Precious
- Regie:
- Daniels, Lee
- Jahr:
- 2009
- Genre:
- Drama
- Land:
- USA
1 Review(s)
28.04.2010 | 22:01Als Produzent konnte Lee Daniels („Shadowboxer“) bereits große Erfolge feiern, wobei selbstredend vor allem das phänomenale Südstaaten-Drama „Monster´s Ball“ (2001) unter der Regie von Marc Forster („Ein Quantum Trost“, „Schräger als Fiktion") hervor sticht, welches Halle Berry zur ersten afroamerikanischen Oscargewinnerin in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ gemacht hat. Und auch als Regisseur macht der Amerikaner von sich reden, so war seine gerade einmal zweite Regiearbeit „Precious“ nicht nur ein absoluter Kritikerliebling und gern gesehener Gast auf dem prominenten Film-Festivals, sondern auch Abräumer bei diversen Preisverleihungen mit dem Höhepunkt als Oscargewinner in den Kategorien „Bestes adaptiertes Drehbuch“, sowie „Beste Nebendarstellerin“. Nun sagen Preise natürlich nicht immer etwas über die tatsächliche Qualität eines Filmes aus, doch auch wenn „Precious“ hier und da nicht ganz perfekt ist, so wird das Sozialdrama seinen vielen Vorschusslorbeeren doch gerecht.
Harlem, New York Ende der 1980er Jahre. Eine unbeschwerte Kindheit, so etwas kennt die 16-jährige Clareece „Precious“ Jones (Gabourey Sidibe) nicht. Schon seit frühester Kindheit wurde das stark übergewichtige Mädchen immer und immer wieder von ihren eigenen Vater vergewaltigt, mit der Folge das sie ein, unter Down-Syndrom leidendes, Kind von ihm bereits ausgetragen hat und mit dem Zweiten gerade Schwanger ist. Von ihrer Mutter Mary (Mo'Nique) hat Precious jedoch keinerlei Mitleid zu erwarten, im Gegenteil, macht die deprimierte Frau doch nicht zuletzt ihrer eigenen Tochter den Vorwurf, sie wäre daran Schuld das ihr Vater sie missbraucht hätte und mittlerweile abgehauen sei. Ausgerechnet als die Lehrer von Precious´ zweiter Schwangerschaft erfahren und sie daraufhin von der Schule verwiesen wird, bekommt das zurückgezogene und quasi analphabetische Mädchen zum ersten Mal im Leben eine reelle Chance in Form des „Each One Teach One“ Programms, welches es sich zur Aufgabe gemacht hat benachteiligten Jugendlichen eine Perspektive zu eröffnen.
„Some folks has a lot of things around them that shines for other peoples. I think that maybe some of them was in tunnels. And in that tunnel, the only light they had, was inside of them. And then long after they escape that tunnel, they sitll be shining for everybody else.“
- Clareece 'Precious' Jones -
„Precious“ ist einer dieser Filme, die trotz größtenteils lupenreiner Inszenierung und einer geradlinigen, stets einen roten Faden folgender Erzählung vor allem von einem Faktor nähren: nämlich ihren Darstellern. Im vorliegenden Fall bringen diese eine solch wuchtige Intensität auf die große Leinwand, das es den Zuschauer mitunter geradezu den Boden unter den Füßen wegreißt und sprachlos im Kinositz verweilen lässt, wenn man mit ansieht, durch welche Tiefen Regisseur Lee Daniels sie schickt. Festmachen kann man diesen Umstand vor allem an der debütierenden Gabourey Sidibe, welche als Titelfigur Precious vom ersten Moment an eine schwer in Worte zu fassende, geradezu zauberhafte Ausstrahlung an den Tag legt, die in manchen Szenen vollkommen ausreicht jeglichen Mono- oder Dialog überflüssig zu machen, sodass die Körpersprache alleine letzten Endes mehr vermittelt, als es ausgesprochene Worte jemals könnten.
