Taste of Tea, The
- Regie:
- Katsuhito Ishii
- Jahr:
- 2004
- Genre:
- Drama
- Land:
- Japan
- Originaltitel:
- Cha no aji
1 Review(s)
03.05.2005 | 09:01"The Taste of Tea" ist ein Film über eine japanische Familie, der eigentlich etwas untypisch für den Regisseur Katsuhito Ishii ist, vor allem wenn man ihn mit früheren Filmen vergleicht, die doch eher in Tarantino-Manier gedreht waren. So kam es auch, dass Ishii für seinen von ihm hochgeschätzten Regiekollegen an den Trickfilmsequenzen der "Kill Bill"-Filme mitwirkte. "The Taste of Tea" ist aber anders und das deutet letztlich darauf hin, dass Ishii jetzt vielleicht seinen ganz eigenen Stil gefunden hat.
In einem kleinen japanischen Städtchen lebt die Familie Haruno. Der Vater Nobuo (Tomokazu Miura) ist ein Hypnotiseur, der seine Fähigkeiten auch gerne einmal an seiner Familie austestet, die Mutter Yoshiko (Satomi Tezuka) arbeitet wie ihr Bruder Ikki Todoroki (dargestellt vom tatsächlichen Animateur Ikki Todoroki) als Zeichnerin. Kein Wunder, schließlich war auch schon ihr exzentrischer Vater Akira (Tatsuya Gasyuin) als Künstler und Sänger tätig und geht der Familie immer noch gelegentlich mit spontanen 'Gesangsausbrüchen' auf die Nerven.
Die Kinder haben allerdings losgelöst von dieser Erwachsenenwelt ihre eigenen Probleme: Die Tochter Sachiko (Maya Banno) fühlt sich von einer imaginären Kopie ihrer selbst, die gigantische Ausmaße hat, verfolgt und beobachtet. Ihr Onkel Ayano (Tadanobu Asano) hat die vermeintliche Lösung: Auch er wurde in seiner Jugend von einer imaginären Person in Gestalt eines tätowierten Mannes verfolgt und wurde diese nur los, nachdem er am Reck eine Rückwärts-Drehung geschafft hatte. Fortan verbringt Sachiko also jede freie Minuten am Reck eines verwilderten Spielplatzes, um eine solche zu üben.
Bei ihrem Bruder Hajime (Takahiro Sato) dreht sich alles um die Liebe. Nachdem sein Schwarm das Städtchen für immer verlassen hat, kommt ein neues Mädchen (Anna Tsuchiya) in seine Klasse und verdreht ihm sogleich den Kopf. Als er erfährt, dass sie in den Go-Club der Schule aufgenommen wurde, macht er sich daran, seine Fähigkeiten im Go-Spielen zu verbessern, um auch in diesen Club zu kommen und ihr nahe zu sein.
Unterdessen setzt es sich der in der Familie sehr unbeliebte Ikko in den Kopf, eine CD aufzunehmen, und bittet Ayano, der als Tontechniker arbeitet, um Mithilfe. Da aber niemand außer Akira für diese Idee zu begeistern ist, entwickelt sie sich zu einem inner-familiären Konfliktstoff.
Am ehesten lässt sich der Aufbau von "The Taste of Tea" mit dem von "Pulp Fiction" (1994) beschreiben. Denn ähnlich wie da hat der Film keine durchgehende Handlung, sondern besteht aus einem Potpourri verschiedenster Episoden, die bei "The Taste of Tea" allerdings mehr miteinander verwoben sind und auch größtenteils in chronologischer Reihenfolge ablaufen.
