Parfum, Das - Die Geschichte eines Mörders
- Regie:
- Tom Tykwer
- Jahr:
- 2006
- Genre:
- Drama
- Land:
- Deutschland / Frankreich / Spanien
- Originaltitel:
- Le Parfum - Histoire d'un meurtrier
1 Review(s)
27.02.2007 | 11:12Die Kopfnote eines kriminellen Filmparfums
Die Suche nach der Essenz der Liebe treibt den Parfumeur Grenouille dazu, die schönsten Frauen in der Metropole der Parfümindustrie, in Grasse, zu töten, um ihren Duft zu gewinnen. Doch die schönste der Damen wird ihm von einem besorgten Vater vorenthalten. Aber wie lange noch?
Filminfos
O-Titel: Das Parfum - Die Geschichte eines Mörders (D 2006)
Dt. Verleih: Constantin
FSK: ab 12
Länge: ca. 142 Min.
Regisseur: Tom Tykwer
Produzenten: Bernd Eichinger, Gigi Oeri, 6 ausführende Produzenten
Drehbuch: Andrew Birkin, Bernd Eichinger, Tom Tykwer, [kein Credit: Caroline Thompson]
Musik: Reinhold Heil, Johnny Klimek, Tom Tykwer
Kamera: Frank Griebe
Schnitt: Alexander Berner
Darsteller: Ben Whishaw (Grenouille), Dustin Hoffman (Giuseppe Baldini), Alan Rickman (Antoine Richis), Rachel Hurd-Wood (Laura Richis), Karoline Herfurth (Mirabellenverkäuferin), Corinna Harfouch (Madame Arnulfi), Jessica Schwarz (Natalie), Birgit Minichmayr (Grenouilles Mutter) u. a.
Handlung
Unter menschenunwürdigen Bedingungen kommt Jean-Baptiste Grenouille (Ben Whishaw) im Jahre 1738 auf einem Fischmarkt in Paris zur Welt. Ein außergewöhnliches Kind: ein Mensch ohne eigenen Geruch, aber versehen mit der sensibelsten Nase der Welt. Nach harten Lehrjahren lernt Grenouille den einst berühmten, aber inzwischen aus der Mode gekommenen Parfumeur Baldini (Dustin Hoffman) kennen. Schnell übertrifft das Naturtalent seinen Meister in der Kunst des Duftmischens.
Doch es gelingt ihm nicht, die Essenz eines Menschen einzufangen. Ein erster Annäherungsversuch an eine rothaarige Mirabellenverkäuferin verläuft fatal. Sein Lehrmeister schickt ihn nach Grasse, die Hauptstadt der Parfumkunst. Beseelt von dem Gedanken, menschliches Aroma zu konservieren und damit den vollkommensten aller Düfte zu kreieren, ermordet er zahlreiche junge Mädchen, vergeht sich aber nie an ihnen.
Doch das vollkommenste aller weiblichen Geschöpfe ist Laura, die rothaarige Tochter des Kaufmanns Richis (Alan Rickman). Ihre Essenz wäre der krönende Höhepunkt seiner neuesten Duftkomposition. Lauras Vater ahnt allerdings, dass Laura, nach dem Tod seiner Gattin sein Ein und Alles, in Lebensgefahr schwebt. Er ergreift in aller Eile Vorsichtsmaßnahmen gegen den Zugriff des landesweit gesuchten Frauenmörders.
Doch was können Mensch und Natur gegen einen Mann unternehmen, den man nicht riechen und kaum hören kann? Lauras Schicksal scheint besiegelt ...
Mein Eindruck
Grenouilles Geschichte ist die eines Süchtigen und eines Vampirs. Süchtig ist er nach dem, was er all sein Leben lang entbehren musste: Liebe. Sogar seine Mutter wollte ihn gleich nach der Geburt krepieren lassen (und wurde dafür gehängt.) Die Sucht nach dem weiblichen Urduft, der für ihn mit der Mutterliebe verbunden ist, treibt ihn dazu, Grenzen zu überschreiten und Frauen nicht als selbständige Wesen zu betrachten, sondern als entbehrliche Trägerinnen jener Essenz, die er so dringend benötigt.
