Spurlos - Die Entführung der Alice Creed
- Regie:
- Blakeson, J.
- Jahr:
- 2009
- Genre:
- Thriller
- Land:
- GB
- Originaltitel:
- The Disappearance of Alice Creed
1 Review(s)
02.05.2011 | 22:20Spannender Entführungsthriller voller Überraschungen
Alice Creed steht Todesangst aus, als sie plötzlich in einen Lieferwagen gezerrt wird. Man verschleppt sie in irgendeine Wohnung, wo sie zwei maskierte Männer an ein Bett fesseln. Sie schneiden ihr die Kleider herunter und machen Fotos von der nackten, verängstigten jungen Frau.
Die Bilder werden mit einer Lösegeldforderung im E-Mail-Postfach ihres Daddys landen. Doch Alice wäre nicht die Tochter eines der reichsten Industriebosse des Landes, wenn sie nicht innerlich auf ein solches Kidnapping vorbereitet wäre... (Verleihinfo)
Filminfos
O-Titel: The Disappearance of Alice Creed (GB 2009)
Dt. Vertrieb: Ascot Elite
VÖ: April 2011
EAN: 7613059801356
FSK: ab 16
Länge: ca. 96 Min.
Regisseur & Drehbuch: J. Blakeson
Musik: Marc Canham
Darsteller: Gemma Arterton (James Bond", "Prince of Persia 1"), Martin Compston ("Red Road", "Sweet Sixteen"), Eddie Marsan ("21 Gramm")
Handlung
Zwei Männer mit einem Plan bereiten alles minutiös vor. Sie verstehen sich wortlos und reden kein einziges Wort. Sie klauen einen Lieferwagen, kaufen im Handwerkermarkt alles Notwendige ein und statten eine angemietete Wohnung mit allem Nötigen aus - inklusive Schallschutzdämmung und Fensterabdeckungen. Insbesondere auf die Stabilität von Riegeln und Schlössern legen sie großen Wert. Im Wald heben sie ein Loch aus….
Immer noch wortlos schnappen sie sich die Geisel, für die sie später Lösegeld verlangen werden. Es ist eine junge Frau. Unter größter Mühe schaffen es die beiden, die wild um sich Strampelnde an das vorbereitete Bett zu fesseln. Kaum ist sie vollständig entkleidet, nimmt ihr der Ältere die Kapuze ab, um ein paar digitale Fotos zu schießen. Eine Zeitung auf ihrem Bauch belegt das aktuelle Datum. Dann verschickt er die Fotos per anonymer E-Mail an den Vater der Entführten.
Alles klappte wie am Schnürchen. Jetzt heißt es warten. Während der Ältere sich um den Kontakt zum Erpressten kümmert, nähert sich der Jüngere zaghaft der Entführten. Er begehrt sie offensichtlich. Als der Ältere zurückkehrt, gibt es gute und schlechte Neuigkeiten: Die Polizei ist eingeschaltet worden. Der Vater der Frau ist jedoch bereit, Lösegeld zu zahlen, will aber einen Beweis haben, dass sie noch lebt. Null Problemo.
Sie fertigen ein Video an. Alice nennt erstmals ihren Namen und erzählt, wie sie entführt wurde. Mit Hilfe einer Messerklinge bringt der Ältere sie dazu, die zu vermittelnde Botschaft richtig ängstlich zu sagen. Der Ältere ist zufrieden und lobt seinen Partner: Danny habe eine wirklich gute Wahl getroffen. Dann verweist auf den Zeitungsartikel, den er las, als sie beide im Knast waren. Das ist seine erste Lüge.
Vic ist wieder weg. So muss sich Danny alleine um Alice kümmern, als diese ein großes Geschäft erledigen muss. Sie bringt Danny dazu, sie völlig loszubinden. Als er dezent weg schaut, überwältigt sie ihn und nimmt seine Pistole an sich. Sie hat ihre Entführer bislang immer nur mit Skimasken gesehen. Als sie mit der Kanone auf Danny zielt und abdrückt, verfehlt sie ihn nur um Haaresbreite. Er fleht sie an, nicht zu schießen, dann nimmt er seine Maske ab. Alice ist verwirrt: Danny, ihr Freund, hat ihr gesagt, er liebe sie.
