Spuren (Blu-ray)
- Regie:
- John Curran
- Jahr:
- 2013
- Genre:
- Drama
- Land:
- Australien
- Originaltitel:
- Tracks
1 Review(s)
10.11.2014 | 20:43Roter Sand, blaues Meer: Selbsterfahrung per Kamelreise
1975 kommt die junge Robyn Davidson (Mia Wasikowska) mit einem scheinbar verrückten Traum nach Alice Springs: Sie will zu Fuß die australische Wüste bis zum Indischen Ozean durchqueren - 3200 Kilometer durch eine lebensfeindliche Wildnis, begleitet nur von vier störrischen Kamelen und ihrem geliebten Hund. Ihre Freunde und Eltern können Robyn ebenso wenig zurückhalten wie die vielen Widrigkeiten, die mit ihrem Plan verbunden sind.
Als sie nach langer Vorbereitung plötzlich mit leeren Händen dasteht, macht Robyn einen Deal mit dem "National Geographic"-Fotografen Rick Smolan (Adam Driver): Er finanziert ihre Reise und darf sie dafür gelegentlich für ein Magazin fotografieren. Fern der Zivilisation erkennt Robyn langsam, was sie wirklich zum Glücklichsein braucht. Doch nicht nur die Fototermine mit Smolan stören ihr neu gewonnenes Gleichgewicht. Je länger die Reise dauert, desto öfter gerät Robyn in lebensgefährliche Situationen ...
Basierend auf einer wahren Geschichte nach dem Bestseller von Robyn Davidson. (Verleihinfo)
Filminfos
O-Titel: Tracks (Australien 2013)
Dt. Vertrieb: Ascot Elite
FSK: ab 6
Länge: ca. 103 Min.
Regisseur: John Curran
Drehbuch: Marion Nelson nach dem Buch von Robyn Davidson
Musik: Garth Stevenson
Special Effects: Tim O'Brien, Peter Stubbs
Darsteller: Mia Wasikowska und ihr Stunt-Double Jackie Murray (Robyn), Adam Driver (Rick), Emma Booth, Rainer Bock (Kurt Possel) u.a.
Handlung
Robyn hat ihre Mutter durch Selbstmord verloren, ihr Vater ist pleite, ihr erster Hund eingeschläfert. Doch das wirft sie nicht zurück. Nach Jahren des Aufwachsens bei Tante Gillian in Queensland macht sie sich mit ihrem zweiten Hund auf den Weg ins Innerste Australiens, nach Alice Springs. Ihr Plan wird wiederholt zum Wahnsinn erklärt: 3200 km*** nach Westen durch die Wüste zum Indischen Ozean - zu Fuß. Sie will ihrem Großvater nacheifern, sagt sie, der in den 1930er Jahren die Kalahari durchquert habe. Sie weiß aber auch, dass schon etliche Expeditionen bei diesem Versuch spurlos verschollen sind.
(*** Robyn Davidson selbst gibt 1700 Meilen an, das entspricht etwa 2800 km.)
Sie weiß, dass sie das nur mit drei treuen Kamelen schaffen kann, doch zum Glück gibt es in Australien die größte Dromedarpopulation der Welt. Sie schuftet also für ihr erstes Kamel. Die ersten beiden Jahre sind hart, denn sie lässt sich ausbeuten. Erst beim dritten Arbeitgeber, einem knorrigen alten Afghanen, stößt sie auf Sympathie: Er versteht wirklich was von Dromedaren und kastriert ihr auch gleich den widerspenstigen Hengst Dookie, der daraufhin lammfromm wird. Aber er warnt sie auch: Jeder wilde Kamelbulle werde versuchen, ihr ihre Reittiere wegzunehmen. Sie solle sofort schießen, ohne abzuwarten, denn sonst sei es bereits spät. Als es dann soweit ist, erkennt sie: Nie waren solche Worte wahrer.
