Return to Sender
- Regie:
- Bille August
- Jahr:
- 2004
- Genre:
- Drama
- Land:
- Dänemark / Großbritannien
1 Review(s)
07.05.2005 | 10:07Ohne Pathos: Die Schöne im Todestrakt
Der ehemalige Strafverteidiger Frank ist ein Mann ohne Skrupel. Er erschleicht sich das Vertrauen von zum Tode verurteilten Häftlingen, um ihre Briefe nach der Hinrichtung an die Presse zu verkaufen. Das ändert sich, als er persönlichen Kontakt zu der schönen Charlotte Cory aufnimmt, die scheinbar unschuldig in der Todeszelle sitzt. Er verliebt sich und ist entschlossen, sie zu retten - doch der Countdown bis zur Hinrichtung läuft. (Klappentext)
Filminfos
O-Titel: Return to Sender (Dänemark/ Großbritannien 2004)
DVD: 18.05.2005
FSK: ab 16
Länge: ca. 104 Min.
Regisseur: Bille August
Drehbuch: Neal Purvis & Robert Wade (James-Bond-Filme)
Musik: Harry Greggson-Williams
Darsteller: Aidan Quinn, Connie Nielsen, Kelly Preston, Tim Daly u. a.
Handlung
Nachdem Johnny Decker auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet worden ist, verkauft der ehemalige Strafverteidiger, der sich momentan Frank Walsh (Aidan Quinn) nennt, seine Briefe, die Decker ihm schrieb, an seinen Gewährsmann bei der Presse. Er bekommt stets mehrere zehntausend Dollar. So eine Hinrichtung ist schon was Besonderes im Bibelgürtel von Amerika, wo sonst nicht allzu viel los ist. Es gibt eine Countdown-Berichterstattung im Lokalfernsehen, und eine Gruppe Exekutionstouristen, die sich "Death Watchers" nennt, freut sich über jeden Kriminellen, der auf dem Stuhl brutzelt. Willkommen in Texas!
Franks Meisterstück soll aber die Todeskandidatin Charlotte Cory (Connie Nielsen) liefern, für deren letzte Briefe ihm der Zeitungsfritze eine halbe Million Dollar anbietet - und das ist erst der Anfang (am Schluss sind sie 800.000 Dollar wert). Charlotte Cory war früher mal eine bekannte Sportlerin, doch seit sieben Jahren verbüsst sie in Oklahoma eine Strafe als Mörderin eines zweijährigen Mädchens. Doch die Leiche der kleinen Kirstie Hammond wurde nie gefunden. Charlottes Verurteilung beruhte ausschließlich auf Indizien. Sie könnte also unschuldig sein.
Als er erfährt, dass ihre Hinrichtung schon in sechs Tagen ansteht, fälscht er einen Ausweis und besucht sie im Gefängnis. Er gibt sich als Lehrer und ehemaliger Mitkämpfer ihres Vaters in Mogadischu, Somalia, aus. Da ihr Vater dort starb, lassen sich Franks Angaben schlecht widerlegen. Auch Charlottes Anwältin Susan Keenan (Kelly Preston) lässt sich - zunächst - täuschen. Obwohl sich die beiden schon eine Weile Briefe schreiben, verläuft der erste Besuch ergebnislos, und so beschleunigt er den Lauf der Dinge: Er platziert zwei Gegenstände aus einem Kinderzimmer in Charlottes längst verwüstetem Haus auf dem Land und gibt den Bullen einen anonymen Hinweis.
Über die so ausgelöste Publicity ist Charlotte empört und besorgt. Sie bittet Frank, ihrer Schwester Stella einen letzten Brief zu bringen. Endlich einer der begehrten Briefe! Doch Stella wurde bei einem Autounfall, den Charlotte verursachte, schwer verletzt. Sie lebt in einer Schule für Blinde mit einem Mann namens Martin North zusammen und lehnt es ab, den Brief der verhassten Charlotte anzunehmen. Das Glück winkt Frank, der natürlich sofort den Brief liest. Wider Erwarten ist er sehr gerührt.
Der Tag der Hinrichtung rückt immer näher. Susan Keenan übergibt ihm Charlottes Habseligkeiten, und die Todeskandidatin schließt mit ihrem Leben ab. Sie ist froh, dass sie für das, was sie ihrer Schwester angetan hat, büßen darf. Unter den Besitztümern findet Frank mehrere Heimvideos, die Stella gedreht hat: Der Vater der kleinen Kirstie, Hammond, war Charlottes Liebhaber! Allerdings scheint diese Tatsache nichts zu ändern. Der Staatsanwalt lehnt es ab, sich damit zu befassen. Obendrein liest Susan Keenan in der Zeitung, dass Frank eine falsche Identität hat.
Erst auf einem weiteren Video, das nicht von Stella angefertigt wurde, entdeckt Frank den Grund, warum der ganze Fall völlig anders liegen muss, als alle glauben. Oder behaupten, denn Charlotte muss die Wahrheit kennen. Doch bevor er etwas deswegen unternehmen kann, geschehen zwei Dinge: Susan geht zu Charlotte, um ihr die Wahrheit über Frank zu verraten. Und Frank erfährt, dass sich Stella, seine wichtigste Zeugin, soeben umgebracht hat ...
