Shelter
- Regie:
- Mårlind, Måns/Stein, Björn
- Jahr:
- 2010
- Genre:
- Horror
- Land:
- USA
- Originaltitel:
- Shelter
1 Review(s)
21.03.2011 | 16:53Das geschieht:
Der Job ist Dr. Cara Harding aus Pittsburgh im US-Staat Pennsylvania zur Zuflucht geworden, seit der Gatte vor drei Jahren von einem Straßenräuber umgebracht wurde. Anders als Töchterlein Sammy, Luftikus-Bruder Stephen oder Vater Harding, der wie die Tochter als Psychologe arbeitet, hat sie immerhin ihren Glauben nicht völlig verloren.
Harding Senior wirft seiner Tochter vor, beruflich festgefahren zu sein. Vor allem ihre Überzeugung, dass multiple Persönlichkeitsspaltung ein wissenschaftlicher Mythos ist, hält er für falsch. Er vermittelt ihr den aufbrausenden Patienten Adam Sabre, der sich von Zeit zu Zeit in den schüchternen, querschnittgelähmten Musiker David Bernburg verwandelt. Nach und nach kommen weitere Persönlichkeiten zum Vorschein. Nachforschungen bringen Erstaunliches zutage: Die verschiedenen Seelen in Adams Brust basieren auf den Biografien
echter aber längst verstorbener Personen. Woher kennt Adam eigentlich geheime Details aus diesen Leben?
Caras Skepsis verwandelt sich in Furcht, als ihre Recherchen sie in die öden, von der modernen Zivilisation weitgehend ausgesparten Brush Mountains führt. Hier hausen die „holler
men“, durch und durch ungastliche Hinterwäldler, die in Sachen Wilddiebstahl, Zauberei und Inzucht gern unter sich bleiben. Die uralte Granny hat in diesen Bergen das Sagen. Sie kennt die wahre Identität von „Adam“ oder „David“, der tatsächlich seit hundert Jahren sein Unwesen treibt bzw. vom Glauben abgefallene Christenkinder jagt.
Die Familie Harding bietet in dieser Hinsicht reiche Beute. Zunächst rafft es noch andere gottlose Wissenschaftler dahin, bis die Vorzeichen der nahenden Verdammnis auf Sammys Rücken auftauchen. Löwenmutter Cara tritt gegen den Seelenfänger an, doch Gott ist grimmig in dieser Geschichte und duldet auch reuevolle Verräter nicht …
Vom Psycho-Thriller zum Bibel-Spuk
Auf seltsame Filme stößt man manchmal, wenn man sich des Abends entspannen möchte. Gemeint sind jene Exemplare, die nicht seltsam sein WOLLEN, indem sie eine seltsame Geschichte erzählen, sondern Filme, die ein bekanntes Garn spinnen und den Zuschauer (trotzdem) fesseln – bis dieser plötzlich bemerkt, dass sich zwischen den Bildern ein Subtext verbirgt, der ihn nicht unterhalten, sondern manipulieren soll.
Es ist klar, dass eine solche Entdeckung – zumal erst spät gemacht – besagten Zuschauer doppelt ärgert, wenn dieser auch noch Rezensent ist. Daher sei an dieser Stelle darauf hingewiesen: Ich trenne im folgenden Text zwischen Film und Botschaft, lasse aber beide in dieGesamtbewertung einfließen, die wesentlich positiver ausfallen würde, ginge es nur um handwerkliche oder darstellerische Leistungen.
Was wiederum den weniger empfindlichen Zuschauer stören könnte, der die Manipulation ignoriert oder gar nicht registriert und sich stattdessen eher an einer überfrachteten Story reibt, deren Autor sein Publikum quasi mit der Brechstange malträtiert. Dabei stammt das Drehbuch von Michael Cooney, der die Vorlage zum fabelhaften Thriller „Identity“ (dt. „Identität“)lieferte. 2003 verschmolz Cooney Film-Realität und Mystery ebenso kompakt wie überzeugend und vor allem fesselnd. Dieses Mal wollte er sich offenbar selbst übertreffen und ging dabei unklug einen Schritt zu weit: In „Shelter“ spukt es wirklich. Nachdem Cooney die Handlung betont nüchtern als Psycho-Thriller beginnen lässt, wird daraus allmählich eine konventionelle Gruselgeschichte.
Kennen wir schon!