Er hat einen Plan, redet er auf sie ein: Die zwei Millionen Lösegeld von ihrem Vater, der sie enterbt hat, teilen sie untereinander auf, klar? Und Vic hauen sie übers Ohr, logo. Dennoch ist sie verständlicherweise empört. Als jedoch Vic Einlass begehrt, muss sie ihm die Pistole zurückgeben und sich fesseln lassen. Vic ist zwar misstrauisch, sagt aber nichts. Alles laufe wie geplant.
Als Vic und Danny am nächsten Morgen das Zimmer ihrer Geisel betreten, merkt Danny, dass etwas nicht stimmt: Die Patronenhülse, die Alices Schuss produziert hat, liegt deutlich sichtbar auf dem Teppichboden. Sollte Vic sie entdecken, wird er wissen, dass jemand geschossen hat. Und da Danny wohl keinen Grund hat, auf eine wehrlose, gefesselte Frau zu feuern, muss der Schütze jemand anderes gewesen sein. Es gibt nur eine Möglichkeit…
Mein Eindruck
Die Handlung erfordert nur drei Schauspieler sowie zwei Schaplätze. Man merkt gleich, dass dies ein Low-Budget Film ist, der in nur drei Wochen abgedreht wurde, im Studio und auf der Isle of Man. Aber dennoch ist wider Erwarten an keiner Stelle schlampige Arbeit der Crew oder Schauspieler zu bemerken. Hier kann also Entwarnung gegeben werden. Der Standard der internationalen Filmproduktion hat mittlerweile ein sehr professionelles Niveau erreicht. Und was nicht passt, kann man in der Postproduction immer noch ausbügeln.
|Die Falle|
Zehn Minuten lang wird am Anfang kein Wort gesprochen. Das erinnert ein wenig an den Beginn von "Alien", wo der Regisseur den Zuschauer auch erst einmal rätseln lässt, um was es geht. Das dürfte jedoch bei der DVD ziemlich offensichtlich sein. Immerhin ahnt der Zuschauer schnell, was sich bald ereignen wird. Und er versucht unbewusst, die Figuren zu beurteilen. Zu den Archetypen des Films gehören: a) die Jungfer in Not, b) der soziopathische Organisator und c) sein schüchterner Helfer.
|Überraschungen|
Genau in diese Falle soll der Zuschauer tappen. Diese Erwartungen werden eine nach der anderen unterlaufen, so dass die Story auf einmal unerwartete Wendungen nimmt und eine unvorhersehbare Entwicklung aufweist. Denn Danny ist nicht nur der Freund von Alice - er ist auch der Lover von Vic. Als wäre dies nicht genug, will Danny Vic linken und mit Alice und dem Lösegeld durchbrennen. Sollen wir ihm dies wirklich glauben?
Natürlich legt auch Alice ihren Entführer Danny aufs Kreuz, in einer ziemlich aufgezogenen, aber keine strategisch wichtigen Körperteile offenbarenden Szene. Primäre Geschlechtsmerkmale sind in diesem Film absolut tabu, das nur zur Warnung für Voyeure. Das Blatt wendet sich, als es Danny gelingt, Alice zu überlisten, sodass sie das Bewusstsein verliert.
Das gibt dem alleingelassenen Vic die Chance, seinerseits misstrauisch zu werden. Alice sieht zwar unversehrt aus, aber ihre Haut ist kalt. Was hat Danny mit ihr angestellt? Sobald sie wieder wach ist, leugnet sie alles. Doch als er die Kugel in der Wand findet, beginnt er unangenehme Fragen zu stellen, Und er weiß, wie man Fragen Nachdruck verleiht. Da macht ihm Alice einen überraschenden Vorschlag…
|Viele Wendungen|
Bis zum Schluss dreht und wendet sich das Blatt für die drei Beteiligten, dass man keinerlei Wetten abschließen sollte, wer hier lebend raus kommt. Vielleicht keiner, vielleicht alle, vielleicht nur das Opfer, was wirklich die beste Ironie wäre. Der Drehbuchautor schrieb ursprünglich einen sehr düsteren Schluss, doch die Produktionsfirma von Adrian Sturges ließ das letzte Drittel komplett umschreiben. So wurde eine sehr ironische Sache daraus.
