kritisches Licht rückt.
Das Ende von Gonzalos und Pedros Freundschaft ist zugleich das Ende der Unruhen in Chile. Am 11. September 1973 putscht die Armee unter General Pinochet und errichtet eine Militärregierung. Beim Sturm auf den Regierungspalast wird Salvador Allende getötet. Als Gonzalo kurze Zeit später mit seinem Fahrrad zum Stadtrand fährt, blickt er ins Nichts: Die Barracken, in denen Pedro und Silvana gelebt haben, sind verschwunden. Das Militär war da. Was bleibt, ist ein Gefühl wie ein Loch. Als hätte man die Chance verpasst, mutig zu sein. Als hätte man einen Freund verloren.
- Redakteur:
- Christopher Bünte