R-Point
- Regie:
- Kong Su-chang
- Jahr:
- 2004
- Genre:
- Horror
- Land:
- Südkorea
1 Review(s)
27.08.2005 | 08:22Asienhorror: Geist oder Nichtgeist, das ist relativ
Vietnam 1972: In einem koreanischen Basislager geht ein Funkspruch ein, der von einer längst verschollen geglaubten Einheit zu stammen scheint. Ein Trupp wird daraufhin losgeschickt, die Vermissten zu finden. Als die Soldaten im Zielgebiet ankommen, machen sie eine grauenvolle Entdeckung: Der Ort, an dem sie sich befinden, ist ein Massengrab. Als seltsame Dinge geschehen, fürchten die Männer bald um ihr Leben. Aber die Bedrohung kommt nicht nur von den Vietcong, sondern von etwas weit Schrecklicherem ... (Klappentext)
Filminfos
O-Titel: R-Point (Südkorea 2004)
Dt. Vertrieb: e-m-s
DVD-Fassung: 11.08.2005
FSK: ab 16
Länge: 107 Min.
Regisseur: Kong Su-chang
Drehbuch: Kong Su-chang
Produzent: Choi Kang-hyuk
Darsteller: Kam Woo-sung, Sohn Byung-ho, Oh Tae-kyung u. a.
Handlung
Am 7. Januar 1972, in der Endphase des Vietnamkrieges, geht um 01:30 Uhr im koreanischen Hauptquartier ein Funkspruch ein: Ein seit sechs Monaten verschollen geglaubtes Bataillon meldet sich mit seiner Kennung Esel Drei-null. Es ist bereits der dritte Funkspruch innerhalb weniger Wochen. Dabei schwört der einzige Überlebende, der mit bandagiertem Gesicht im Lazarett liegt, alle seien tot und er habe alle ihre Erkennungsmarken vom R-Point (R steht für Romeo) zurückgebracht. Irgendwie fällt es seinen Vorgesetzten schwer, ihm zu glauben.
Dennoch beschließen sie, dass diese Sache zu den Akten gelegt werden sollte. Aber wie? Also schicken sie Leutnant Choi (Kahm Woo-sung), der mit seinen psychischen Problemen sowieso für Unruhe in der Truppe sorgt, mit dem Auftrag los, die vermissten sechs Soldaten vom 4. Bataillon zu suchen. Wie später zu erfahren ist, darf von seinem eigentlichen Auftrag nichts an seine Soldaten durchsickern ...
Die wundern sich von Anfang an über ihren Kommandeur: Er spielt Ball, wenn ihm langweilig ist. Die meisten der kleinen neunköpfigen Truppe haben ihre Probleme und wollen viel lieber nach Hause. Der Jüngste ist Sergeant Jang, der schon mit 16 dem koreanischen Expeditionkorps beitrat, um seinen älteren Bruder vor dem Barras zu bewahren. Der von seinem Job überzeugte Corporal Jin hält den Sauhaufen zusammen.
Als das Kanonenboot sie den Fluss hinaufgefahren und abgesetzt hat, macht Sergeant Oh ein Gruppenfoto. Ihm hätte gleich auffallen müssen, dass etwas nicht stimmt: Sie sind zehn statt neun ...
Reichlich sorglos stolpern die Soldaten in den Bambuswald, bis ein Maschinengewehr losrattert und alle in Deckung flitzen. Nach eine Weile schaltet Choi das Mitglieder-Nest aus. Was sie finden, sind ein schon lange Toter und eine sterbende junge Frau. Etwas ist seltsam an ihr: Sie trägt ein Glöckchen-Amulett zur Abwehr von Geistern. Sie bringen es nicht übers Herz, sie zu erschießen.
~ Der R-Point ~
Endlich gelangen sie zum Rand des R-Point-Gebietes. Das weibische Schreien der Affen im Dschungel ist schon unheimlich genug, aber was sie an ihrem Rastplatz finden, ist beunruhigender: Es ist ein Grabstein mit einer chinesischen Inschrift - mitten in Vietnam! Hier hätten sich früher ein See und ein "fremder Tempel" befunden, und die chinesischen Invasoren hätte viele Vietnamesen getötet, besagt die Inschrift. Außerdem ein Fluch: "Der, an dessen Hand Blut klebt, wird niemals zurückkehren. Ich bin du ..." Der Rest ist unlesbar. Sgt. Lee pisst auf solchen Blödsinn.