Der Schluss ist aber auch sehr traurig, denn er beweist a) dass selbst die detailliertesten Pläne schief gehen können, wenn man sich nicht an die Abmachung hält (das wussten wir aber vorher schon), und b) dass schief gehen wird, was schief gehen kann (Murphys Gesetz kannten wir auch schon). Der zentrale Unglücksfaktor ist jedoch missbrauchtes Vertrauen. Alle geben vor, dem anderen zu vertrauen, ja, womöglich ihn zu lieben. Alles Lüge. Liebe ist nur ein Trick, um den anderen übers Ohr hauen zu können. Und wofür das alles? Zwei Millionen sind Grund genug.
|Die Schauspieler|
Von den Schauspielern hat mich besonders die Intensität von Eddie Marsan als Vic beeindruckt, der schon in "21 Gramm" mitspielte (und auch schon mit Michael Mann und Terrence Malick arbeitete). Bis zum Schluss erscheint er als der betrogene Lover, der noch Anstand bewahrt, wenn es um das Leben der Geisel geht.
Dass Gemma Arterton ein so flexibles Spiel beherrscht, hätte ich von einem Bond-Girl nicht erwartet. Hierzu sind ihre Interviewaussagen sehr interessant. Fast ebenso gut wie Marsan ist der schottische Newcomer Martin Compston. Er muss seine ganze Überzeugungskraft aufbieten, um die bewaffnete Geisel dorthin zu bringen, wohin zu ordnungshalber gehört: aufs Bett.
Sicher schlägt die Handlung dem einen oder anderen Zuschauer ein paar Haken zu viel und so mancher Dreh mag unplausibel erscheinen. Würde sich eine Geisel wirklich wieder fesseln lassen, wenn man ihr eine Million bietet? Warum reagiert Alice kaum darauf, dass Danny offensichtlich schwul ist und ihr sein Hetero-Verlangen nur vorgespiegelt hat?
Obwohl man sich viele Gedanken machen kann, so steht doch am Ende fest, dass dies ein wirklich spannender Entführungsthriller ist.
Die DVD
|Technische Infos|
Bildformate: 2,40:1 (16:9)
Tonformate: D in DTS und DD 5.1, Englisch in DD 5.1
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: D
|Extras:|
- 1) Original-Trailer
- 2) Making-Of
- 3) Beim Dreh
- 4) Interviews mit Regisseur, Produzent und den drei Darstellern
- 5) Audiokommentar des Regisseurs
- 6) Trailershow von Ascot Elite
Mein Eindruck: die DVD
Die Qualität des Bildes ist einwandfrei, obwohl die Bedingungen am Set offenbar alles andere als optimal waren. Vor allem die erste Szene mit dem Entführungsopfer ist eine dynamische Sinfonie von schnellen Schnitten und Kameraeinstellungen, die dem Team das Maximum abverlangt haben muss.
Der DTS-Ton ist besser als der in DD 5.1, schon klar, und so kommt die sehr wichtige Musik, die die jeweils nötige Stimmung erzeugt, einwandfrei ans Ohr des Zuschauers. Die Musik kombiniert ein Streicherquartett mit elektronischen Möglichkeiten, was eine einzigartige Ausdrucksvielfalt bewirkt, ohne den Zuschauer auf sich aufmerksam zu machen.
Die deutschen Untertitel sind besonders dann nötig, wenn man den Audiokommentar nutzt. Denn dann ist der Ton des Films komplett ausgeschaltet, und zwar auch wenn der Kommentator Blakeson gar nichts sagt.
|DIE EXTRAS:|
1) Original-Trailer (1:35 min)
Der englischsprachige Trailer zeigt wie üblich die Highlights auf spannungserzeugende Weise.
2) Making-of (11.54 min)
Das Making-of ist ein Zusammenschnitt aus dem Trailer und den sechs Interviews mit den drei Darstellern, dem Regisseur / Drehbuchautor sowie dem Produzenten und dem Kameramann. Man bekommt einen guten Eindruck davon, wie der Film entstand, wie er hergestellt wurde und wie die fünf Mitwirkenden damit zufrieden sind. Es sind keine neutralen Stimmen integriert.
Blakeson verweist auf interessante Inspirationsquellen, nämlich auf "Kopfgeld" (Ransom) von Ron Howard (mit Mel Gibson), Billy Wilders "Das Apartment" (mit Jack Lemmon & Shirley MacLaine) und natürlich Quentin Tarantinos "Reservoir Dogs".
3) Beim Dreh (8:50 min)
Diese B-Roll habe ich mir nicht angeschaut. Die Aufnahmen vom Set sind sehr langsam und zeigen die verschiedenen Drehorte, vor allem natürlich das Geiselversteck.