Dabei behält er aber durchgängig seine ruhige Erzählweise bei und packt alles in eine herrliche Bilderwelt, egal ob es sich um eine eher traurige, eine heitere oder eine völlig abstruse Episode handelt. Und von all dem gibt es hier massenweise, was für eine Vielfalt sorgt, wie ich sie bisher selten auf Zelluloid gepresst gesehen habe. Da gibt es zum einen traurige Teile, die um verlorene Liebe oder Tod gehen, und brüllend komische, wenn zum Beispiel Ikko endlich sein Lied fertig aufgenommen hat, um dann einen absolut kranken Videoclip dazu zu drehen. Und dann gibt es noch einige ganz abgefahrene Parts wie die um Ayanos imaginären Tattoo-Mann, der einen Kothaufen als Kopfschmuck trägt, aber auch tarrantinoeske Einflüsse gibt es zu sehen, wenn etwa drei Yakuza-Killer nach getaner Arbeit in bester Vincent-und-Jules-Smalltalk-Manier über die Restaurants der Gegend plaudern.
Das ist aber nur einer der ganz wenigen Teile, in denen man noch den Einfluss Tarantinos auf Ishiis Werk zu spüren bekommt. Ansonsten wird der Stil überwiegend durch eine Fokussierung auf die stillen zwischenmenschlichen Momente und die Absurdität des Menschseins gelegt. Die vielfältig eingefügten schönen Landschaftsaufnahmen tun ein Übriges dazu, dem Film eine ruhige, gediegene Stimmung zu verleihen, die nur bei wenigen Szenen bewusst und dann aber auch sehr effektiv gebrochen wird.
Hervorzuheben ist noch die Experimentierfreude, mit der Ishii zu Werke geht. Da er auch ein Studio für 2D- und 3D-Animationen leitet, überrascht es nicht, dass hier viele Effekte zum Einsatz kommen, die aber nie zum Selbstzweck verkommen, sondern gezielt und auch sehr innovativ eingesetzt werden.
Gleich die erste Szene ist symptomatisch dafür. In dieser rennt Takahiro eine Straße entlang, um noch einen letzten Blick auf den Zug zu erhaschen, in dem seine Flamme die Stadt für immer verlässt. Um zu verdeutlichen, was in dem Jungen in diesem Moment vorgeht, lässt Ishii einen Zug durch dessen Kopf brausen, der dort ein Loch hinterlässt. Selten habe ich eine Szene in einem Film gesehen, in dem das Verlassenwerden und das darauf folgende Gefühl der Leere auf eine so geniale Weise visualisiert wurden. Auch die anderen visuellen Effekte des Films sind ebenso gut gelungen.
Eine andere Szene, die vor Experimentierfreude nur so sprüht, ist die, als Yoshiko ihren fertiggestellten Anime-Film im Kreise ihrer Kollegen vorführt. Da die Tonspur noch nicht produziert wurde, improvisiert die begeisterte Kollegenschar kurzerhand die Vertonung des Werks. Es würde mich nicht wundern, wenn diese Szene tatsächlich so improvisiert wurde. Und last but not least gibt es noch den bereits angesprochenen Musikclip von Ikki, der eine abstruse Mischung aus Konventionalität und einem Pop-Art-Drogentrip bietet.
Was mir als westlichem Betrachter des Films auch gefiel, ist, wie auf vielfältige Weise Elemente der japanischen Kultur in den Film eingeflossen sind. Zum einen sind da natürlich die ganzen Anspielungen auf die Manga-Kunst, aber auch Elemente wie das Go-Spiel oder der in Japan populäre Baseball-Sport und vor allem auch das traditionelle japanische Familienbild, das diesen Film erst ermöglichte.
"The Taste of Tea" ist ein Familienportrait, das vor allem durch seinen Facettenreichtum und viele geniale und aberwitzige Ideen begeistert. Mehr Tragik, Humor und Absurdität kann man wohl kaum in einen Film pressen. Japan-Freaks sollten diesen Film auf jeden Fall gesehen haben, aber auch für jeden anderen Filmfan ist dieser Streifen eine echte Bereicherung.
Der Film hatte auf dem diesjährigen Nippon-Connection-Filmfestival seine Deutschlandpremiere und war von all den Filmen, die ich dort gesehen habe, mein absoluter Liebling.
- Redakteur:
- Andreas Fecher