Punk's Not Dead
- Regie:
- Susan Dynner
- Jahr:
- 2007
- Genre:
- Dokumentarfilm
- Land:
- USA
1 Review(s)
09.09.2008 | 18:51Einen Abriss der Punkgeschichte im Schnelldurchlauf präsentiert zu bekommen, dieses Gefühl stellt sich zunächst beim Schauen von "Punk's Not Dead" , dem Dokumentarfilm von Susan Dynner ein. Wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, im Fast Forward Modus mit ständig wechselnden Clips aus Interviews und Sonstigem beschossen zu werden, dann stellt sich jedoch heraus, dass hier mitnichten einfach Geschichte geschrieben wird, sondern man es vielmehr mit einem schnell rotierenden Kaleidoskop an Einzeleindrücken und Meinungen zu tun hat, die sich lediglich in mehr oder weniger geradliniger Chronologie durch die Zeit bewegen. Klar, das Vorspulgefühl bleibt, doch gerade dies und die Vielfalt an collagiertem Bild- und Tonmaterial sorgen dafür, dass man hier mehrere Facetten des Genres präsentiert bekommt - und zwar auf eine schwirrende Weise, die sich noch am ehesten als Insektenperspektive beschreiben ließe: Nah dran, in fliegendem Wechsel Ausschnitte wahrnehmend, dies aber allein schon aufgrund der Geschwindigkeit nahezu simultan, trotz der nicht vorhandenen Distanz zum Nahrung gebenden Objekt irgendwie noch darüber schwebend, ohne ersichtliche Diskriminierung überall mal zustechend und Stichproben nehmend.
Hier wird kein Gründungsmythos erschaffen, nachgebetet, verbreitet, analysiert oder hinterfragt. Man beginnt einfach irgendwo, mittendrin? Egal. Die jüngste vorgestellte Band gründete sich 1972. IGGY POP, der bereits zuvor Musik machte, taucht aber auch kurz auf. Mit der Definition historischer und musikwissenschaftlicher Genregrenzen mögen sich andere befassen. Hier geht's um's hier und jetzt und allenfalls noch um die Erinnerung, soweit die mündliche Überlieferung reicht. Auf Augenhöhe, ja. Aber, darum auch gleich at face value? Jein... Die Originaltöne bleiben unkommentiert, kontrastieren teils miteinander, und deren Auswahl bleibt natürlich stets subjektiv. Die Kriterien werden nicht offen gelegt. Das macht aber auch nichts, die schiere Masse der stets selbst am Entstehen und Weiterentwickeln der Szene Beteiligten sorgt für Authentizität - oder doch nur deren Illusion? Wenn schon, dann Illusionen im Plural! Denn "Punk's Not Dead" suggeriert keinesfalls einen geschlossenen Szenekorpus. In sofern haben wir es hier also mit einem Dokumentation im ursprünglichen Wortsinne zu tun: Einer Sammlung von Dokumenten, wobei die Einordnung in jeder Hinsicht (historischer, sozialer, semantischer Kontext?) äußerst zurückhaltend erfolgt. Vermeintlich einfache Antworten auf die sich unwillkürlich aufdrängende Frage "Können unzählige Punks irren?" werden nicht gegeben, stattdessen schaut man erst einmal unzähligen Punks auf's Maul und erhält so einen ersten Eindruck von den Beziehungen und Verwerfungen innerhalb der Szene. Eines der wenigen herausragenden Postulate, das im Film auch mehrmals deutlich genannt und auch unwidersprochen bestehen bleibt, lautet: Punk war nie weg. Und hier dringt man dann tatsächlich etwas tiefer in die Materie ein, einfach dadurch, dass einem durch die Ins-Becken-Schmeiß-Methode bewusst wird, worin sich die kollektiven Wahrnehmungen der Mainstream- und Szene-Konsumenten voneinander unterscheiden. Hier werden (flüchtige) Einblicke in die Kontinuität von Bands gegeben, die im kollektiven Mainstreambewusstsein ein Revival erlebten, tatsächlich aber einfach wieder (zeitweilig) im Untergrund verschwanden. Doch der Fokus bleibt stets verschwommen, oder zumindest nie dauerhaft scharf, denn schon wieder wechselt die Perspektive. Von der Ochsentour durch Privatbehausungen & Hinterhöfe weiter zu und konzerngesponsorten Großveranstaltungen - doch liegen dazwischen wirklich Welten, oder macht die Szene nicht vielleicht gerade das verbindende Element aus? Wenn sich dort ohnehin die selben Leute treffen, ergibt die vermeintliche Unterscheidung zwischen 'Echtheit' einerseits und 'Kommerz' andererseits dann überhaupt noch einen Sinn? Oder wenn die Übergänge selbst in den Biografien einzelner Bands fließend sind und keineswegs nur in die eine Richtung (selling out) vonstatten gehen. Hat nicht vielleicht gerade das Von-der-Musik-Leben bei Bands wie den SUBHUMANS gerade zu einer besonderen Verwurzelung in der Szene geführt, die gerade das Lebensgefühl dieser Punks maßgeblich mitbestimmt? Die teils klaren, teils nicht ganz so eindeutigen Statements aller Beteiligten bleiben explizit unkommentiert, implizit wirft die Zusammenschau eher neue Fragen auf als sich auf bestimmte Antworten festzulegen. Und gerade das macht den Film aus.