Gleichzeitig wirkt Sidibes Spiel niemals aufgesetzt, im Gegenteil, trotz Rollen-Klischees, ohne die eine solche Geschichte wohl schwer umzusetzen wäre, gelingt es der früheren Callcenter-Telefonistin auf sehr authentische Art und Weise ihre Figur zu verkörpern, die man neben sich im Flugzeug aufgrund ihrer Körperfülle sicherlich als störend empfinden würde, der man im Film aber komplett ihrem gewaltigen Charme erliegt. Diese Performance wird lediglich noch von der vollkommen zurecht mit einem Oscar dekorierten Mo'Nique („Domino“, „Bierfest“) getoppt. Die Wirkung, die die eigentliche Stand-Up Comedian als arbeitslose und geradezu rachsüchtige Mutter erzielt, ist eine ebenso kräftige, wie die von Sidibe, mit dem Unterschied das es nur sehr schwer zu ertragen ist mit ansehen zu müssen, wie Mary mit ihrer Tochter verfährt.
Jedoch, und hierfür muss man Daniels´ trotz der nicht gerade selten vorkommenden Typisierungen seiner Figuren und der allgemeinen Situation ein Kompliment aussprechen, lässt der Regisseur seinen beiden Darstellerinnen genug Spielraum um ihre jeweiligen Charaktere auf eine mehrschichtige Ebene zu heben, sodass sie nicht als überzeichnete Karikaturen mit hohem Klischeeanteil zurückbleiben. So verliert die Geschichte trotz gelegentlichem Kitsch nichts an ihrer so wichtigen Tragkraft und schafft es immer wieder zu berühren, ohne aber weinerlich zu wirken.
„Everyday I tell myself: Something’s gonna happen. I’m gonna break through. Someone’s gonna break through to me.”
- Clareece 'Precious' Jones -
Die Geschichte selbst dürfte für den ein oder anderen aufgrund ihrer intensiven Wirkung sicherlich schwer verdaulich sein. Für ein weißes Publikum, dem die Lebensumstände in den afroamerikanischen Vierteln der USA weniger vertraut sind, dürfte der Film zudem schwer nachvollziehbar sein. Denn „Precious“ ist eben nicht nur die Geschichte eines Mädchen, das aus einem vollkommen dysfunktionalen Elternhaus stammt, sondern auch eine Studie über die afroamerikanische Identität. So hört man Precious immer wieder den Wunsch nach glatten Haaren, einer helleren Haut und einem hellhäutigen Freund aussprechen, eben all das, was das weiße Fernsehen ihr als Schönheitsideal verkauft. Gleichzeitig ist es ihre dunkle Haut und ihr Übergewicht für das sie sich hasst, das sie an sich selbst zweifeln lässt. Die große Botschaft des Filmes, liebe dich so wie du bist, mag daher sicherlich etwas dick aufgetragen wirken, wirkt im Kontext aber nicht deplatziert oder gar störend.
Inszenatorisch leistet sich Daniels keine großen Fehler. Die Geschichte ist routiniert erzählt, wirkt trotz einiger sehr tiefgreifender Wendungen im Leben der Figuren niemals überfrachtet oder künstlich aufgeblasen. Hervorzuheben sind vor allem jene Szenen, in denen Daniels aus der Filmrealität ausbricht und Rückblendungen aber auch die Träume seiner Hauptdarstellerin, sowie ihre Sehnsüchte in teils mitreißenden Bildkompositionen visualisiert. Das ganze gibt dem Film noch einmal eine besondere Note, die ihn nicht so störrisch wirken lässt, wie es Filme mit besagter Thematik nun mal häufig sind, ihm aber auch keinen aufgezwungen hippen Touch verleihen.
Original Filmtitel:
Precious: Based on the Novel Push by Sapphire (2009)
Länge des Filmes:
Ca. 109 Minuten
Darsteller:
Gabourey Sidibe...Precious
Mo'Nique...Mary
Paula Patton...Ms. Rain
Mariah Carey...Mrs. Weiss
Sherri Shepherd...Cornrows
Lenny Kravitz...Nurse John
Stephanie Andujar...Rita
Chyna Layne...Rhonda
...
Regisseur:
Lee Daniels
FSK:
Ab 12 Jahren
Fazit
„Precious“ ist oft schwer zu verdauen, im Kern aber trotzdem ein wunderschöner Film. Dies liegt vor allem an dem einwandfrei aufspielenden Cast, sowie an der Dramaturgisch stets sitzenden Inszenierung, der stets der Balanceakt gelingt, zwischen Verzweiflung und Lebenslust gelingt. Sicherlich kein Film für die breite Masse, aber trotzdem ein mit gutem Gewissen ausgesprochener Tipp.
8/10
- Redakteur:
- Adrian Trachte