Damit ist der Punkt erreicht, an dem der Horrorfreund aufmerkt. Richtig gute Geisterstorys sind ebenso faszinierend wie selten, denn in der Regel flüchten sich ihre Autoren in Klischees. Cooney ist da keine Ausnahme. Dies zu bemerken dauert eine Weile, weil „Shelter“ ein wunderbar blank polierter aber geschmacksarmen Apfel (mit einem fetten Wurm unter der schönen Schale) ist. Mit seinem 22-Mio.-Dollar-Budget gilt dieser Film in Hollywood als ‚kleines‘ Projekt. Für die erzählte Geschichte reicht das Geld freilich allemal. „Shelter“ bietet zahlreiche Schauplätze, opulente Kulissen, eine unerhört bewegliche Kamera, eindrucksvolle Bilder, überzeugende Spezialeffekte sowie Schauspieler, die diesen Titel tatsächlich verdienen. Anders ausgedrückt: „Shelter“ ist keine nach Osteuropa verlagerte Laien-&-Billig-Produktion, sondern bietet Hollywood-Handwerk auf hohem Niveau.
Auf den Wurm kommen wir weiter unten noch, den Geschmack kritisieren wir jetzt: „Shelter“ speist uns mit längst durchgekauten Versatzstücken ab. Als die Katze aus dem Sack ist und der Dämon auf Seelenfang geht, ist die Spannung, die Cooney und die Regisseure Mårlind & Stein bis in die zweite Filmhälfte sorgfältig aufbauen und halten konnten, schlagartig dahin. Breite Logiklöcher brechen im Handlungsgewebe auf. Das Tempo zieht an und verwandelt sich in Hektik. Als man glaubt, es könne nicht mehr schlimmer kommen, soll selbstverständlich ein ‚überraschender‘ Schlussgag für einen Finaltwist sorgen – ein Nackenschlag in letzter Sekunde, der „Shelter“ glücklicherweise erst den Rest gibt, als der Schaden sich nur noch kurz (aber nachdrücklich) auswirken kann.
Sie können spielen, doch was nützt es?
Julianne Moore, Jonathan Rhys Meyers, Frances Conroy: Namen wie diese garantieren, dass in einem Film zumindest schauspielerisch wenig schiefgehen kann. Dass „Shelter“ wie gesagt bis weit in die zweite Hälfte die Spannung hält, verdankt der Film auch den Leistungen dieser Profis, die nicht einfach in den Kulissen herumstehen, sondern aus Figuren Menschen
schaffen.
Vor allem Moore überzeugt als beruflich halbwegs ausgebrannte und privat vor allem funktionierende Frau schon mittleren Alters. „Shelter“ ist ein Film ohne Love-Story. Cara Harding ist Tochter, Mutter und Schwester. Das Wurm-Element von „Shelter“ – gleich ist es soweit; das nächste Kapitel deckt auf, wofür dieses Bild steht – verbietet die Darstellung Caras als sexuelles Wesen. In diesem Punkt fängt das Drehbuch die Manipulation noch geschickt ab. Moore kann sich darauf konzentrieren, den schweren Weg einer Wissenschaftlerin zu gehen, die damit konfrontiert wird, dass es das Übernatürlich bzw. das Jenseits realiter gibt.
Bis seine eigentliche Identität aufgedeckt wird und er zu einem Terminator Gottes mutiert, vermag Jonathan Rhys Meyers Moore Kontra zu geben. Er versteht es, unterschiedliche Personen oder besser: Persönlichkeiten rein mimisch, d. h. ohne Maske oder Spezialeffekte, zu verkörpern, ist erst Opfer, im nächsten Moment Manipulator und stets undurchschaubar. Frances Conroy gibt einerseits die vom Leben verbitterte Frau – eine Paraderolle, die sie in der TV-Serie „Six Feet Under“ zur Vollendung gebracht hat – und irritiert andererseits als scheinbar fromme aber tatsächlich fanatische Fundamentalistin. Womit sich endlich der Wurm zu erkennen gibt.
Gott ignoriert Reue und kennt keine Gnade
Nicht nur aber vor allem in den USA sind offenbar ausgerechnet die Hinterwäldler besonders fromm bzw. gottesfürchtig – zwei Zustände, die durchaus nicht deckungsgleich sind. „Shelter“ betont die Furcht und illustriert den Glauben an einen Gott, der streng, nachtragend und grausam ist. Die fundamentalistischen Anhänger dieses alttestamentarischen Wüterichs baden förmlich im heiligen Zorn eines HERRN, der sie liebt und jene zerschmettert, die SEIN biblisches Wort nicht bis aufs I-Tüpfelchen befolgen. Um sich diese (brüchige) Zuneigung zu erhalten, versagen sich die ‚wahren‘ Gläubigen die Freiheiten des Handelns und Denkens. Vor allem sind sie jedoch süchtig danach, Gott die Drecksarbeit abzunehmen und jene zu strafen, die so dreist sind, sich solchen engstirnigen intellektuellen und moralischen Vorstellungen nicht zu unterwerfen. Furcht ist ihnen dabei Instrument und Lebenselixier.