Ihre ehemaligen Freunde aus der südaustralischen WG bringen nicht nur ein schönes Mixtape mit, sondern auch einen Typen namens Rick Smolan, der sich bald als ihr Retter herausstellt. Denn Rick ist Fotograf, arbeitet in der ganzen Welt für das Magazin der "National Geographic Society" und akzeptiert ihren verrückten Traum, weil er sie respektiert. Als sie sein Angebot annimmt, bietet ihr die Society 4000 Dollar - gegen die Rechte an sämtlichen Fotos. Dass diese Rick schießen wird, ist ihre einzige Bedingung. Nach dem Abschied von Dad und Tante Gillian kann's endlich losgehen.
Aufbruch
Australien gehört nur zum kleinsten Teil den Weißen. Das Innere der "terra australis", dem Süd-Land, gehört den Aborigines und der wilden Natur. Die Aborigines haben das Recht erstritten, dass alle ihre heiligen Stätten respektiert werden - zumindest im Reservat westlich von Alice Springs (siehe dazu die Landkarte im Bonusmaterial). Das bedeutet für Robyn, dass sie dieses Land nicht mit ihren Kamelen durchqueren darf und Umwege reiten muss. Schon bald bekommt sie das zu spüren, als sie sich dem Ayer's Rock alias Uluru nur bis zur Parkgrenze nähern darf. Noch viele Male wird dieser Aspekt zu einem Hindernis.
Touristen! Überall, wo die aufkreuzen, reagiert Robyn genervt. Denn sie ist eine beginnende Berühmtheit, über die in den Zeitungen geschrieben wird: Die "Kamel-Lady" wird sie genannt, und wer ihr begegnet, wähnt sich vom Glück begünstigt. Die Leute müssen bekloppt sein, denkt Robyn. Sie ist froh, endlich mit sich und ihren braven Tieren allein zu sein. Ohne ihre schwarze Hündin Diggety wäre sie jedoch richtig einsam. Die Reise dauert nämlich nahezu 200 Tage... ***
(***Davidson sagt im Interview: Ihre Reise dauerte nicht ca. sieben Monate, sondern neun.)
Kurz vor Tag 84 lernt sie in einer Art Oase den Aborigine-Ältesten Eddy (Rolly Mintuma) kennen. Er trägt zwar nicht mal richtige Schuhe, kennt aber den Outback wie seine Westenstasche. Und er bringt ihr dessen Gesetze bei. Frauen dürfen beispielsweise niemals Wild ausweiden. Allein die Befolgung dieses Rates, so seltsam er klingen mag, rettet ihr später das Leben. Und mit Eddie an ihrer Seite darf sie auch heiliges Land durchqueren.
Das Nichts
In regelmäßigen Abständen und an vereinbarten Orten - sie hat ein Funkgerät - trifft sie sich mit Rick. Der fotografiert sie, und sie muss sich zwingen, sich in "attraktive Posen" zu werfen. Doch als Eddy seine Rolle als Führer abgeben muss, weil er zu seinem Volk zurückwill, beginnt Rick, sich richtige Sorgen um Robyn zu machen. Der nächste Abschnitt der Strecke ist nämlich der riskanteste: 200 Kilometer weit nichts als Wüste - und kein einziges Tröpfchen Wasser weit und breit - die Brunnen und Quellen sind alle versiegt. Er vereinbart mit ihr, regelmäßig Wasserkanister zu deponieren. Aber die muss sie erst einmal finden.
Tag 124. Das Wasser ist alle, der Kompass verloren und Diggety verschwunden. Da greift ein Kamelhengst ihre treuen Dromedare an - oder ist er nur eine Fata Morgana, die ihr ihre verwirrten Sinne vorgaukeln?
Mein Eindruck
Diese Verfilmung von Robyn Davidsons Memoiren "Tracks" betört den unvoreingenommenen Betrachter mit großartigen Bildern von grandiosen Landschaften. Zugleich sucht er die Balance mit dem sich organisierenden Menschen, der sich auf diese einsame Landschaft einlässt. Dabei kann sich der australische Film von John Curran auf eine einzigartige Tradition stützen, die jedem Aussie vertraut ist: den Walkabout.