Am nächsten Morgen erhebt sich aus den Nebelfeldern eine riesige Hotelruine wie eine Fata Morgana über den Sumpfwiesen. Sie erkunden das ausgedehnte Gebäude und sichern es. Es handelt sich nicht um einen Tempel, so viel steht fest, sondern war mal ein Erholungshotel für französische Soldaten. Später hat Choi während eines Gewitters die Vision eines ausgedehnten Soldatenfriedhofes: Alle Franzosen starben 1952 und 1953, als sich ihre Herrschaft über Indochina dem Ende zuneigte. Von den Vietcong hingegen ist weit und breit nichts festzustellen: Sie meiden diese Gegend.
~ Geisterstimmen ~
Das gesicherte Gebäude ist zwar verfallen und leer geräumt, aber es finden sich noch Überbleibsel. Ein spinnwebüberzogenes Funkgerät lässt den Funkruf eines Jacques hören, der einen Paul sucht - Franzosen. Und auf dem Casettenrekorder, den die Amis vergessen haben, ist nicht nur Rock 'n' Roll zu hören, sondern plötzlich erklingen Schreie und abwehrende Rufe. War dies das verschwundene Bataillon? Als Lt. Choi das Band abhört, sieht er eine weiß gekleidete junge Frau: Sie sieht genauso aus wie die Sterbende im Mitglieder-Nest, die sie zurückgelassen haben.
Als sie ein Ruinenfeld erkunden, merken sie, dass sie nicht allein sind: Jemand bringt den Göttern Rauchopfer dar, und sie stellen eine Sprengfalle auf. Doch die Einzigen, die auftauchen, sind Amerikaner, ein gewisser Oberleutnant Beck, der ein paar Sachen im Keller deponiert. Lapidar meint er, am R-Point überlebe niemand. Dann hauen er und seine Männer wieder ab.
Inzwischen ist den meisten klar, dass ihre Anzahl nicht stimmt und dass die Soldaten, die hier auftauchen, Geister sein müssen - auch die Amis. Doch als fatal erweist sich diese Erkenntnis erst, als Choi und Jin zwei Suchtrupps bilden, sie sich trennen und beim Wiedersehen nicht wissen, ob sie es mit echten oder Geisterkameraden zu tun haben. Die darauf folgende Paranoia kann nur in Selbstzerstörung enden ...
~ Epilog ~
Tage später geht im koreanischen Hauptquartier in Nah Trang wieder ein Funkspruch ein. Lt. Choi meldet sich mit der Kennung seiner Einheit. Der Funkspruch endet mit einem Schrei.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 1,85:1 (anamorph)
Tonformate: DD 5.1
Sprachen: D, Koreanisch
Untertitel: D
Extras:
- Making-of (30 Min.)
- Deutschsprachiger Originaltrailer
- Koreanischer TV-Spot
- Trailershow
Mein Eindruck
Die Handlung von "R-Point" klingt zunächst nach einer routinierten Kombination aus Horrorthriller à la "Wrong Turn" und Vietnamdrama à la "Platoon". Mehrmals musste ich an das Grauen denken, das sich zunehmend in Coppolas "Apocalypse Now Redux" breitmacht: Lt. Choi hat viel Ähnlichkeit mit Charlie Sheen auf seiner absurden Mission, während seine Soldaten einer nach dem anderen verrückt werden und draufgehen.
~ Geister, welche Geister? ~
Doch was den Streifen zu einer spezifisch asiatischen und koreanischen Angelegenheit macht, sind erstens die ziemlich genaue (aber nicht zu genaue) Charakterisierung der Figuren und zweitens der Geisterglaube. Während man sich als Westler einen Soldaten im Zivilleben durchaus als Leichenbestatter und - wäscher vorstellen kann, fällt die Sache mit dem Geisterglauben ziemlich schwer. Ganz einfach deshalb, weil sich der Geisterglaube von dem des Westens erheblich unterscheidet. Man stelle sich nur die Frage, woran man einen Geist erkennt und auf welche Weise man ihn vertreiben könnte.
~ Relativitätstheorie der Geister ~
Dass das Amulett aus Glöckchen eine Geisterabwehr darstellt, leuchtet ein, aber warum hat die Sterbende es überhaupt getragen, wenn sie doch selbst ein Geist ist? Die einzig logische Antwort ist die, dass sie die koreanischen Soldaten, die da in ihren Wald eindringen, für Geister hält. Geist oder Nichtgeist - das ist also eine Frage des Standpunkts und nicht etwa die einer objektiven Wahrheit. Man kann sich quicklebendig fühlen und doch ein Geist sein. Nun ergibt auch der Fluch auf dem chinesischen Grabstein einen Sinn: "Ich bin du ..." No-one here gets out alive, und "here" meint eindeutig den R-Point.
~ Die Todeszone ~
Der R-Point ist keine körperlich feststellbare Region, sondern eine Zone der Seele. Der Filmfreund kann sie sich als jene Zone vorstellen, in der Major Kurtz existiert, als Charlie Sheen ihn erreicht, um ihn zu liquidieren. Es ist jene Zone, in der Tod und Leben ununterscheidbar geworden sind, weil das Leben so grauenvoll wie der Tod ist. In dieser Zone der seelischen Archetypen treten Geister und Todesfeen ebenso selbstverständlich auf wie in Grimms Märchen Hexen und sprechende Wölfe.