Steht er auf verlorenem Posten? Es sieht ganz so aus, als könne nichts Charlotte vor der Gaskammer bewahren.
Die DVD
Technische Infos:
Bildformate: 1,85:1 (16:9)
Tonformate: DD 5.1 und 2.0, Deutsch zusätzlich in DTS
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: D
Extras:
- Bio- & Filmografien zu Preston, Quinn, Nielsen, August
- Interviews mit Preston, Quinn, Nielsen, August und Michael Lunderskorv (gesamt: 26 Min.)
- Trailershow: The Third Wave; The Good Shepherd; The Locals (NZ).
- Originaltrailer
Mein Eindruck
Die zwei Autoren, die für das Drehbuch für die James-Bond-Filme "Die Welt ist nicht genug" und "Stirb an einem anderen Tag" verantwortlich zeichnen, haben auch die Story zu diesem Thriller verfasst. Doch wo bei James Bonds Aktivitäten gewisse Dinge regelmäßig in die Luft zu gehen pflegen, herrscht hier eine beinahe schon gemächliche Ruhe.
Allerdings ist es die angespannte, nervöse Ruhe innerhalb eines Todestraktes. Charlotte Cory ist hinter so vielen Gitterstäben weggesperrt, dass sie Frank und uns wie bereits lebendig begraben erscheint. Frank ist im Grunde der optimale Leichenfledderer: Er will von dieser wandelnden Toten, so schön sie auch sein mag, lediglich einen Brief. Doch es ist der lukrativste Brief seiner gesamten Laufbahn, die er eingeschlagen hat, als man ihn wegen Missverhaltens aus der Anwaltskammer warf.
Doch die wahrlich fette Beute, die Charlotte darstellt, versteht es, Frank einzuwickeln. Ob sie es wohl ehrlich meint oder ob die Erzählungen, die sie ihm auftischt, nur ein Lügengespinst sind? Frank weiß es nicht, aber wenn Charlotte lügt, warum sollte sie dann selbst sterben wollen? Würde nicht jeder normale Mensch lieber lügen, um seine eigene Haut zu retten?
Sie behauptet, die "Babymöderin" zu sein, als die die Medien sie bereits verurteilt haben. Doch Frank weiß, dass die Krankenschwester - Indiz: ein entsprechendes Foto - niemals ein Kleinkind wegen Lösegeld entführen und umbringen könnte. Warum also lügt sie? Um jemanden zu decken? Nach dem Besuch bei Stella weiß er, wen Charlotte schützt. Stella kann seit dem Unfall keine Kinder mehr bekommen, und Charlotte hat viel wiedergutzumachen. Doch was, wenn Charlotte selbst die Betrogene ist?
~ Die Darsteller ~
Aidan Quinn aus "Legenden der Leidenschaft" spielt den ehemaligen Strafverteidiger mit einer seltsamen Ruhe, die verdecken soll, dass Frank jeden Moment als zynischer Leichenfledderer auffliegen kann. Doch leider strahlt Quinn diese Distanziertheit immer noch aus, als ihm Susan vergeben hat und er Einblick in die Akten des Falls bekommt. Müsste er nicht eine Art Feuereifer an den Tag legen, um die schöne Charlotte, die es ihm auch in erotischer Hinsicht angetan hat, um jeden Preis herauszuhauen? Na, das Tempo, das er bei diesem Bemühen an den Tag legt, würde einer Schnecke alle Ehre machen.
Connie Nielsen, die Lucilla aus "Gladiator", spielt ebenso phlegmatisch, wenn auch durchtrieben sinnlich die Todeskandidatin, die schon mit dem Leben abgeschlossen hat. Doch ihr fehlt dieser leidende Blick, mit dem jemand in dieser Lage um Hilfe flehen würde. Vielmehr verwickelt sie Frank in ein erotisches Spiel, das in einer gemeinsamen Wunschvorstellung von leidenschaftlichem Beisammensein gipfelt. Wenn das ihr Hilfeschrei ist, so hat sie erreicht, was sie bezweckt.
Kelly Preston, die Frau von John Travolta und ebenso wie er Scientology-Mitglied, verblasst dagegen wie ein drittes Rad am Fahrrad. Das liegt daran, dass sie entmutigt ist und obendrei ahnungslos, mit wem sie es eigentlich zu tun hat. Selbst zum Aktenstudium mag sie sich nicht mehr aufraffen, und von den verräterischen Videos hat sie keine Ahnung. Man könnte also durchaus sagen, dass sie ziemlich überflüssig ist.