Die Wikipedia fasst die Definition prägnant zusammen, ohne die Nebenbedeutungen zu verschweigen:
>>Ein Walkabout (von englisch 'walk' ,,gehen" und 'about' ,,umher") bezeichnet das Umherziehen eines australischen Aborigines auf seinen traditionellen Songlines (Traumpfaden): eine unsichtbare, mythische Landkarte Australiens, die per Gesang von Generation zu Generation weitergetragen wird. Die Aborigine-Gründungsmythen über die Traumzeit sind demzufolge eine detaillierte Beschreibung des Landes; sie werden von den Aborigines in Form von Liedern erlernt und bewahrt, so dass jeder Aborigine-Clan in den überlieferten Liedern eine detaillierte Karte des Landes und seiner Mythen mit sich trägt. Im engeren Sinne ist der Walkabout ein Einführungsritual für dreizehnjährige Aborigines (vgl. Initiation), die erstmals den Weg ihres eigenen Traumpfades gehen.
Nach der Darstellung des britischen Schriftstellers Bruce Chatwin (1940-1989) in seinem Roman "Traumpfade" geht es den Aborigines bei einem Walkabout grundsätzlich darum, die Übereinstimmung ihres Traumpfadliedes mit dem erwanderten Pfad selber zu erleben. Ziel ist die Erfahrung der Übereinstimmung der Wirklichkeit der Natur mit dem Abbild, welches das Lied erzählt.
Für diejenigen Aborigine, die als Nomaden oder Halbnomaden leben, ist dieses Umherziehen entlang der ihnen bekannten Songlines ihre normale Lebensweise. Für Aborigines, die zur Sesshaftigkeit übergehen, ist der Walkabout eine Tätigkeit, in der sie ihre Identität bewahren können, indem das Ritual, das die Ahnen immer gelebt haben, wieder aufgenommen und weitergegeben wird.
Veränderungen in der Natur bedeuten für traditionelle Aborigines einen Heimatverlust, insofern der gesamte Traumpfad für sie ,,Heimat" ist. Die Heimatverbundenheit ist besonders intensiv bei den heiligen Stätten eines Traumpfades und geht darüber hinaus, was in der westlichen Welt mit Heimatgefühlen verbunden wird.<< (http://de.wikipedia.org/wiki/Walkabout)
Wer einmal den Film "Walkabout" von Nicolas Roeg aus dem Jahre 1971 gesehen, wird ihn nie wieder vergessen. Zwei britisch erzogene Schüler (darunter Jenny Agutter) müssen mit einem 13-jährigen Aborigine-Jungen die Wüste überleben. Nur indem sie alle zivilisatorischen Nebensächlichkeiten wie etwa Kleidung abgelegt haben, können sie sich völlig auf die fremde, lebensfeindliche Landschaft einlassen, sie buchstäblich hautnah erfahren und mit Hilfe ihres Führers darin überleben, denn er opfert sich für sie.
Lehrjahre
Es wäre zu einfach, Robyns Expedition einfach nur in die Schublade "Selbsterfahrung" zu stecken, wie sie Anfang der 1970er Jahre geradezu obligatorisch war. Natürlich will sie herausfinden, wer sie nach dem Verlust von Mom, Dad und Hund wirklich ist, was in ihr steckt, wozu sie fähig ist - und den Männern zeigen, was eine Harke ist. Diese Erklärungen will auch John Currans Film liefern.
Nach den harten Lehrlingsjahren folgt das Gesellenjahr, und die Expedition stellt ihre Meisterprüfung dar. Da wir wissen, dass es sich um Memoiren handelt, ist uns auch bekannt, dass sie ihr Ziel erreicht hat. Aber ist nicht der Weg viel wichtiger als das Ziel? Die Frage ist also eher, was das Land mit ihr angestellt und was sie daraus gelernt hat.