Er will nicht etwa das neueste modische Parfum kreieren, sondern jenes Parfum, von dem sein Lehrmeister Baldini ihm in einer Legende vorgeschwärmt hat: den Duft mit dem Geheimnis der 13. Zutat. Das ultimative Parfum, das nicht nur Frauen verkörpert, sondern die Liebe an sich. Seine Experimente führen zum künstlerischen Erfolg - und zu einer Mordserie. Dass das eine nicht ohne das andere zu erringen ist, hat ihm eine käufliche Frau schnell und deutlich klargemacht. Wie ein männlicher Vampir seinen - meist weiblichen - Opfern den Lebenssaft abzapft, so "erntet" Grenouille ihre Duftessenz.
Die Spannung steigt, je rarer das gesuchte Wild wird. Erst wird eine Ausgangssperre verhängt, so dass sogar Nonnen Grenouilles Opfer werden. Kaum hat sich ein anderer Kerl der Taten schuldig bekannt, feiert das Volk von Grasse wild in den Straßen - eine gute Gelegenheit, erneut zuzuschlagen. Denn die Krönung in der Sammlung des perfekten Parfumeurs fehlt noch: die schwer zu erringende Laura Richis. Immer höher werden die aufgetürmten Hindernisse zwischen Grenouille und seiner scheuen Beute, und immer härter muss der Jäger bei seiner Jagd arbeiten, um sie zu erringen.
Was er denn nun eigentlich vom exklusivsten - und an Lebenssaft teuersten - Parfum der Welt hat, zeigt sich erst in der Stunde seiner Hinrichtung. Alle Vorurteile der Zuschauer, die auf Hass und Rache ausgerichtet sind, verkehren sich aufgrund des überwältigenden Parfums in ihr Gegenteil. Die Liebe triumphiert, wird sogar für göttlich gehalten. Der größte Triumph für den Parfumeur ist die Liebeserklärung von Richis: "Mein Sohn."
Aber das reicht natürlich nicht - wie auch? Wie eine tönerne Schelle, um mit Salomo zu sprechen, ist Grenouilles Herz, denn er entbehrt die Essenz des Lebens selbst: die Liebe. Zwar ist er jetzt von einem Nobody ohne Eigengeruch zu einem König der Welt geworden, doch das kann nicht alles sein, oder? Die Liebe bleibt nur ein Traum, und nur dies bleibt auch von Grenouille.
Dass diese Geschichte nur eine Parabel sein kann, macht der Erzähler - Süskind wie auch der treu folgende Tykwer - dadurch deutlich, dass er jedem Triumph Grenouilles einen Todesfall folgen lässt. Mag der Tod auch manchmal verdient sein, so erscheint doch die Regelmäßigkeit, mit der er eintritt, märchenhaft und wie der Kommentar eines Allmächtigen. Baldini hat Grenouille ausgebildet? Prima, weg mit dem Kerl! Die Ironie ist überdeutlich aufgetragen, und wer die Geschichte allzu ernst nimmt, ist deshalb selbst schuld.
~ Filmqualität ~
Alles an diesem Film ist vom Feinsten, denn es wurden keine Kosten gescheut. Dass dieses Rezept nicht immer aufgehen muss, hat unter anderem "Unterwegs nach Cold Mountain" demonstriert - null Oscars. Aber mit Freude und Erleichterung durfte ich feststellen, dass sich diesmal ein homogenes Ganzes ergibt, das wirklich Lust am Kino erweckt. Nicht nur die Darsteller - allen voran Wishaw, aber auch Rickman und Hoffman - sind glaubhaft, sondern auch die wundervolle Musik, die absolut perfekt zu den schwelgerischen Bildern passt.
Von den weiblichen Nackten bin ich allerdings wenig angetan - keine erfüllt meine Vorstellung des Ideals. Über die Frage, ob eine junge Frau in einem Kostümfilm ebenfalls Playmate-Maße haben sollte, lässt sich bekanntlich trefflich streiten. Vielleicht hat Tykwer genau aus genau diesem Grund keine Playmates in seinem Film auftreten lassen - sie sind einfach zu klischeehaft, um noch glaubwürdig wirken zu können. Diese blonden Busenbimbos* haben ihre Spielwiese nur noch in Horrorsatiren wie "Scary Movie".
~ Das Unsichtbare ~
Das Parfum - natürlich stellt sich bei diesem Thema eine zentrale Frage, wenn es noch keinen Duftautomaten gibt: Wie stellt man etwas Unsichtbares im Bild dar? Viele Regisseure haben es vorgemacht, und auch Tykwer fielen einige Kniffe ein, wie das geht: ein schwebendes Taschentuch, eine Woge des Lichts und der Musik, immer wieder der Whiteout des Bildes als Metapher für einen olfaktorischen Orgasmus.