Religiöser Fanatismus ist ein beliebtes Motiv auch des Horrorfilms. Dort wird er allerdings negativ dargestellt. „Shelter“ schlägt sich dagegen auf die Seite der Fundamentalisten. Spätestens der Abspann bringt es an den Tag: Ganz oben auf der langen Liste derer, denen für ihre Unterstützung der Dreharbeiten gedankt wird, steht GOTT. Das ist nicht etwa ironisch, sondern bitterernst gemeint.
Wo Gott zu zimperlich ist, springen sie schrecklich gern ein!
Wer dies nicht glauben kann (oder mag), wird von Granny über unangenehme aber angeblich geschriebene Tatsachen in Kenntnis gesetzt: Wer seinen (christlichen) Glauben verleugnet oder verliert, ist verdammt. Unwissenheit schützt dabei vor Strafe nicht: Als die vom Fluch gezeichnete Sammy vorbringt, sie sei doch erst 8 Jahre alt und ‚nur‘ vom Glauben abgefallen, weil ihr Vater umgebracht wurde, bedauert Granny dieses schreckliche Erlebnis, rührt aber keinen Finger: Sammy hat gefehlt und muss sterben – ein immerhin konsequentes Ereignis, das „Shelter“ die Zustimmung eines größeren Publikums kosten dürfte. Da der wahre Fundamentalist jedoch richtig auflebt, wenn ihm der Pesthauch des Unglaubens ins Gesicht weht, wird man dies in einschlägigen Kreisen wohl höchstens als weiteres Indiz für die Verderbtheit der modernen Welt interpretieren.
Wer das Christentum lieber am menschenfreundlicheren Neuen
Testament misst, wird „Shelter“ nicht nur manipulativ, sondern auch niederträchtig finden. In den USA verfügen die Fundamentalisten über eine starke Lobby und große finanzielle Mittel, die sie u. a. in scheinbar neutral unterhaltende Literatur, Comics oder eben Filme investieren. Dabei entstehen plumpe Machwerke, die sich (wie beispielsweise die „Chick Cartoon Gospel Tracks“) in ihrer toleranzfrei beschränkten Bösartigkeit selbst entlarven – oder eben Filme wie „Shelter“, die dem Publikum ihr Gift dosiert und unauffällig einträufeln. Da es sich nichtsdestotrotz um Gift handelt, wird seine Wirkung letztlich spürbar und hoffentlich dadurch aufgehoben. Nur unter dieser Einschränkung ist „Shelter“ inhaltlich als Mittelmaß und handwerklich als überdurchschnittlich zu beurteilen.
Daten
Originaltitel: Shelter (USA 2010)
Regie: Måns Mårlind u. Björn Stein
Drehbuch: Michael Cooney
Kamera: Linus Sandgren
Schnitt: Steve Mirkovich
Musik: John Frizzell
Darsteller: Julianne Moore (Cara Harding), Jonathan Rhys Meyers
(David/Adam/Wesley), Jeffrey DeMunn (Dr. Harding) Frances
Conroy (Mrs. Bernburg), Nathan Corddry (Stephen Harding),
Brooklynn Proulx (Sammy Harding), Brian Anthony Wilson (Virgil),
Joyce Feurring (Granny), Steven Rishard (Detective Danton),
Charles Techman (Monty Hughes), John Peakes (Dr. Charles
Foster), Diane Jonardi (Granny 1918), KatiAna Davis
(Albinomädchen) uva.
Label: Senator Home Entertainment (http://dvd.senator.de)
Vertrieb: Universum Film (www.universumfilm.de)
Erscheinungsdatum: 03.12.2010
EAN: 886977359996 (DVD)
EAN: 886977377990 (Blu-ray)
Bildformat: 16 : 9 (2,35 : 1, anamorph)
Audio: Dolby Digital 5.1 (Deutsch, Englisch)
Untertitel: Deutsch
DVD-Typ: 1 x DVD-9 (Regionalcode: 2)
Länge: 108 min. (Blu-ray: 113 min.)
FSK: 16
DVD-Features
Die mageren Features beschränken sich auf den Trailer zum Hauptfilm und viel Gerede ohne inhaltlichen Mehrwert, das wie üblich als ‚Interviews‘ getarnt wird. Julianne Moore und Jonathan Rhys Meyers entledigen sich knapp und professionell dieser Pflicht, die zu ihrem Job gehört. Die Regisseure Björn Stein und Måns Mårlind nehmen sich ein wenig mehr Zeit, sparen das Thema „religiöse Manipulation“ aber aus. Weiterhin äußern sich Produzent Mike Macari, Drehbuchautor Michael Cooney sowie Soundtrack-Komponist John Frizzell.
- Redakteur:
- Michael Drewniok