Spuren
Sie folgt Spuren, die vor ihr schon ein paar Leute gegangen sind. Ihre Karten sind ausgezeichnet und verzeichnen quasi jeden Busch, jede Wasserstelle. Wichtiger ist ihr aber, selbst Spuren zu hinterlassen. Immer wieder sind sie im Bild, doch es gibt eine Szene, in der sich jeder Fußtritt im Boden verliert - das ist für sie sehr beunruhigend. Es ist etwa so, als wäre man ein Gespenst, das körperlos durch die Wüste schwebt.
Das Loslösen vom Körper kann entweder zum Wahnsinn führen, zu einer religiösen Erfahrung - alle Weltreligionen entstanden in der Wüste - oder zu einer Wandlung der inneren Einstellung gegenüber Freunden und Zeitgenossen. Robyn erdet sich zunächst, indem sie immer wieder das uralte Lieblingslied ihrer Mutter auf dem Kassettenrekorder abspielt. Der Kompass ist ein Erbstück von Dad und Großvater, dem Kalahari-Durchquerer.
Lange Zeit lässt sie sich vom Wecker aus dem Schlaf reißen, eine brave Angelsächsin. Doch irgendwann muss auch der Wecker dran glauben, ebenso wie die Hosen und die Oberbekleidung. (Keine Angst: Die Bilder sind alle jugendfrei.) In der Wüste zählt nur das nackte Sein. So nähert sich Robyns Lied immer mehr dem Traumpfad an, der in der Landschaft steckt und den sie entdecken will.
Zeitpanorama
Von ihren Zeitgenossen gibt es eine Menge schräge Gestalten, und das ist vielleicht der humorvollste Aspekt. Touristen erscheinen wie extraterrestrische Bilderjäger. Rick Smolan ist selbst eine originelle "Marke", dann gibt es da die vielen Aborigines, die mitunter unheimlich wirken und so manches Geheimnis mit Robyn teilen. Aber auch der Motorradfahrer auf seiner Suzuki, der einen neuen Langstrecken-Rekord aufstellen will. Er freut sich wie ein Kind, mitten im Nirgendwo auf die "Kamel-Lady" gestoßen zu sein, von der alle Welt spricht. Auf seine Art ist der Film ein Porträt Australiens, wie es im Jahr 1975 auftrat (keine Handys, keine MP3-Spieler, nein danke, Sir).
Robyn sieht diese seltsamen Leute mit verändertem Blick, und wir mit ihr. Als schließlich auch noch Touristen zu wie ein seltenes Tier knipsen wollen und Reporter aus aller Welt rudelweise über sie herfallen, tickt sie völlig aus, wie ein Tier, das in die Enge getrieben worden ist. Sie weiß, dass das einzige, was wirklich zählt, Wesen sind, die ihr Leben und Überleben fördern. Da sind zum einen die (meistens) treuen Dromedare, der liebevolle, verlässliche Hund und die Aborigines, die ihr helfen, weil sie ihren eigenen Walkabout macht.
The dark side
Doch es gibt auch die dunkle Seite Australiens. In der so schön anzuschauenden Landschaft lauern ungeahnte Gefahren. Robyn ist vor den wilden Tieren gewarnt worden, aber auf die menschengemachten Gefahren nicht gefasst. Dass die anhaltende Dürre die Farmen geleert hat, versteht und akzeptiert sie, denn sie stammt selbst von einer Ranch. Überall liegen Skelette: Es war auch die Rinderzucht der Weißen, die das Land zu einer Wüste gemacht hat. Denn Rinder vertilgen Unmengen an Grünzeug, um Fleisch anzusetzen.