Manchmal streifen diese Stilmittel die Grenze zum Kitsch, so etwa in der unsäglichen Szene, als Baldini zum ersten Mal ein Parfum schnuppert: Die Kamera entführt ihn in einem 360°-Schwenk in seine Jugend, und aus dem Blütengarten taucht seine junge Frau auf, die ihm "Ti amo" ins Ohr flüstert ... Doch innerhalb der Geschichte funktionieren diese Stilmittel noch - außerhalb hätten sie keine Existenzberechtigung, wie man an dieser Blütenszene ablesen kann.
Sobald der Effekt eines Duftes mit göttlicher Liebe assoziiert wird, muss der Rahmen stimmen, in dem dies erfolgt. Grenouille wird für einen Engel gehalten, und die Assoziation zu einer Heilandsfigur liegt äußerst nahe. Dass auf dem Zentralplatz von Grasse deshalb eine Liebesorgie in Gang gesetzt wird, wirkt wie die Utopie des christlichen Glaubens à la Pfingsten: Alle Menschen werden Brüder - yeah, baby, und Schwestern ebenfalls! Denn alle sind vom "heiligen Geist" erfüllt.
Doch sobald der Zauber verfliegt, ist das alles nur noch peinlich. Darum darf auch Grenouille, das neueste Kinomonster, nicht lange überleben: Der Spuk verblasst, die Lichter im Saal gehen wieder an, die Erde hat uns wieder. Aber davor war's doch ganz nett.
Unterm Strich
Ich würde am liebsten "Das Parfum" immer wieder sehen, denn selten kann man so schön im Unsichtbaren schwelgen wie hier: nicht nur die Musik ist per definitionem unsichtbar - und mit das Beste am Film -, sondern auch der thematische Kern, die "Herznote": der Duft der Liebe. Aber sobald die "Kopfnote" der ersten Begeisterung verblasst ist, muss jeder Zuschauer selber wieder schauen, wie er und sie an die Essenz der Liebe herankommt. Die meisten müssen sich mit ihrem Abglanz begnügen. Vielleicht in der Parfümerie?
Wissenwertes
1) Schätzungen zufolge lag das Budget bei 50 Mio. Euro, das sind laut IMDb rund 65,8 Mio. Dollar. Somit Ist "Das Parfum" der teuerste deutsche Film aller Zeiten.
2) Ridley Scott war mit dem Filmprojekt schon Jahre lang verbunden, bevor endlich die Produktion begann. Auch Tim Burton, Martin Scorsese und Milos Forman waren als Regisseur des Films im Gespräch.
3) Bernd Eichinger wollte den Film schon seit Jahren machen, aber Patrick Süskind weigerte sich, die Filmrechte zu verkaufen. Das tat er erst anno 2001 und erhielt annähernd zehn Mio. Euro dafür.
4) Süskind schrieb über seine Erfahrungen mit Eichinger das Drehbuch zu der erfolgreichen Filmsatire "Rossini" (1997). Er tritt als der wunderliche Autor Jakob Windisch auf, Eichinger in der Figur des Oskar Reiter. Aus dem Buch, um das sich alle schlagen, nämlich "Das Parfum", wurde ein Roman über die Lorelei-Legende. ("Ich weiß nicht, was soll es bedeuten" usw.) Andere Figuren in dem Film sind Karikaturen zu Personen des Münchner Filmgeschäfts.
Pannen:
1) Continuity-Fehler: In der Szene, die Baldini einführt, steckt sein Assistant Chenier Kerzen in einen Halter und zündet sie nicht an. Einen Moment später sind die Kerzen entzündet und bis auf Stumpen heruntergebrannt.
2) Sachfehler: In der Szene, als Grenouille in die Mitte des Platzes geht und sein Parfumfläschchen herausnimmt, kommt es zu einer Massenentkleidungsszene. In der Mitte der Menge ist jedoch im Hintergrund eine teilweise bekleidete Frau zu sehen, die einen G-String trägt - ein für das 18. Jahrhundert recht ungewöhnliches Kleidungsstück.
*: diese blonden Verschnitte aus Miss America und Barbie werden in der amerikanischen Umgangssprache tatsächlich als "bimbos" abqualifiziert. Was sie in der Bluse haben, fehlt ihnen im Kopf.
- Redakteur:
- Michael Matzer