~ Die Inszenierung ~
Bille August ist der Regisseur von "Pelle der Eroberer", einem dänischen Jugenddrama, das den OSCAR als bester ausländischer Film erhielt. August, ein Ingmar-Bergmann-Freund, ist also kein Nobody, sondern ein gestandener Kino-Handwerker, ähnlich wie Lasse Hallström. Im Mittelpunkt stehen bei ihm stets die Schauspieler und die Figuren. Mit Effekten und Schnickschnack wie Verfolgungsjagden weiß er nichts anzufangen. Doch wenigstens hat er etwas zu sagen, was bei James-Bond-Filmen (siehe oben) meist weniger der Fall ist.
Wie die Schauspieler in ihren Interviews feststellen, stellt sich Augusts Film auf keine Seite, er stellt die Todesstrafe nicht an den Pranger. Wohl aber zeigt er, wie sich aus einer Hinrichtung im Handumdrehen eine Art Zirkusveranstaltung entwickeln kann, die es selbst gutmeinenden Menschen schwermacht, sich für das vorgesehene Opfer einzusetzen. Frank wird von zwei Maskierten zusammengeschlagen, die in sein Motelzimmer eindringen. Und jedes Mal, wenn er das Gefängnis betritt oder verlässt, muss er in seinem Wagen ein wahres Spießrutenlaufen über sich ergehen lassen. Wie im alten Rom ("Gladiator") wollen die Zuschauer Blut sehen, und wenn's bloß digitales auf der Mattscheibe ist. Wer ihnen dabei in die Quere kommt, muss eben dafür zahlen.
Geradezu zynisch wirkt die Darstellung des fetten Streifenpolizisten, den Frank als Aufpasser verpasst bekommt, nachdem er vermöbelt wurde. Dieser Fettmops, ein krasser Befürworter von tödlichen "Happy-Ends", diktiert während seines Dienstes einen blutrünstigen Thriller nach dem anderen. Wahrscheinlich, um sein spärliches Cop-Gehalt aufzubessern. Frank gibt ihm Gelegenheit, einen echten Verbrecher zu jagen.
Der Film ist erst ab 16 Jahren freigegeben. Nicht, weil darin ein Mensch (Johnny Decker) hingerichtet wird, sondern weil darin Sex gezeigt wird. Das zeigt mal wieder in gewisser Weise, wie verdreht der Jugendschutz hierzulande gehandhabt wird.
Die DVD
Neben einem schönen, einfühlsamen Soundtrack besticht der Film durch ein klares und scharfes Bild. Leider ist es allzu oft mit dunklen Flächen gefüllt, besonders im Knast, wodurch der Streifen insgesamt relativ düster wirkt. Die Herbststimmung trägt nicht viel zur emotionalen Aufhellung bei. Der hohe Sound-Standard von DTS, den der deutsche Zuschauer hier wählen kann, trägt zu einer dreidimensionalen Klangatmosphäre bei.
Neben einer Menge Werbung (s.o.) in Form von Trailern liefern die Extras auch ziemlich ausführliche Biografien zu den drei Hauptdarstellern und dem Regisseur, denen jeweils eine Filmografie angehängt ist. Das vermittelt bereits einen recht guten Eindruck, womit man es hier zu tun hat. Das i-Tüpfelchen sind hingegen die insgesamt 26 Minuten an Interviews mit diesem Quartett und dem Produzenten Michael Lunderskorv. Die Statements betreffen die Themenbereiche Story, Regisseur, Schauspieler, Rollen und der Film als Ganzes. Leider hat man sich seitens des Vertriebs nicht die Mühe gemacht, diese englischsprachigen Statements mit deutschen Untertiteln zu versehen, so dass nur gute Englischkenner etwas davon haben dürften.
Unterm Strich
Ohne zu predigen, befasst sich der Thriller von Oscar-Preisträger Bille August mit dem Thema der Todesstrafe und dem authentischen Fall, dass sich jemand die Briefe der Todeskandidaten erschleicht und sie verkauft. Natürlich ist es höchst romantisch, dass sich der professionelle Leichenfledderer vom Saulus zum Paulus wandelt, sobald er der schönen Todeskandidatin ansichtig wird.
Aber als ehemaliger Anwalt entdeckt er doch wichtige Unstimmigkeiten und übersehene Hinweise, die das zum Tode verurteilte Opfer der Justiz in ganz neuem Licht erscheinen lassen. So ganz nebenbei deutet der Film an, dass es weitaus mehr Justizirrtümer geben könnte als gemeinhin angenommen. Dass dem so ist, zeigen mehrere Fälle aus den USA, in denen Todesurteile aufgehoben wurden, manchmal sogar nach Dutzenden von Jahren.
Ich habe den Film gerne angesehen und folgte ihm mit wachsender emotionaler Beteiligung, je mehr sich enthüllte, dass eine Unschuldige in der Todeszelle sitzt, die aber wegen eines Schuldkomplexes unbedingt sterben will. Das hat mit anklagenden Streifen wie "Dead Man Walking" überhaupt nichts zu tun. Es zeigt einfach, dass manchmal nur eine winzige, aber entscheidende Änderung notwendig ist, um aus einem Todesurteil einen Hoffnungsstrahl werden zu lassen.
- Redakteur:
- Michael Matzer