Doch dass in scheinbar harmlosen Kadavern von Känguruhs der Tod lauert, kann sie nicht ahnen. Solch ein Kadaver wird ihrer Hündin Dig zum Verhängnis. Es ist eine Schlüsselszene des Films, denn sie ist an Dramatik und Tragik nicht zu überbieten. Was jedoch nie ausgesprochen wird und was sich der Zuschauer zusammenreimen muss, ist der Umstand, dass es Robyn nur der Warnung Eddys, des Ureinwohners, zu verdanken hat, vom vergifteten Fleisch des Känguruhs nicht gegessen zu haben. Aber es wäre ihre Pflicht gewesen, auch ihren Hund von diesem Fleisch fernzuhalten.
Ins Blaue
Die Ankunft am Meer ist eine der schönsten Szenen des an attraktiven Bildern und berückender Musik reichen Films. Eine flache Lagune, die zum Baden einlädt, wartet direkt hinter den höchsten Wanderdünen, die Terra Australis zu bieten hat. Da nirgendwo eine Paparazzi-Kamera - außer der von Rick - lauert, entledigt sich Robyn ihrer irdischen Hüllen, um in das Amnion des Urmeeres zurückzukehren. Wie so häufig wirft sie sich freudig ins blaue Element, das so ziemlich das Gegenteil der trockenen roten Erde darstellt, in der sie ihre SPUREN hinterlassen hat.
Die Blu-ray
Technische Infos
o Sprache: Deutsch (DTS-HD 5.1), Englisch (DTS-HD 5.1)
o Untertitel: Deutsch
o Bildseitenformat: 16:9 - 2.35:1
Extras:
- Featurettes
- Interviews
- B-Roll
- Die Reise
- O-Trailer
- Trailershow
Mein Eindruck: die Blu-ray
Die Qualität von Bild und Ton des Hauptfilmes ist einwandfrei. Das gilt aber nicht für die Dokumentationen und v.a. nicht für die Interviews. Besonders Smolans Sätze sind nicht lippensynchron. Das liegt daran, dass Bild- und Tonspur nicht synchron miteinander laufen. Das Ergebnis ist sehr befremdlich. Bedauerlich finde ich, dass es keine englischen Untertitel gibt. Auch die Landkarte in "Die Reise" ist nicht interaktiv.
BONUSMATERIAL
1) FEATURETTES
a) Über den Film (2:31 min)
Ein erweiterter Trailer, der völlig überflüssig wäre, gabe es nicht ein paar eingestreute Zitate von Curran und Wasikowska.
b) Die wahre Geschichte (3:21)
Vermischt mit zahlreichen Filmausschnitten geben der Regisseur, die Hauptdarstellerin und die Buchautorin Statements ab. Am witzigsten fand ich hingegen Rick Smolan: "Es war das aufregendste Jahr meines Lebens", sagt er. Er hatte nämlich einen Heidenrespekt vor Robyn Davidson! Diese sagt jedoch erstmals unumwunden, dass ihr Deal mit National Geographic wie ein Ausverkauf vorkam, und entsprechend unbequem waren ihr die obligatorischen Fotosessions.
c) Eine Reise zu sich selbst (2:50 min)
Davidson kommt hier endlich mehr zu Wort. Sie wollte keine Pianistin werden, obwohl sie schon ein Stipendium für das Studium hatte. (Andere Leute würden alles geben, um so eines zu ergattern!) Sie wollte sich selbst kennenlernen und körperlich wie emotional an ihre Grenzen gehen; sie wollte lernen, im Hier und Jetzt zu sein, ganz entblößt von Zivilisationsmüll. Wie sie auf diese Idee kam, erzählt sie in ihrem Interview. Ihre Botschaft speziell an junge Frauen: "Ein Leben muss nicht konventionell sein, um gut zu sein." Also sprach Robyn.