4) Interviews mit Regisseur, Produzent, Kameramann und den drei Darstellern
In den sechs Interviews mit den drei Darstellern, dem Regisseur / Drehbuchautor sowie dem Produzenten und dem Kameramann erhalten wir einen jeweils subjektiven Einblick in die Entstehung des Films, dessen Herstellung und wie zufrieden die Beteiligten damit sind.
- Regisseur & Autor Blakeson (8:25 min)
- Produzent Adrian Sturges (3:25 min)
- Gemma Arterton (7:10)
- Eddie Marsan (3:55)
- Martin Compston (7:17 min)
- Kameramann Philipp Blaubach (4:35 min)
5) Audiokommentar des Regisseurs
Dieses Feature findet sich ein wenig versteckt im Menü "Einstellungen", wo die Optionen für den Ton aufgelistet sind. Blakeson gewährt interessante Einblicke in seine Vorgehensweise als Drehbuchautor und Regisseur. Dies war sein erster Film.
6) Trailershow von Ascot Elite
Hier finden sich diverse Trailer aus dem Angebot von Ascot Elite.
7) Bevor das Hauptmenü erscheint, zeigt die DVD erst einmal drei Trailer, die der Zuschauer nicht abschalten kann, außer durch seine Fernbedienung.
Es handelt sich um "The Hole 3D", ein Teenie-Horrorfilm; und die Krimikomödie "Burke & Hare" von John Landis (mit Andy Serkis, Simon Pegg und Tom Wilkinson) über die schottischen Leichenhändler aus dem frühen 19. Jahrhundert; sowie schließlich den Gruseler "Buried" von Rodrigo Cortès, mit Ryan Reynolds in der Hauptrolle.
Unterm Strich
Das Kammerspiel, das nur an zwei oder drei Orten spielt, holt das Maximale aus der minimalen Ausgangslage heraus. Entführungsdramen und -thriller kennt man schon zur Genüge, so etwa "Kopfgeld", und auch Einzimmerdramen wie Billy Wilders "Das Appartement". Ziemlich gekonnt spielt der Regisseur und Autor vor diesem Hintergrund mit unseren Erwartungen. Wir können nie sicher sein, was als Nächstes kommt.
Allerdings war mir die ganze Geiselnahme ein wenig zu zahm, sodass ich mir dachte, die beiden schweren Jungs wollen vielleicht nur spielen, um an das Geld heranzukommen. Ich lag richtig, und doch wieder nicht, denn das Spiel geht letzten Endes nicht ums liebe Geld, sondern darum, wem man überhaupt noch trauen kann, wenn der andere sagt, der einen liebt.
Betrogene, vorgespiegelte und echte enttäuschte Liebe ist nur der tragischeren Folgen dieses Spiels, das in seinen Varianten durchexerziert wird. Der Plan ist einfach und doch tödlich, ganz besonders für die Planer - das ist die grundlegende Ironie dieses Films. Verunsichernd ist allerdings, dass es für einen der Entführer nichts mehr bedeutet, ob er nun hetero oder homo ist. Er kann beide Ausrichtungen als psychologische Waffe einsetzen.
"Spurlos" - der Titel ist irreführend - gefiel mir als spannender Entführungsthriller, der das Sujet mal aus einem erfrischend anderen Blickwinkel anpackt. So spielen weder Lösegeld noch Erpresster oder gar Polizei irgendeine Rolle. Dafür entwickelt sich die Ausgangslage in unerwartete Richtungen, die dafür sorgen, dass der Zuschauer bei der Sache bleibt. Man merkt, dass Blakeson an "Descent 2" mitgeschrieben hat. Und beim zweiten Anschauen wird deutlich, dass die Schauspieler wirklich ausgezeichnet agieren. Besonders gefiel mir dabei Eddie Marsan aus "21 Gramm".
|Die DVD|
Die Silberscheibe wartet mit gutem Bild ohne Fehler auf und mit einem DTS-Sound, der sich hören lassen kann. Gefehlt hat mir lediglich der Filmton während des Audiokommentars, der während des Kommentars völlig ausgeschaltet ist. Kein Wunder, dass sich dieses Feature im Menü "Einstellungen" versteckt. Das Bonusmaterial ist umfangreich, doch die sechs Interviews kann man sich wirklich sparen - im Making-of sind die wichtigsten Aussagen komprimiert zusammengefasst.
Michael Matzer (c) 2011ff
- Redakteur:
- Michael Matzer