"Punk's Not Dead" theoretisiert nicht. Selbst die den Bands gestellten Fragen bleiben im Dunkeln, man erfährt im Einzelfall nicht, ob man es mit konkreten Antworten, Ausweichversuchen, zufälligen Erinnerungen, grundsätzlichen Prinzipien oder momentanen Standortbestimmungen der Protagonisten zu tun hat. Darauf kommt es hier nicht an, es geht vielleicht nicht einmal so sehr darum, etwas zu bewegen im großen Stil, sondern einfach darum, etwas zu tun, um der eigenen Stimme Gehör zu verschaffen, Erfahrungen auszutauschen und ein gemeinsames Lebensgefühl zu teilen - ungeachtet der Brüche, oder besser gesagt Faltenwürfe, zwischen einzelnen Gruppen und Untergruppen. Dennoch lassen sich, zumindest als vorsichtig formulierte Fragen, eine (mögliche) Erkenntnisse aus dem Film ziehen. Dass Punk heute keine geschlossene Gemeinschaft ist, ist eine Binsenweisheit. Dass die Subkultur dies wohl auch von Anbeginn niemals war, scheint gelegentlich durch. Dass die bisherige Entwicklung szene(n)intern einerseits kontrovers diskutiert wird, und dass andererseits selbst der sich ihr nicht mehr bedingungslos zuordnende bzw. zugeordnete Offspring bei aller Unbefangenheit zu Beginn der eigenen Bandprojekte mit inzwischen teils durchschlagendem Erfolg sich nach und nach mit den Wurzeln - wenn schon nicht der eigenen Musik, so doch der Einflüsse aus der Szene, die ihre Vorbilder hervorbrachte - beschäftigt; diese beiden Elemente scheinen es zu sein, die dafür sorgen, dass bei aller Zersplitterung eine Kontinuität des Punk-Diskurses bestehen bleibt. Zumal das Paradigma des Do It Yourself offenbar bei den meisten Beteiligten, trotz aller Kommerzialisierung, nach wie vor Bestand hat.
Neben dem Haupt-Feature sind auf der DVD noch einige Outtakes und Exkurse enthalten, von denen der zu den Clubs, die als Kristallisationspunkte der ersten Szenen dienten, am interessantesten ist. Hier wird durch die Schilderungen und zeitgenössischen Fotos einiger Veteranen - teils auch vor Ort - wieder lebendig, welche Bedeutung das CBGB in New York, das Roxy in London, oder The Masque in Los Angeles für die Bands damals hatte bzw. heute noch hat. Weitere Features zeigen bandbezogene Lifestyle-Dinge wie punkiges Wohnen, eine Punk-Star-Bowling-Runde, das Festhängen im Tour-Limbo oder Setlist-Fragen; - Schnickschnack.
Was den Hauptfilm so gut macht, ist dass die Regisseurin Susan Dynner mit "Punk's Not Dead" keine einseitige Meinungsbildung betreibt, dass aber trotz der schwerpunktmäßigen Vermittlung von Punk-Lebensgefühl(en) einige Themen und Fragen angesprochen werden, die sowohl szeneintern als auch in der breiteren öffentlichen Wahrnehmung von Punk relevant sind. Neben den szenerelevanten Themenkomplexen (Einstellungen, Mode, gesellschaftliche Akzeptanz, Netzwerke, Lebensstil, Politik, Werbung und Kommerz) kommt aber auch die Musik selbst nie zu kurz. So sind im Laufe des Films immer auch wieder Songs der beteiligten Bands zu hören. Am Film beteiligt waren Mitglieder von THE ADICTS, BAD RELIGION, BUZZCOCKS, DEAD KENNEDYS, BLACK FLAG, THE RAMONES, RANCID, SOCIAL DISTORTION, STIFF LITTLE FINGERS, THE DAMNED, THE GOD AWFULS, GOOD CHARLOTTE, GREEN DAY, MINOR THREAT, MY CHEMICAL ROMANCE, NOFX, L7, THE OFFSPRING, PENNYWISE, THE SUBHUMANS, SUM 41, UK SUBS, THE USED, aber auch von vielen anderen Bands... Aufgelockert wird die Dokumentation durch zahlreiche Anekdoten, die von lustigen Animationen begleitet werden. Hier konnte sich das Filmteam also auch jenseits der eher im Hintergrund ablaufenden, sicherlich nicht unaufwändigen Arbeiten wie Budgetierung, Interview-Vor-und-Nachbereitung, Kameraführung, Schnitt(!), Vertrieb und so weiter und so fort, kreativ einbringen und künstlerisch eigene Stilnoten setzen. So lässt sich der Film einerseits als unterhaltsame Tour de Force durch rund dreißig Jahre Punk konsumieren, wirft andrerseits aber auch Fragen auf, über die sich im Anschluss noch beliebig weiter diskutieren ließe. Die Frage, wie revolutionär 'der Punk' ursprünglich in Anspruch und Realität war, ob bzw. inwiefern sich das seitdem geändert hat, ist nur eine davon. Das jedoch setzt einen politischen Blickwinkel voraus, den Bands wie CRASS zweifellos hatten. Betrachtet man dagegen den bis heute anhaltenden Kult um eine Band wie die RAMONES , welche sich zur Zeit des ersten Progrockbooms durch eine pophistorisch interessante Rückbesinnung auf populäre Musik der Fünfziger und Sechziger Jahre auszeichnete, so könnte man genauso gut fragen, wie konservativ oder gar rückwärtsgewandt 'die Szene' war, ist, oder in Zukunft sein wird. So schließe ich diese Rezension denn auch mit den Worten des Abspanns von "Punk's Not Dead": NOT THE END.
- Redakteur:
- Eike Schmitz