2) INTERVIEWS (29:59 min)
a) Mia Wasikowska
Die Hauptdarstellerin findet den Regiestil "naturalistisch", d.h. die Geschichte wird ohne Tricks oder Spezialeffekte oder gar nonlinear erzählt. Allerdings gibt es ein paar Rückblenden auf Robyn, die nach dem Tod ihrer Mutter ihr Elternhaus verlassen muss. Interessant ist, wie sich die erfolgreiche Schauspielerin auf ihre anstrengende Rolle vorbereitet hat. Sie las die Bücher, trainierte mit Andrew Harper, dem Cheftrainer für die Kamele, der sie auch castete, und sie traf sich mit der Buchautorin. Ihr Lieblingsfach scheint "Kamelkunde" gewesen zu sein.
b) Robyn Davidson
Sie erzählt, wie es zu der Idee für diese Reise kam. Sie besuchte 1968/69 einen Theater-Workshop und dabei lautete eine Frage: "Was ist für dich die Substanz der Welt?" Und sie antwortete aus dem Unterbewussten heraus: "Wüste und Feuer". Das waren maskuline Symbole, deshalb war sie selbst erstaunt.
Die sechs Jahre bis 1975 dienten der Vorbereitung. Denn sie wollte diesen Trip überleben und lernte deshalb alles, was sie über Wüste, Kamele und Überlebenstechnik wissen musste. Sie plante für "9 Monate und 1700 Meilen" (s.o.).
Die Einbindung von National Geographic kam einem Ausverkauf gleich. Sie wählte Rick Smolan als ihren Fotografen, und das erwies sich als Segen. Bis heute verbindet die beiden eine "tiefe, andauernde Freundschaft".
Mister Eddy ist ein sehr traditionsbewusster Nomade, der erst mit 40 Jahren seinen ersten Weißen sah. Als Ältester verfüge er über viele Ebenen des Wissens über das leben und den Kosmos, sagt R.D. Sie empfand seine Begleitung als Privileg. "Da haben sich zwei Exzentriker getroffen."
Über Sinn und Zweck des Buches - siehe oben. Sie baute einfach den N.G.-Artikel aus, den sie zu Ricks Fotos schreiben sollte.
c) Adam Driver (Rick)
Adam ist voller Humor und Begeisterung,als er über das Filmprojekt erzählt. Er lässt sich über Robyn, den echten Rick und über Mia W. aus, die er sehr "tapfer" findet.
d) Rick Smolan
Rick Smolan erklärt, wie die zeit damals war: Junge Leute wollten sich zuerst selbst erfahren und ihre Grenzen erfahren, mal nach innen (Drogen), mal nach außen (Reisen). Er glaubte an Robyn, fürchtete sie aber auch gleichzeitig. Er war 27, sie 26, als die Reise begann. Es war eine ganz besondere Erfahrung, auf deren Grundlage er sein eigenes Buch schrieb.
Von ihm erfahren wir zum ersten mal auch von der panischen und verzweifelten Suchaktion, die er auslöste, als er erfuhr, dass sie schon eine Woche lang in der Gibson-Wüste verschollen war. Er war gerade in Hongkong und ließ alles stehen und liegen, um nach ihr zu suchen. Er wusste gar nicht, dass ihm Scharen von Reportern folgten, und als er sie endlich fand, dachte sie, er habe diese "Hyänen und Parasiten" absichtlich zu ihr geführt!
e) John Curran, Regie
Der regisseur erzählt, er sei damals selbst als Backpacker auf Reisen gewesen, könne also die Gefühle und Ansichten genau nachvollziehen. Er findet Mia W. die perfekte Besetzung. Großes Lob richtet er an seinen Kameltrainer Andrew harper, der sogar die vier wichtigen Hauptdarsteller neben Mia castete: die Kamele.
f) Emile Sherman, Produzent
In Australien kenne jeder Schüler dieses Buch, denn es stehe auf dem Lehrplan, erzählt Sherman. Es habe immer noch eine aktuelle Bedeutung. Er habe das Glück gehabt, die Rechte daran zu bekommen. Nach es 1980 veröffentlicht wurde, porträtiere es die Generation, die heute in den Fünfzigern und Sechzigern sei. Der Film richte sich mit seiner jungen Heldin auch an die heutige Jugend.