~ Alles Theater? ~
Die koreanischen Darsteller haben zum Teil auch am Theater gearbeitet, auf jeden Fall der Hauptdarsteller und einer seiner Kollegen. Sie erzählen dies im Making-of. "Theater" bedeutet für sie höchstwahrscheinlich auch traditionelles Kabuki- und Nô-Theater. In diesen Stücken wimmelt es von Dämonen und rachsüchtigen Geistern. Die Symbolwelt dieser Stücke ist jedem Darsteller ersichtlich und völlig selbstverständlich.
Fast alle Darsteller sind daher in der Lage, auch den Film "R-Point", an dem sie mitwirken, ohne Schwierigkeiten zu erklären. Dies sei nicht nur ein Horrorfilm, sondern auch einer über den Krieg. Nicht Leichen oder Geister lösen den Horror aus, sondern der Krieg an sich, das Töten von Menschen. Diese Schrecken lösen im Innenleben der Figuren etwas aus und die Tiefenpsychologie der Figuren werde im Angesicht des Todes sichtbar. (Das ist ja in "Der Soldat James Ryan" nicht anders.) Die jungen Soldaten, die mit 16, 18 oder 19 Jahren in diesen Horror geschickt werden, entwickeln sich zu verlorenen Seelen. Da sie den Bezug zur Realität ebenso verlieren wie das Vertrauen zu ihren Kameraden, nimmt ihre Paranoia ständig zu. Es gibt nur einen konsequenten Endpunkt für diese Entwicklung: Selbstzerstörung und gegenseitige Vernichtung.
Am härtesten trifft es zwei Figuren. Der Benjamin der Soldaten ist Jang, und weil er die Jungen vertritt, darf er - nach dem Willen des Regisseurs und Drehbuchautors - als Einziger überleben, aber keineswegs unversehrt: Er ist erblindet. Ironischerweise hat ihn das vor dem Angriff der Geister, also dem Wahnsinn bewahrt. Der zweite Mann ist Corporal Jin. Er muss erkennen, dass sein Leutnant ihn verraten hat, ja, dass dieser ihn auffordert, seinerseits seine Männer zu verraten, indem er lügt und vertuscht (ähnlich wie Charlie Sheen seine Männer über den wahren Grund seiner Mission täuscht). Als Jin zum verbarrikadierten Hotel zurückkehrt und an das Tor klopft, erwarten die Männer einen Geist. Oder ist Jin etwa echt?
~ Geisteroptik ~
Dass Geister und andere Aliens etwas sehen und dass man dies auch mit der Kamera zeigen kann, ist ja keine neue Idee. Man denke nur an die rot eingefärbte Sicht des Terminators, die unheimliche Sichtweise der Werwölfe in "Wolfen" oder einfach nur an das grüne Gesichtsfeld der Nachtsichtbrille in "Schweigen der Lämmer". Auch "Predator" ist ein gutes Beispiel. Stets ist das Bild relativ monochrom und unmenschlich.
Die "ghost vision" ist in "R-Point" in einem metallisch bläulichen Dunkelgrün eingefärbt. Zunächst sind diese Aufnahmen selten und vereinzelt, dann werden sie häufiger und schließlich, im Finale, der Standard. Höhepunkt ist die "Geistwerdung" Lt. Chois.
Die DVD
Obwohl die Aufnahmen bei Temperaturen um die 42° Celsius gedreht wurden, ist die Qualität der Bilder einwandfrei. Alles ist sauber ausgeleuchtet und deutlich sichtbar (außer natürlich im Nebel). Der Surround-Sound des DD-5.1-Standards wird vollständig ausgenutzt und verschafft dem Zuhörer eine zusätzliche Erlebnisdimension des Films. Da der Soundtrack den Horrorcharakter der Handlung unterstreicht, ist die "Musik" - es handelt sich mehr um Impressionen und eine Geräuschkulisse - entsprechend unheimlich. Sie dürfte niemanden kalt lassen.
Sowohl der deutschsprachige Trailer als auch der koreanische TV-Spot machen die psychische Anspannung deutlich, die die Soldaten Leutnant Chois angesichts der Erkenntnis befällt, dass sie von Geistern umgeben sind. Ja, dass vielleicht nicht einmal die Hotelruine existiert.