Das Seltsamste an diesen Interviews: Niemand verliert auch nur ein einziges Wort über die phantastische Musik von Garth Stevenson .
3) B-Roll (6:00 min)
Ohne Musik und ohne Kommentar fasst dieser Beitrag Eindrücke von den Dreharbeiten zusammen. Mia W. und Rainer Bock sind zu sehen, John Curran, aber es gibt auch ein Publicity-Shooting mit der echten Robyn Davidson und dem echten Rick Smolan. Sie stehen vor dem Ayer's Rock alias Uluru. Sehr süß ist ein müdes Kamelbaby.
4) Die Reise
Dieser Beitrag besteht aus einer Reihe Dias, die die elf Stationen der Reise zeigen: als Route, in Filmfotos und in Buchzitaten aus "From Alice to Ocean", Davidsons zweitem Buch nach "Tracks". Hier bewährt sich eine gute ZOOM-Funktion. Die Karte ist nicht interaktiv, so dass man nur durch die elf Menüpunkte zappen kann.
5) Deutscher Trailer (2:00 min)
Der dt. Trailer behauptet dreist, Robyns Reise habe 6 Monate gedauert und sei 3200 km lang gewesen. In Wahrheit waren es 9 Monate und 2800 km. Natürlich wird sie mehrfach für verrückt erklärt: Welchen Sinn soll das alles haben? Will sie sich umbringen? Bilder aus dem Film vermitteln erste Eindrücke, darunter auch solche voller Gefahr, etwa jene Szene, in der sie die fremden Kamele erschießt.
6) O-Trailer (1:31 min)
Der englische Trailer ist völlig anders aufgebaut. Hier wird der Brief an den Herausgeber des "National Geographic Magazine" zitiert. Er ist eine Selbstbeschreibung Robyns und ihrer Beweggründe für diese verrückt erscheinende Reise. (Rick Smolan wurde von diesem Mann gefragt, ob die Lady vielleicht nur eine weitere Bekloppte sei, die sich übernehme. Rick, das muss zu seiner Ehre gesagt werden, widersprach - und rettete so das ganze Vorhaben.)
7) Trailershow
a) My Old Lady
b) Wild Mustang
c) red Dog (s. meinen Bericht)
d) Der Nachmittag eines Fauns (Tanzfilm)
e) First Position (Tanzfilm)
f) Die Höhle der vergessenen Träume (von Werner Herzog)
g) Song for Marion (mit Terence Stamp)
h) My Week with Marilyn (s. meinen bericht)
i) One Week (letzte Woche eines Todgeweihten)
j) Northmen - A Viking Saga
k) Am Sonntag bist du tot (mit Brendan Gleeson)
Unterm Strich
Nachdem das Buch 1980 veröffentlicht wurde, begannen die Produzenten mit der Planung, es irgendwie zu verfilmen. Die "development" begann also schon vor Mia Wasikowksas Geburt 1989. Zuerst sollte die Australierin Nicole Kidman die Hauptrolle spielen, dann sogar Julia Roberts. Daraus wurde zum Glück nichts, aber so dauerte es bis 2012, bis die Umsetzung des Projekts begann. Dass sich alle Beteiligten optimal vorbereitet haben zahlte sich aus, als endlich in der Flinders Range - weit weg von der tödlichen Gibson-Wüste - in Süd-Australien gedreht werden konnte.
Humor und Drama
Robyns Walkabout von Alice Springs zum Ozean ist ein Selbstfindungstrip der besonderen und besonders fotogenen Art. Auf der einen Seite ergeben sich aus dem Abenteuer gefahrvolle Momente - wieso stellen Kamele oder tote Känguruhs tödliche Gefahren dar? - aber auch lustig.ironische Szenen. So etwa ist ein Motorradfahrer auf seiner nagelneuen Suzuki losgedüst, um wie Robyn einen neuen Rekord aufzustellen. Mann und Frau treffen aufeinander, aber auch Natur und Technik, Geschwindigkeit und Entschleunigung. Am schlimmsten sind wohl die einfallenden Touristenscharen, die Reporter-Hyänen, die sensationshungrigen Zeitungsberichte.
Ureinwohner
Dass die Autorin junge Frauen (und Männer?) dazu ermuntern will, auch mal Unkonventionelles zu unternehmen, ist offensichtlich. Weniger offensichtlich ist, dass hier ein gegenentwurf zu Bruce Chatwins verlogenem Kultbuch "Songlines/Traumpfade" verfilmt wurde. Die Eingeborenen werden mit Humor, Liebe und Respekt geschildert, während sich der Brite Chatwin noch etwas gönnerhaft aufführte (und eine widerlegte Theorie vertrat). Die Abos gehören hier wie selbstverständlich zur australischen Völkerfamilie, dabei hatten sie anno 1975 wesentlich weniger Rechte als heute. Von missionarischer Kindesentführung ist hier aber auch keine Rede.
Das Motiv
Wir lernen die Hauptfigur kennen und erfahren aus den Rückblenden halbwegs, was sie zu diesem "Wahnsinn" bewogen hat. Ob das schlüssig erscheint, muss jeder selbst entscheiden. Ihre Mutter etwa, die sich wegen der Pleite der Ranch erhängte, ist niemals zu sehen. Der Film ist etwas fürs Herz und funktioniert im Grunde nur aufgrund der wunderbar stimmungsvollen Musik, die den Zuhörer in ihren Bann schlägt. Schade, dass keiner der Interviewten auch nur eine lobende Silbe darüber verliert.
Gefühl vs. Verstand
Nicht nur die Bilder - rote Wüste, blaues Wasser - üben einen Sog auf den Zuschauer aus, sondern auch die Klänge der Musik. So kann es passieren, dass man wesentliche Zusammenhänge wie den zwischen einem toten Känguruh und einem sterbenden Hund irgendwie verpennt. Bei aller Gefühlsduselei zahlt es sich also aus, den Verstand nicht völlig abzuschalten.
Schwächen
Nur zwei Aspekte fielen mir als nicht recht plausibel auf. Robyn ist neun lange Monate unterwegs, aber sie scheint an jedem Wasserloch einen ordentlichen Haarschnitt verpasst bekommen zu haben, denn es hat die ganze Zeit die gleiche Länge...
Dann ist das die brutalste Szene des Films, die vielleicht nicht gerade für sechsjährige grundschüler gedacht ist. Robyn knallt zwei angreifende Kamelbullen ab. Sie tut dies mit einer Routine und verblüffenden Zielgenauigkeit - genau in den Kopf - , dass man schon annehmen muss, sie habe jahrelang Schießunterricht genossen. Üben sieht man sie aber im ganzen Film nie...
Blu-ray
Die Blu-ray wartet mit einem einwandfreien Bild und einem ausgewogenen Klang auf, der auch Stereoeffekte kennt - und die sehr wichtige, stimmungsvolle Musik gut zur Geltung bringt. So kann man den Hauptfilm störungsfrei genießen. Ein paar Abstriche muss man bei den werbelastigen Trailern und Featurettes hinnehmen: Hier steht PR im Vordergrund.
Wenigstens nehmen die Interview eine volle halbe Stunde ein. Allerdings werden Sätze seltsam abgeschnitten, und im Interview mit Rick Smolan geht dann die Synchronisation zwischen Bildspur und Tonspur vollends den Bach runter. Schön fand ich die Berücksichtigung der Landkarte und der elf Stationen der Reiseroute darauf. Leider ist dieses Feature nicht interaktiv. Dafür hat wohl das Geld nicht gereicht.
Michael Matzer (c) 2014ff
- Redakteur:
- Michael Matzer