~ Das Making-of ~
... ist mit seiner Länge von rund 30 Minuten von einer sehr willkommenen Ausführlichkeit. Dennoch kommt an keiner Stelle Langeweile auf. Vor dem Dreh mussten sich die männlichen Darsteller (es gibt nur eine Frau VOR der Linse) einem miltärischen Fitness-Training unterziehen und bekamen bei Bestehen ein Zertifikat ausgehändigt. Der Regisseur erzählt, er habe den Hauptdarsteller bereits drei (!) Jahre vor Drehbeginn angeschrieben, so dass sich Kahm Woo-sung intensiv mit seiner Rolle beschäftigen konnte. Er habe ihm, dem Regisseur, daher mehrere gute Tipps geben können.
Der Produzent Choi Kang-hyuk berichtet, er habe eigentlich in Vietnam drehen wollen, aber dort seien sämtliche Kriegswunden getilgt worden, und so musste man nach Kambodscha ausweichen, wo man diese wundervolle Location der alten Hotelruine gefunden habe: "Wie aus einer Phantasie!". Die Darstellern erzählen, es sei ein schwieriger bzw. beschwerlicher Dreh gewesen: Es herrschten Temperaturen zwischen 38 und 42°C, das Essen so weit entfernt von den Städten sei nicht immer frisch gewesen. Der Produzent berichtet, er sei als "unbarmherzig" bezeichnet worden.
Maskenbildner Lee Chang-man nennt die Location "unheimlich". Na, er sollte sich mal seine Puppen und Prothesen genauer ansehen. Die Pyrotechniker führen vor, wie man einen künstlichen Kopf so explodieren lässt, dass die Wunde total echt aussieht. Sie brauchen drei Versuche. Der Bühnenbildner bemalt derweil die riesige Statue eines chinesischen "Eroberers" mit grauer und schwarzer Farbe. Das Ding sieht verteufelt echt aus.
"Leutnant Choi" "erschlägt" die weiße Geisterfrau, die wie eine irische Todesfee auf ihn zugeht, mit seiner Machete. Diese Szene wird im Film nur in sehr kurzen Schnipseln mehr angedeutet als richtig gezeigt. Dass der Film keinen Epilog hat, bedauert der Regisseur sehr, erklärt aber den Grund nicht: zu wenig Zeit oder kein Geld mehr? So bleiben doch einige offene Fragen, die ihm später das Premierenpublikum stellte.
Am Ende des Entstehungsberichtes steht folgender Gruß, der dem Film eine aktuelle Relevanz verleiht: "Wir wünschen der Einheit Zytoon eine unversehrte Heimkehr aus dem IRAK." Offensichtlich befinden sich im dortigen Kriegsgebiet wieder einmal junge koreanische Soldaten, genau wie anno '72 in Vietnam.
Unterm Strich
Wenn Westler einen Horrorfilm inszenieren, so geraten dabei meistens Unschuldige in eine Stuation, auf der ein Fluch aus der Vergangenheit lastet. Ihre Aufgabe besteht darin, den Fluch aufzuheben, um die Zukunft zu sichern: lauter kleine Jesusse. In neueren Horrorfilmen nach asiatischem Muster ist das zum Teil immer noch so, etwa in "Ringu" und "Shikoku", doch zunehmend wird der Teil mit dem Fluch aus der Vergangenheit weggelassen, was einen ganz erheblichen Unterschied ausmacht: Der Horror wird zum Selbstzweck.
So weit ist "R-Point" noch nicht, doch sein "Fehler" besteht darin, dass es zwar einen Fluch aus der Vergangenheit gibt, doch dieser nicht aufgehoben werden kann. (Der Fluch aus der Grabinschrift gilt für alle mit Blut an den Händen!) Vielmehr handelt es sich um eine Art Schwarzes Loch, das die Seelen von Neuankömmlingen zu Verdammten, den Geistern des R-Point, umwandelt. Der Umwandlungsvorgang hört solange nicht auf, wie es Krieg in diesem Gebiet gibt. (Und wie oben dargelegt, handelt es sich um eine psychische statt materielle Zone.) Das Besondere am Film: Solange wie es den Krieg gibt, sooft wird auch eine R-Point-Zone entstehen. Das erklärt auch den Gruß am Ende des Making-ofs: Koreaner kämpfen gerade im Irak. Mögen sie unversehrt wieder zurückkehren. Ein frommer Wunsch?
Der Klappentext behauptet, "R-Point" sei der "No. 1 Korean Horror Film of the Year". Das kann man glauben oder auch nicht, aber es erscheint angesichts des Gesagten durchaus wahrscheinlich.
Für cineastische Freunde von "Der Soldat James Ryan" und "Apocalypse Now" ist "R-Point" wahrscheinlich eine Nummer zu abgedreht und horrormäßig. Doch für Horrorfreunde eröffnet "R-Point" eine neue Perspektive auf den Wahnsinn des Krieges - überall auf der Welt.
- Redakteur:
- Michael Matzer